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Von Teufeln und erbitterten Feindschaften

Der französische Kunsthistoriker Daniel Arasse und die deutsche Kunstjournalistin Kia Vahland zeigen in ihren Betrachtungen der Renaissancekunst, wie sich das humanistische Menschenbild den Weg bahnte.

Von Intimität geprägt war auch die tiefe Rivalität der beiden Maler Michelangelo und Raffael, die Anfang des 16. Jahrhunderts gemeinsam am Hof des römischen Papstes zu Gast waren. Kia Vahland, die sich für das Kunstressort in der Süddeutschen Zeitung verantwortlich zeichnet, erzählt in Michelangelo & Raffael von dieser Intimfeindschaft im Rom der Renaissance.

Es ist das Duell zweier Genies, das Vahland hier im Stile einer Romanautorin vor Augen führt. Während sich der zur Bildhauerei und Einsamkeit berufene Michelangelo frustriert an der Decke der Sixtinischen Kapelle zu schaffen macht, weil ihm die Decke »unter seinen Pinselhieben« wegschimmelt, sieht sich der kommunikative Jungstar der römischen Malerszene Raffael grundsätzlich im Schatten Michelangelos gestellt. Er macht sich einen Steinwurf von der Sixtinischen Kapelle in den Stanzen im Apostolischen Palast zu schaffen und entwirft dort das Idealbild einer harmonischen Welt.

Michelangelo und Raffael
Kia Vahland: Michelangelo & Raffael. Rivalen im Rom der Renaissance. Verlag C.H.Beck 2012. 207 Seiten. Mit 54 Abbildungen. 21,95 Euro. Hier bestellen

Die Rivalität zwischen Michelangelo und Raffael ist auch eine zwischen »Jüngstem Gericht« (Michelangelo) und »Schule von Athen« (Raffael), der »Erschaffung Adams« (Michelangelo) und dem Dialog zwischen Platon und Aristoteles (Raffael).

Kia Vahland nimmt ihre Leser mit auf eine Reise ins 16. Jahrhundert und führt ihnen Herkunft, Werdegang und die gegenseitige Auseinandersetzung dieser beiden Ausnahmekünstler vor, die mit ihren Gemälden und Plastiken Antworten auf das humanistische Menschenbild und dessen Versöhnung mit dem Sakralen suchten. Dabei beschreibt sie nicht nur die offensichtlich feindseligen Akte und Handlungen der beiden, sondern – und dies macht dieses Buch besonders lesenswert – zeigt auf, wie die persönlichen Schwächen im Vergleich zum Rivalen als Ansporn dienten, sich weiterzuentwickeln und mit Farben, Mischverhältnissen, Untergründen und Techniken zu experimentieren. Erst diese ständige Weiterentwicklung machte Michelangelo und Raffael zu den Ausnahmekünstlern, als die sie uns heute noch erscheinen, deren Werke so nachhaltig das Bild des Menschen und den Blick auf den Menschen in der Welt verändert haben.

Das Menschenbild wurde in der Renaissance aber auch von anderen Künstlern revolutioniert, wie man in dem beeindruckenden Essay Bildnisse des Teufels von Daniel Arasse erfahren kann. Der Franzose galt in seiner Heimat bis zu seinem Tod im Jahr 2003 als einer der berühmtesten Kunsthistoriker und schuf mit seinen Studien zu Leonardo da Vinci, Jan Vermeer, Mark Rothko oder Anselm Kiefer materialreiche Grundlagenwerke.

Bildnisse des Teufels kommt mit seinen gerade einmal etwas mehr als 100 Seiten wie ein Leichtgewicht daher. Aus kunsthistorischer Warte aber hat es dieses Werk in sich. Arasse führt seine Leser in die Bildgenese des Teufels ein, dessen Reflexion im 15. und 16. Jahrhundert eine bemerkenswerte Veränderung erfährt. Der französische Kunsthistoriker spricht von einer »radikalen Umformung der Teufelsbildnerei«, weg von einem von Anomalien, Unförmigkeit und Mischwesenhaftigkeit geprägten Dämon hin zu einem »Teufel mit menschlichem Antlitz«.

Wie konnte es dazu kommen? Es waren die Humanisten der Renaissance um Giovanni Pico della Mirandola oder Angelo Poliziano, die mit ihren Schriften über den Menschen und seine ihm eigene Würde auch das Bild des Menschen veränderten. »Bedingung und Praxis der dignitas hominis, der Menschenwürde, liegt darin, dass auch das Teuflische dem Menschen selbst innewohnt; als einzige Kreatur ist er frei erschaffen worden, daher kann der Mensch sich bis zu Gott erheben, aber er kann bekanntlich auch bis zum Tier, bis ins Teuflische hinabsteigen.« So beschrieb schon 1926 Ernst Cassirer die Sichtweise der Renaissancehumanisten.

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Daniel Arasse: Bildnisse des Teufels. Aus dem Französischen von G. H. H. Mit einem Essay von Georges Bataille. Verlag Matthes & Seitz Berlin. 134 Seiten. Mit 25 Abbildungen. 17,90 Euro. Hier bestellen

Ursächlich für diese Umdeutung war auch die durch die humanistische Wiederbelebung der griechischen Philosophie in Bedrängnis geratene Ikonografie des Teufels. Der Satyr als mit behuften Füßen und gehörntem Kopf konnte nicht mehr als Sinnbild des Dämonischen dienen, da das Motiv des gehörnten Bocksfüßers nun wieder an die Gestalt des antiken Satyrs abgetreten wurde.

Mit dieser ikonografischen Verschiebung ging auch eine Transformation der Funktion des Teufels in der Kunst einher. Die Ent-Sakralisierung und Verweltlichung des Teuflischen als negative Charaktereigenschaft des Menschen entledigte die Teufelsfigur nahezu vollkommen ihrer religiösen Funktion.

Die Ausgestaltung des Teufels wurde zum Qualitätsmerkmal des Künstlers selbst, als »Groteskendekor« wurde das zusammengesetzte Ungeheuer zur künstlerehrenden Bildgestalt. In Luca Signorellis Fresken im Zyklus von Orvieto, auf dem Blatt mit den fünf grotesken Köpfen von Leonardo da Vinci oder in Albrecht Dürers anomalienhaften Christus-Gestalten lässt sich die »gerade Linie [des Menschen] mit der überkommenen Bildlichkeit des Teuflischen« erkennen. Das Teuflische wurde zur Dimension des Menschlichen.

Daniel Arasse‘ Text zeichnet sich durch ein hohes Maß an Quellensicherheit aus. Im Original äußert sich das in einem nackten Text mit typografisch verunstalteten Originalzitaten. Dem namentlich nicht genannten Herausgeber (G.H.H.) ist es zu verdanken, dass man mit der deutschen Ausgabe einen wunderbar illustrierten Text inklusive der vollständigen Quellenzitate in der Hand hat, der dieses Schlüsselwerk des Humanismus zur vollen Entfaltung und Wirkmächtigkeit bringt.