Fotografie, InSzeniert

Die neuen Religiösen

Eine Ausstellung in Berlin setzt sich mit neuen religiösen Bewegungen in den Städten auseinander. Die Macher wollen aufzeigen, wie diese Bewegungen weltweit die urbane Topographie verändern und zum Teil die Rolle des Staates ersetzen. 

Die nigerianische Megastadt Lagos ist inzwischen fest in der Hand der Pfingstkirchler. Sie bestimmen in ihrer lockeren und flexiblen Struktur inzwischen das Bild und den Puls der Stadt. An der Ausfallstraße nach Ibadan, der Autobahn Gottes sind gigantische Kathedralen entstanden, die zehntausende Menschen fassen. Hier entsteht eine eigene City of God. Die größte Pfingstkirche Nigerias soll fünfmal mehr Gläubige als das weltgrößte Fußballstadion fassen. Eines der größten Fußballstadien, das Maracanã-Stadion, steht in Rio de Janeiro. Brasilien ist die Heimstatt der Pfingstler, mit 24 Millionen Mitgliedern hat die Armenkirche, die Erlösung von Armut und Krankheit verspricht, hier ihre größte Gemeinde. Leerstehende Kinosäle oder Theaterräume werden in der brasilianischen Metropole in Windeseile zu Kirchen umgenutzt.

In Libanons Hauptstadt Beirut sind die kriegszerstörten Viertel in fester Hand der islamistischen Hisbollah, wenngleich diese inzwischen aus dem hochmodernen Stadtzentrum vertrieben ist. In den dunklen Seitenstraßen, den Flüchtlingslagern und den zerstörten Quartieren kontrollieren die Islamisten die Grundversorgung. In der indischen Metropole Mumbai werden öffentliche Räume zur Bühne für religiöse Spektakel genutzt, plötzliche und lautstarke Ansammlungen religiöser Gemeinschaften ziehen die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Über Lautsprecher und Plakate, in Motorradkolonnen oder Prozessionen, durch eigene Fernsehsender oder auf Friedhöfen – religiöse Gemeinschaften demonstrieren ihre Präsenz und besetzen urbane Räume.

Diesen neuen religiösen Bewegungen in großen Metropolen nimmt sich aktuell eine Ausstellung in Berlin an. Die internationale Kunstausstellung The Urban Cultures of Global Prayers erkundet Themen, die »das Verhältnis zwischen neuen urbanen Religionsgemeinschaften, Stadtplanung und Staatlichkeit, Selbstorganisation, Medialität, Alltagskultur und die Lokalisierung transnational agierender Akteure« beleuchten, heißt es im Begleittext der Ausstellung. Dabei belegt die Kunstschau, wie religiöse Bewegungen und Strömungen unter den Bedingungen der Globalisierung nicht nur global gesehen auf dem Vormarsch sind, sondern wie sie sich an diese Bedingungen anpassen, die gleiche Flexibilität und Wendigkeit entwickeln, wie sie ihnen die liberalisierte Gegenwart vorgibt und so die urbane Topographie verändern. Sie bedienen sich der städtischen (sub-)Kulturen, durchdringen diese und machen sie sich zunutze – ob durch Islamic Hip-Hop oder christliche Hollywood-Streifen. Letztere kursieren übrigens als Nollywood-Filme durch die globalen Netze – Nollywood, nach Bombais Bollywood nun Nigerias Filmzentrum für die religiöse Propaganda.

Unabhängig, mit welcher Strömung man es zu tun hat, ob mit Pfingstlern, Islamisten, Hinduisten oder Buddhisten – die Religiösen von heute treten sowohl als wirtschaftliche wie auch als politische Akteure auf und ersetzen im sozialen Sinne nicht selten die Rolle des Staates. In Mumbai, Rio de Janeiro, Istanbul und auch in Berlin entstehen neue religiöse Kulturen abseits der organisierten Kirchen. In Berlin etwa kann man die Freikirchen als Beispiel heranziehen, wenngleich diese mit einem eigenen Religionsunterricht als durchaus organisiert einzuschätzen sind.

Berlin ist als Ausstellungsort ausgewählt worden, da es in der deutschen Hauptstadt nicht nur eine wachsende Zahl an Freikirchen, sondern inzwischen über dreihundert Religionsgemeinschaften gibt. Das Ambiente der Kunstschau in Kreuzberg ist passend gewählt, ist der Bezirk doch das multikulturelle Zentrum der Stadt.

Im Eingangsbereich wird man von einem grellen Licht geblendet. Ist das ein schlecht positionierter Scheinwerfer? Oder die gewollte Absicht der Aussteller, den Ausstellungsbesucher zu blenden, so wie mancher religiöse Scharlatan seine Jünger mit allzu verlockenden, weil simplen Antworten in der hochkomplexen Gegenwart blendet? Der Ausstellungsraum scheint auf den ersten Blick nicht ideal gewählt. Er wirkt zu klein, viele Exponate sind eng aneinandergereiht, wobei es schwer fällt, sich nur auf eine Sache zu konzentrieren. Dennoch taucht man in eine fremde Welt ab und ist durchaus auch fasziniert von der Verführungskunst so mancher religiösen Praxis.

Die Ausstellung besteht aus 14 überwiegend aus dem Bereich der Fotografie und der Videoinstallation stammenden Arbeiten von Künstlern aus insgesamt zwölf Ländern. Auf die künstliche Distanz wird in allen Exponaten verzichtet. Darin liegt der Reiz der Bilder, aber eben auch ihre Verführbarkeit. An den Wänden wechseln permanent Filmsequenzen, man fühlt sich hineinversetzt in eine andere Kultur, als wäre man quasi vor Ort. Dazu kommen sich gegenseitig überlagernde Töne. Das passt ins Bild und ist vielleicht sogar gewollt. Man fühlt sich wie in Bombay zur Hauptverkehrszeit und ist live dabei beim Schaffen religiöser Innovationen, wie sie die Schau »jenseits ideologischer Debatten um das ‚Wiedererstarken der Religionen’ dokumentieren will«.

Doch Vorsicht! Denn Religion ist nicht eo ipso gut! Und auch nicht grundsätzlich schlecht. Man ist eben aufgefordert, zu bewerten und Stellung zu beziehen. Doch weder Künstler noch Initiatoren wollen dies scheinbar tun. Die zeigen das weltweit auszumachende Phänomen religiöser Bewegungen, ohne es einzuordnen. Aber gerade das wäre notwendig, will man im künstlerischen Sinne etwas erreichen. In der momentanen Form ist die Schau eine durchaus spannende, aber eben nur willkürliche Bestandsnahaufnahme ohne Aussage. Sie will nur feststellen, was es gibt, jedoch ohne vollständig zu sein. Beim Besuch dieser Ausstellung entsteht ein Mehr an Wissen über die Existenz bestimmter religiöser Praktiken in Metropolen. Es entsteht auch eine Idee davon, wie sich diese religiösen Gemeinschaften die Stadt und den öffentlichen Raum aneignen. Aber ob das gut oder schlecht für die Menschen ist, darüber erfährt man nichts. Das ist in etwa so, als würde man heute feststellen, dass der Neoliberalismus die Welt ergriffen und verändert hat, und anschließend unterschlagen, dass dies zum Nutzen Weniger und zu Lasten vieler geschehen sei.

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