Film

Wenn Darwin zur Gottheit wird

Terrence Malick präsentiert mit seinem neuen Film »The Tree of Life« eine Melange aus Psychodrama, religiösem Kitsch, Naturverehrung und genialem Bildwerk.

Ein Vater sitzt mit seinem wenige Monate alten Kind in einem dunklen Raum. Durch das Fenster fallen die wenigen Lichtstrahlen in den dunklen Raum, die uns sehen lassen, wie er dieses Kind immer wieder bestimmt an seine Brust drückt. Das Kind wagt nicht zu weinen, auch wenn man ihm seine Unzufriedenheit mit der Situation ansieht. Wieder und wieder hindert der Vater das Kind, sich aus seinem festen Griff zu befreien. Die Zähne hat er dabei zusammengebissen, die Lippen gepresst. Man sieht ihm seine unterdrückte Wut an.

Nur eine nebensächliche Szene in Terrence Malicks Kinofilm The Tree of Life, in der aber so viel verborgen ist. Lange Zeit fragt man sich, woher diese unbändige Wut in dem Familienvater herkommt, den Brad Pitt in Terrence Malicks aktuellem Film spielt. Darin erzählt der älteste Sohn Jack (Hunter McCracken, Sean Penn) Jahrzehnte später die ergreifende Geschichte seiner Kindheit in den fünfziger Jahren, denn er sucht nach Orientierung in der haltlosen Welt des Turbokapitalismus. Allein die Anwesenheit dieser Vaterfigur lässt alle Mitglieder der fünfköpfigen Familie in gehorsames Schweigen verfallen. Betritt er das Haus, gibt es keinen eigenen Willen mehr, der Wille des Vaters ergreift den Raum. Es ist ein schier unbändiger Wille, getrieben davon, den drei Söhnen die wichtigsten Regeln des Lebens beizubringen, die sich letztlich auf zwei reduzieren lassen: »Wer Erfolg will, darf nicht allzu gut sein.« Und: »Wer gut ist, wird ausgenutzt.« Diese Regeln untermauert dieser Vater mit einer rigiden, erniedrigenden Erziehung, die auch bei Gewalt keine Grenzen kennt.

Terrence Malick: The Tree of Life | © 2011 - Fox Searchlight Pictures

Terrence Malick: The Tree of Life | © 2011 – Fox Searchlight Pictures

Psychologen hätten viel zu tun, wenn sie diesen Vater und seine Nicht-Beziehung zu seinen Kindern, die er statt mit ihrem Namen mit »Sohn« anspricht, lesen wollen würden. Selbst erfahrene Lieblosigkeit, fehlende Zuwendung, Gewalterfahrungen oder übereifriger Erziehungsehrgeiz – psychologische Hypothesen, die das Verhalten des Vaters erklärten, könnte man viele anstellen. Auch historische Bezüge zur autoritären Erziehung der fünfziger Jahre böten sich an. Doch all dies will Malick nicht. Die Lösung, die er in seinem als Meisterwerk gefeierten Epos anbietet, ist dagegen nahezu langweilig. Brad Pitt ist in seiner Rolle nichts weiter als der fleischgewordene Darwinismus. Es gebe nur zwei Wege, flüstert dem Zuschauer eine weibliche Stimme am Anfang des Filmes ins Ohr, »den Weg der Natur« und »den Weg der Gnade«. Und dieser Vater ist die Metapher für den Weg der Natur.

Das Gegenstück zum darwinistischen Vater bildet natürlicherweise die Mutter, gespielt von einer bezaubernden Jessica Chastain, die mit The Tree of Life ihren cineastischen Durchbruch feiern kann. In einer elfengleichen Rolle symbolisiert sie den göttlichen Weg der Gnade. Sie fängt die Kinder mit ihrer grenzen- und bedingungslosen Liebe auf, bietet ihnen Geborgenheit, Verständnis und den nötigen Freiraum, den Kinder brauchen. Der Konflikt mit ihrem emotionslosen Mann steht im Raum, ohne dass er ausgesprochen wird – eine wohl typische Situation in der so bedrückenden amerikanischen Kleinstadtidylle in der McCarthy-Ära. Der Zuschauer bekommt dies indirekt vermittelt, etwa wenn die Mutter mit ihren drei Söhnen befreit durch den Garte tobt, wenn der Vater wieder einmal auf einer Dienstreise ist.

Terrence Malick: The Tree of Life | © 2011 - Fox Searchlight Pictures
Terrence Malick: The Tree of Life | © 2011 – Fox Searchlight Pictures

Gesprochen wird wenig in diesem von surrealen Atmosphäre und mystischer Übersteigerung lebenden Film. Die bedrückende Atmosphäre der McCarthy-Ära, in der der Film hauptsächlich spielt, steigt aus den seichten Bildern dieses Films empor. Das Beziehungsgeflecht wird im Wesentlichen durch das beredte Schweigen der Akteure beschrieben, als durch ihre verbale Interaktion. Wenige Dialoge mischen sich mit universalen Fragen zu Entstehen und Sinn des Lebens, die aus dem Off kommen.

Erzählt wird die Geschichte dieser Familie aus der kindlichen Perspektive von Jack, dem Ältesten der drei Söhne. Einnehmend und berührend spielt der erst zwölfjährige Hunter McCracken diesen Sohn, der immer wieder dem väterlichen Erziehungsdrill und dessen Strafen ausgesetzt ist und daraufhin Trost und Liebe bei seiner Mutter sucht und findet. Zugleich aber sucht er zumindest zeitweise einen goldenen Mittelweg und will die wahrscheinlich gut gemeinten, jedoch nur leidlich vermittelten Ratschläge des Vaters nicht in den Wind schlagen, ohne die von der Mutter vermittelte soziale Kompetenz aufzugeben. Malick inszeniert dies zu einem bewegenden und anrührenden Kinderschicksal, zu dessen stiller Zeugenschaft der Zuschauer verpflichtet wird. Grandios erzählt dieser Film von Jack’s Kindheit und man würde sich wünschen, Malick hätte sich damit begnügt. Sein Ruf als Filmemacher, der wie kaum ein anderer bewundernswerte Porträts von Menschen in Extremsituationen liefern kann, hätte dem entsprochen.

Terrence Malick: The Tree of Life | © 2011 - Fox Searchlight Pictures
Terrence Malick: The Tree of Life | © 2011 – Fox Searchlight Pictures

Stattdessen unterlegt Malick diese irdische Familiengeschichte mit einer ganz und gar nicht irdischen Erzählung von der Entstehung der Welt. Die hinter den Elternfiguren vermuteten Grundkräfte – The Tree of Life nötigt dazu, sie als solche zu bezeichnen – verbildlicht Terrence Malick in seinem Film auf Kosten der filmischen Handlung, die dafür immer wieder von mystischen Bildpassagen unterbrochen wird. Den »Weg der Natur« verbindet Terrence Malick mit Aufnahmen explodierender Vulkane, mit Unterwasserbildern, Dinosaurieranimationen und kosmogonischen Impressionen, wobei er sich als famoser Manipulator erweist, der es versteht, diese Bilder zu einem Imagefilm der Evolution aneinander zu fügen. Der »Weg der Gnade« hingegen ist geprägt von einer Perspektive, die man nur teleologisch nennen kann. Immer wieder wird das göttliche Prinzip mit ins Licht führenden Aufnahmen aus der Froschperspektive verknüpft, wobei sämtliche Motive des pseudoreligiösen Kitsches abgehakt werden. Nach oben führende Leitern, in den Himmel führende Treppenstufen und natürlich auch der Titelgebende Lebensbaum, in dessen Krone die Kamera immer wieder blickt. Unterlegt werden diese Bilder von aus dem Off an das Zuschauerohr dringenden Fragen, die sich in beachtlichem Maße an »den Gnädigen« richten.

Filmplakat_The Tree of Life
Terrence Malick: The Tree of Life. Brad Pitt, Jessica Chastain, Sean Penn, Hunter McCracken. Concorde Filmverleih. 139 Minuten. FSK 12

»Wo warst du, da ich die Erde gründete? Sage an, bist du so klug!« Diese Worte stellt Terrence Malick seinem als Meisterwerk gefeiertem Epos, mit dem er bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme gewann, voran. Es zeigt bereits zu Beginn die religiöse Tendenz, die sich durch den gesamten Film zieht. Es sind nicht nur das dezidiert religiöse Setting in der texanischen Kleinstadt der fünfziger Jahre oder die bereits angesprochenen teleologischen Passagen, sondern auch die musikalische Inszenierung, die darauf schließen lässt – etwa wenn die Bilder des kosmogonischen Weltennebels mit dem Tränengesang eines klassischen Requiems unterlegt werden oder Jack’s Mutter am Ende des Filmes in einer Fantasiesequenz des erinnernden Sohnes den Zweitgeborenen zu Amen-Gesängen in Gottes Hände gibt.

Das mütterliche Prinzip als das Prinzip eines gnädigen Gottes und das väterliche Prinzip als das Prinzip einer grausamen Natur – dies ist die bedenkliche Weltanschauung, die hinter Terrence Malicks neuem Film steht. Sie macht alles menschliche Handeln sinnlos, weil es den vorbestimmten göttlichen Weg ohnehin nicht zu beeinflussen vermag. Malick lässt in The Tree of Life eine längst überwundene Religiosität wieder aufleben, die selbst die Natur wieder in einen quasireligiösen Status rückt und die Aufklärung zur Seite wischt. Der Stärkere gewinnt. Dieses darwinistische Naturprinzip hebt Malick mit seinem Film in einen quasireligiösen Status und vergisst dabei, dass die Errungenschaften der Aufklärung das Tier im Menschen gezähmt haben. Dieses fatale Versäumnis können auch die genialen Bilder, die dieser Film hervorbringt, nicht wieder gutmachen.

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