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»Nicht die gierigen Bänker sind schuld!«

Wie kann sich die Politik gegenüber den Anforderungen, die Wirtschaft und Gesellschaft stellen, selbst behaupten? Mit Herfried Münkler widmete sich kürzlich einer der renommiertesten Politologen Deutschlands dieser Frage.

An einem Sonntagmorgen einem politischen Vortrag zu lauschen, erfordert normalerweise einige Überwindung. Nicht aber, wenn Herfried Münkler spricht. Knapp zweihundert Zuschauer lauschten in Berlin Ende September den Ausführungen des Lehrstuhlinhabers für Politische Theorie an der Berliner Humboldt-Universität. Und der sagte, dass nicht die gierigen Bänker Schuld an der aktuellen Krise der Demokratie seien, sondern die unterschiedlich großen Zeitfenster von politischen und ökonomischen Entscheidungen, das Ausbleiben politischer Alternativen sowie die mangelnde Urteilsfähigkeit des Bürgers! Rumms. Das hatte gesessen. Es hätte so einfach sein können.

Münkler schaute kurz auf, taxierte sein in Schockstarre versetztes Publikum und holte aus zu einem einstündigen Vortrag, der es in sich hatte. Die Krise der Demokratie sei zum großen Teil selbst herbeigeführt. Denn bis heute seien nicht einmal Überlegungen veranstaltet worden, wie die politischen Prozesse, in denen sachgerechte und mehrheitsfähige Entscheidungen getroffen werden sollen, an die Herausforderungen der digitalen Moderne angepasst werden können. Gaben Parlamente früher den Zeitrahmen politischer Entscheidungen vor, geschieht dies heute durch die vernetzten Börsen und Mediennetzwerke. Das »Zeitalter langer Legitimationsprozesse« sieht Münkler dem Ende entgegen gehen. Be- und Entschleunigung des politischen Alltags müssten an die neuen Herausforderungen angepasst werden. Die Euro-Krise schwebte im Raum und als Zuhörer musste man – ob das gefiel oder nicht – anerkennen, dass dieses Argument nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Man kann die Wirklichkeit nicht zur Seite schieben.

Die Legitimation politischer Entscheidungen sei künftig aber dennoch nötig, so Münkler. Die herrschenden governance-Praktiken, denen zufolge alles, was gut läuft, automatisch als legitimiert angesehen werde, weil es gut läuft, führten in die demokratische Leere. Münkler forderte die Rückkehr zum Prozess der Alternativenbildung. Hier sei insbesondere die Opposition in der Pflicht. Statt populistische Ja-Nein-Optionen zur Abstimmung zu geben, sollte sie inhaltliche Alternativen herausarbeiten und zur Abstimmung geben. Eine politische Klasse, die aufgehört habe, Meinungen zuzuspitzen und Alternativen zu bilden, habe die Demokratie unnötig in Gefahr gebracht. Erst eine »neue Kultur der Kontroverse« könne der Demokratie helfen, sich selbst zu behaupten.

Eine solche Kultur brächte die Ernsthaftigkeit wieder in eine Sphäre zurück, die momentan nahezu inhaltsleer ist. Es sei nicht so, dass die Bürger nicht in der Lage wären, sich ein Urteil über politische Fragen zu bilden, meinte Münkler. Sie tun das momentan aber nicht, da es nur über Ja oder Nein abzustimmen gilt. Debatten über tatsächliche Alternativen würden den Einzelnen motivieren, sich Kompetenz anzueignen und sachgerechte Entscheidungen zu treffen.

Dieser ehrliche Diskurs ist Voraussetzung dafür, die dramatische Frage zu diskutieren, die da lautet: Auf wie viel Wachstum sind wir bereit zu verzichten, wenn es darum geht, nachhaltige Entscheidungen in demokratischen Prozessen zu treffen?

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