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Niemand kann ein Mammut alleine essen

Der US-amerikanische Kultursoziologe Richard Sennett und der Buchautor Richard David Precht unterhielten sich auf dem 12. Internationalen Literaturfestival in Berlin über bösen Kapitalismus und gelingende Kooperation. Anlass war die Vorstellung des neuen Buches »Zusammenarbeit« von Richard Sennett, das Ende August erschienen ist.

»Quid pro quo! Ich erzähle ihnen was, Sie erzählen mir etwas. (…) Quid pro quo.« In Jonathan Demmes Film Das Schweigen der Lämmer fordert der psychopathische Mörder Hannibal Lector von der FBI-Agentin Clarice eine Gegenleistung für seine Zusammenarbeit. Wenn du mir etwas gibst, dann bekommst du auch etwas dafür. Weder sind sie sich sympathisch, noch teilen sie denselben Lebensraum oder haben einen gemeinsamen Feind. Doch eines eint sie: die Erwartung eines Gewinns. Beide versuchen einen Nutzen aus ihrer Zusammenarbeit zu ziehen. Beide sind Profiteure ihrer Kooperation.

Doch etwas stimmt nach Ansicht Sennetts und Prechts nicht an diesem einfachen Modell menschlicher Zusammenarbeit. Zumindest darin waren sich die beiden Denker an diesem Abend einig: Der Wert menschlicher Kooperation bemisst sich nicht nach seinem Ergebnis. »Es gibt so ein Urmodell der evolutionären Biologen, die sagen, die Kooperation des Menschen sei entstanden, weil man ein Mammut nicht alleine jagen kann. Es fehlt dieser Geschichte die zweite Hälfte: Niemand kann ein Mammut alleine essen«, spitzte Richard David Precht seine Kritik an der biologistischen Erklärung menschlicher Kooperation zu. Und erntet das zustimmende Gelächter Sennetts. Auf welche Theorien er dabei zurückgreift, bleibt offen. Vermutlich schafft er sich einen imaginären Gegner, um die Trennschärfe seiner eigenen Ansichten klarer hervortreten zu lassen.

Auch Sennett kritisierte die Einseitigkeit gängiger Erklärungsmodelle: »In der natürlichen Welt gründet die Kooperation nicht notwendigerweise in ökonomischen Prinzipien«, beschreibt er seine Kritik am Kosten-Nutzen-Kalkül zur Erklärung menschlichen Verhaltens. Ohne Frage gründe die Zusammenarbeit im natürlichen Verhalten. Natürlich hätten wir keine Wahl. Ein Kind könne nichts lernen, ohne zu kooperieren, so Sennet. Die zweite, die vermutlich bessere Hälfte, müsse aber neu gedacht werden, weil die Alleinherrschaft die ersten verheerenden Konsequenzen zeitigte und noch zeitigt.

»In den letzten dreißig Jahren ist ein Art Kapitalismus entstanden, die Hochfinanz und Hochtechnologie. Auf diesen Gebieten existieren kooperative Handlungen als eine Art Lüge. Als Teamwork.« Dies sei die Mentalität der Davos-Manager, die die Ideen über menschliche Zusammenarbeit dominiere, so Richard Sennett. Die Ethik des profit-and-loss habe sich auf andere Bereiche ausgedehnt und zu »außerordentlichen Profiten für sehr wenige Menschen« geführt. Die informelle Weise der Zusammenarbeit sei zugunsten einer effizienten zerstört worden. Die neo-liberale Ideologie ist zur Natur des Menschen erklärt worden. Aber der Kapitalismus sei »nicht normal, es ist etwas sehr Außergewöhnliches«, so die pessimistische Kritik an der Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Sennett fordert eine Diskussion über die sozialen Grundlagen der Ökonomie. Doch leider habe er auch keine Lösungen für dieses Problem. Hat er nicht? Hat er doch! Oder zumindest Ansätze.

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Richard Sennett: Zusammenarbeit. Was unsere Gesellschaft zusammenhält. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Hanser Berlin 2012. 416 Seiten. 24,90 Euro. Hier bestellen

Tatsächlich diagnostiziert der Soziologe einen »Zusammenbruch der Kooperation«, einen Verlust sozialen Verstehens, oder eben einfach »eine Schwächung der Fähigkeiten kooperativen Verhaltens«. Wir seien immer weniger in der Lage, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die anders seien, die wir nicht verstünden und die wir nicht mögen. »Das Ausmaß der Sympathie bestimmt auch die Empathie«, fasst Precht gewohnt griffig zusammen. Doch Sennett möchte die Weise, wie wir zusammenarbeiten, neu denken. Leider, indem er auf Altbewährtes zurückgreift: die bildenden Künste und die Musik. Das ist zumindest enttäuschend. Denn dem Bereich der Kunst wird sowieso und klassischerweise Zweckfreiheit unterstellt, sodass sie sich der kapitalistischen Verwertungslogik entzieht. Andererseits kann Sennett gerade durch die Beschreibung der spezifischen Weise, wie Musiker in einem Orchester kooperieren, alternative Ressourcen und Fähigkeiten benennen: Kein Musiker würde um des Ergebnisses willen Musik machen. Der Prozess selbst stehe im Vordergrund. Dieser »prozessualen Kooperation« lägen entsprechende »dialogische Fähigkeiten« zugrunde oder einfach »die Fähigkeit des Zuhörens«: Intuition und Phantasie.

Zwei Argumente Sennetts, »warum wir nicht im biologischen Sinne Handelsbeziehungen unterhalten«, haben ihn, Precht, besonders beeindruckt. Zum einen, dass Menschen in der Lage seien, sich selbst zu belohnen, indem sie sich gut fühlten, wenn sie ethisch handelten. Zum anderen die Fähigkeit des Menschen zur Fiktion, wie der Philosoph etwas überraschend ausführt. »Menschen sind in der Lage sich jede Menge einzubilden, über sich und über ihr Leben.«

Dadurch würden sie ihrem Kooperationspartner eine Art »symbolisches Kapital« oder einfach nur ein gutes Gefühl schenken. Warum sonst gingen wir nicht einfach zum Bäcker, knallten unser Geld auf den Tresen und zeigten ausdruckslos auf die gewünschten Artikel. Warum sonst haben wir Menschen so ein Vergnügen daran, uns über Belanglosigkeiten zu unterhalten, so zwei Beispiele Prechts.

Doch spätestens hier wird klar, dass die beiden Kooperationspartner Sennett und Precht zwar nicht direkt aneinander vorbeireden, jedoch zumindest unterschiedliche Ziele verfolgen. Während Precht das Gespräch immer wieder anekdotisch zuspitzt, um seine eigenen Thesen griffig anzubringen, so geht es Sennett darum, alternative Ressourcen der Kooperation aufzuspüren. Um den Titel des Buches, um das es eigentlich gehen sollte, hier zumindest einmal anzubringen, sei erwähnt, dass sich die Zusammenarbeit beider als gestört erwies. Denn erstaunlicherweise ging Sennett kaum auf die wohlwollende Rede Prechts ein. »Ich muss mehr über Sie erfahren«, quittiert er höflich zurückhaltend die lange Rede Prechts. Und später: »Deutsch scheint mehr Worte zu benötigen als Englisch.«

Die Geister scheiden sich in einem weiteren Punkt: in der Bewertung kapitalistischen Wirtschaftens. Während der Kapitalismus für den US-Amerikaner das Schlechte und dessen Geschichte ein einziger Niedergang sozialer Beziehungen ist, so sieht der andere in ihm neue Möglichkeiten. Vermutlich ist das einfach nur eine Frage der Perspektive: Lebt Sennett im Mutterland des Turbokapitalismus, so Precht im Land der sozialen Marktwirtschaft. »Ich hätte nach Deutschland ziehen sollen«, ruft Sennett sehnsüchtig und leicht ironisch aus. Doch ob die zuletzt diskutierten Individualisierungstendenzen moderner Gesellschaften mehr Chancen oder doch mehr Risiken für die Zusammenarbeit der Menschen beinhalten, ließ sich an diesem Abend nicht abschließend klären.