Gesellschaft, Politik, Sachbuch

»Die Kirche liebt nur die Kinder, die an Putin glauben«

Vor einem Jahr führten Mitglieder der russischen Punk-Band Pussy Riot ihr »Punk-Gebet« in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale auf. Bei ihrem 40-sekündigen Auftritt protestierten sie gegen die enge Verbindung zwischen dem russischen Staat und der russisch-orthodoxen Kirche. Drei Bandmitglieder wurden wegen »Rowdytums aus religiösem Hass« festgenommen und zu Lagerhaftstrafen verurteilt. Ein Schauprozess erster Güte, das Buch »Pussy Riot! Ein Punkgebet für Freiheit« zeigt.

»Patriarch Gundjajew glaubt an Putin. Glaub stattdessen lieber an Gott, du Mistkerl! … Jungfrau Maria, heilige Muttergottes, räum Putin aus dem Weg, Räum Putin aus dem Weg, räum Putin aus dem Weg!« Es sind diese Zeilen, die Nadeschda Andrejewna, Marija Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch für Monate in Untersuchungshaft und die beiden erstgenannten für zwei Jahre in ein russisches Straflager gebracht haben. Gesungen hatten Sie diese am 21. Februar in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale, woraufhin sie festgenommen und ihnen der erste russische Blasphemie-Prozess seit 1917 gemacht wurde. Internationale Menschenrechtsorganisationen haben die Bandmitglieder als politische Gefangene anerkannt.

Das rigide Vorgehen der russischen Regierung und dessen Befürwortung durch die erzkonservativen religiösen Autoritäten Russlands sowie den Vatikan hat die russische Gesellschaft tief gespalten. Außerhalb von Russland haben der Schauprozess gegen die drei Bandmitglieder und die Verurteilung der Frauen für Empörung und Protest gesorgt. Die Freiheit der Kunst angesichts der engen Verbindung von Religion und Politik in Russland wurden diskutiert. Internationale Künstler und Bands wie Sting, Madonna, Paul McCartney, Faith No More, Franz Ferdinand und die Red Hot Chili Peppers solidarisierten sich mit den russischen Künstlerinnen. Das russische Magazin Snob verlieh der Band den Preis für das »beste Kunstprojekt des Jahres«, Amnesty International und die Witwe von John Lennon, Yoko Ono, zeichneten die Band mit dem Lennon-Ono-Friedenspreis aus. Und die Stadt Wittenberg nominierte die Band für den Luther-Preis »Das unerschrockene Wort«.

Spätestens diese Nominierung trug die Debatte um die Kunstaktion der Musikerinnen, deren politisch-juristische Instrumentalisierung und menschenrechtliche Dimension nach Deutschland. Denn jetzt protestierten selbst evangelische Theologen gegen die Nominierung und bezeichneten das Punkgebet in einer Kirche als Blasphemie. Selbst der DDR-Bürgerrechtler und Theologe Friedrich Schorlemmer verstieg sich zu der Aussage, dass eine Lutherstadt keine »Gotteslästerung« ehren sollte. Ausgerechnet Schorlemmer, der Mitglied im Demokratischen Aufbruch und Mitherausgeber des Freitag war, der die politisch-wissenschaftliche Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik herausgibt, der PEN-Mitglied und als Globalisierungskritiker auch attac-Mitglied ist, Träger der Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte und des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels ist und als einer der »streitlustigsten, provokantesten und umstrittensten Aktivisten der ehemaligen DDR-Opposition« gilt, kritisierte die Kritik an der nicht-theologischen Verbindung von Politik und Glaube.

Ihm und all jenen, die sich seiner Kritik an den russischen Künstlerinnen anschließen, sei die Nautilus-Flugschrift Pussy Riot! Ein Punkgebet für Freiheit empfohlen. Sie versammelt neben dem tatsächlichen Text des Punkgebets und anderer Protestsongs, die die Band vorher im öffentlichen Raum ungestraft vortragen konnte, Briefe der Bandmitglieder aus dem Gefängnis, Auszüge aus den Prozessprotokollen, das hanebüchene Plädoyer des Staatsanwalts, die Plädoyers der Verteidigung sowie die Schlusserklärung der drei Frauen. Die Lektüre dieser knapp 130 Seiten öffnet die Augen für Ablauf und Logik dieses Schauprozesses, in dem nichts anderes verfolgt wurde, als ein Exempel zu statuieren.

Man muss gar nicht der Argumentation der Frauen folgen, die immer wieder betonen, dass sie höchsten Respekt für das orthodoxe Christentum hegen und es ihnen keineswegs um das Beleidigen des Höchsten ging, will man den Skandal in diesem Prozess erkennen. Es reicht, wenn man die Aussagen der Verteidigung zum Ablauf des Prozesses liest.

Cover
Pussy Rot! Ein Punk-Gebet für Freiheit. Mit einem Vorwort von Laurie Penny. Aus dem Englischen von Barbara Häusler. Edition Nautilus 2012. 128 Seiten. 12,90 Euro. Hier bestellen

Aber nehmen wir die Aussagen der Band zu ihren Beweggründen zur Kenntnis! »In besagtem Gebet bringen wir unseren Ärger darüber zum Ausdruck – den wir mit Millionen von Christen teilen –, dass Sie es der Religion gestattet haben, zur Waffe in einem schmutzigen Wahlkampf zu werden, dass Sie die Gläubigen gedrängt haben, für einen Menschen zu stimmen, der von Gottes Wahrheit weit entfernt ist«, schrieb die Band an den Patriarchen Kyrill, der im Wahlkampf die christlich-orthodoxen Gläubigen aufgefordert hatte, ihre Stimme Wladimir Putin zu geben. Dies zu kritisieren, nicht aber Gläubige, den Glauben oder Gott zu beleidigen, war Anliegen ihrer Aktion, wurden die Frauen und ihre Verteidiger nicht müde zu betonen. »Unser Beweggrund war ein rein politischer und künstlerischer«, erklärte Nadeschda Tolokonnikowa zu Prozessbeginn. Aber die Kirche liebe augenscheinlich nur die Kinder, die auch an Putin glauben, erklärte Marija Aljochina zu Prozessbeginn.

Der staatliche Justizapparat hatte sich schnell festgelegt. Aus der Ordnungswidrigkeit, in den Altarraum vorzudringen (was nach kirchlichen Regeln [!] untersagt ist), wurde – »durch die Einflussnahme der administrativen, politischen und religiösen Eliten« (Maria Aljochina) – eine juristische Anklage wegen »Rowdytums« in Verbindung mit »religiösem Hass«. Dass dem Prozess auch ein anti-feministischer Impetus innewohnt, legen die ausgewählten Auszüge aus den Prozessprotokollen nahe. Sie geben jedoch nur einen Einblick, lassen keine abschließende Bewertung zu, so dass sich hier nur die Mutmaßung formulieren lässt, dass die patriarchalen Strukturen in Russlands Gesellschaft tief verwurzelt sind. Und wenn der Staatsanwalt in seinem Plädoyer erklärt, dass der Auftritt der Band in der Kathedrale »eine tiefe Kränkung und Beleidigung der Gläubigen« erfülle, dass das Springen und Hopsen in Strickmützen und schulterfreien Oberteilen dem Tatbestand des Rowdytums entspreche und die Frauen eine Gefahr für die Gesellschaft darstellten, weiß man, welch modernitätsfeindliches Menschenbild hier zum Ausdruck kommt.

All das ließe sich möglicherweise für religiöse Hardliner immer noch verstehen, aber spätestens bei der Lektüre der Plädoyers der drei Verteidiger muss der Bürgerrechtler in Friedrich Schorlemmer dem Theologen das Stoppschild vorhalten. Denn dieser Prozess ist weit entfernt von den juristischen Mindeststandards, ein faires Verfahren hat es nie gegeben. Die Verteidiger waren zu keinem Zeitpunkt in der Lage, einer tatsächlichen Verteidigung nachzukommen, denn sie kannten die Akten zum großen Teil gar nicht. Auch den Angeklagten wurde Akteneinsicht verwehrt. Vertrauliche Besprechungen zwischen Angeklagten und Verteidigung waren nicht möglich. Fragen im Prozess durften die Angeklagten nicht stellen, weil sie es ablehnten, sich schuldig zu bekennen. Verfahrensrechtliche Verstöße nahm das Gericht nicht zur Kenntnis. Vielmehr trug es durch einseitige Anhörungen und das Nicht-Zulassen von unabhängigen Gutachtern noch dazu bei, dass dieser politische Prozess nur einen Verlauf nehmen konnte.

In erschreckender Weise sind die Ausführungen der drei Verteidiger erhellend, denn sie führen zum einen ein System vor, dass derart offensichtlich zielgerichtet ist, das man daran nicht vorbeischauen kann und entlarven damit zum anderen die Chuzpe des russisch-religiösen Machtapparats, der menschenrechtlichen Mindeststandards keinerlei Beachtung zukommen lässt. Es ist zu erwarten, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dies genauso sieht, vor dem die drei Musikerinnen Russland nun wegen Verstößen gegen die Meinungsfreiheit, Menschenwürde, faire Verhandlungsbedingungen und das Folterverbot verklagen. Die Nautilus Flugschrift liefert allen Laien bereits jetzt notwendige Grundlagen für diesen Prozess.

Was das repressive Putin-Regime mit dem Prozess gegen die Punk-Band erreichen wollte, nämlich sie klein machen und zum Schweigen bringen, ist aufgrund dieses skandalösen Prozesses nach hinten losgegangen. Nicht das Punk-Gebet, sondern dessen politisch-religiöse Instrumentalisierung zur Unterdrückung von Kunst-, Glaubens- und Meinungsfreiheit haben die internationalen Proteste hervorgebracht, die dem Ansehen Russlands innenpolitisch und außenpolitisch nachhaltig geschadet haben.

»Was das System erhoffte, ist nicht eingetreten. Russland verurteilt uns nicht, und mit jedem Tag, der vergeht, glauben mehr Menschen an uns und daran, dass wir frei sein sollten statt hinter Gittern. … Jeden Tag begreifen mehr Menschen, dass, wenn das System drei junge Frauen, die vierzig Sekunden lang in der Christ-Erlöser-Kathedrale aufgetreten sind, mit derartiger Vehemenz angreift, dies nur bedeutet, dass dieses System die Wahrheit, Ehrlichkeit und Geradlinigkeit fürchtet, für die wir stehen«, sagte Nadeschda Tolokonnikowa in ihrer Abschlusserklärung. Und Marija Aljochina entgegnete dem Gericht: » Denn alles, was Sie mir nehmen können, ist ‚sogenannte‘ Freiheit. Es ist die einzige in Russland existierende Form. Doch meine innere Freiheit kann mir niemand nehmen.«

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