Geschichte, Philosophie, Sachbuch

Das Herz der radikalen Aufklärung

Was wäre Humanismus ohne Aufklärung? Ganz einfach: Er wäre nicht! Dies erkennt, wer Philipp Bloms grandiose Geschichte über das vergessene Erbe der Aufklärung. »Böse Philosophen« erzählt von bitteren Verleumdungen, gekündigten Freundschaften, enttäuschten Leidenschaften und persönlichen Tiefschlägen.

Im Zentrum dieses Buches stehen zwei radikale Aufklärer, die die säkulare Szene aus den Augen verloren hat – Denis Diderot und Jean-Paul Thiry Holbach. Zwar berücksichtigt Fritz Mauthner beide in seinem vierbändigen Standardwerk Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande (neu im Alibri-Verlag aufgelegt), in die Geschichtsbücher der Religionskritik aber andere eingezogen, – Persönlichkeiten wie Giordano Bruno, Voltaire oder Jean Jacques Rousseau.

Als halbherziger Aufklärer wird Rousseau von Blom in seiner Bedeutung entzaubert. Konsequenter vorangebracht wurde die europäische Aufklärung durch den Franzosen Denis Diderot und den in Deutschland geborenen Baron Jean-Paul Thiry d’Holbach. Erster machte sich als Herausgeber der 28-bändigen Schule des skeptischen Denkens, allen bekannt als DIE Encyclopédie, verdient. Zweiter als Autor des Skandalbuchs Das entschleierte Christentum und Organisator eines der wichtigsten Pariser Salons. Vergessen wurden sie dennoch, da ihre obrigkeitskritischen Gedanken im 18. Jahrhundert zu radikal für die Gelehrtenwelt der europäischen Adelshäuser waren und im 19. Jahrhundert den kolonialen Abenteuern der europäische Nationen und dem Aufstieg des Kapitalismus im Wege standen. Dank Philipp Blom kann man diese radikalen Aufklärer nun wiederentdecken.

Böse Philosophen
Philipp Blom: Böse Philosophen. Hanser Verlag 2011. 400 Seiten. 24,90 Euro. Hier bestellen

Wer meint, die europäischen Aufklärer seien eine geschlossene Gruppe kritischer Denker gewesen, irrt gewaltig. Zwar standen Denis Diderot und Thiry Holbach mit Jean-Jacques Rousseau, David Hume, Jean d’Alembert, Jean Meslier, Adam Smith, Laurence Sterne, Friedrich Melchior Grimm u.v.a. in engem Kontakt, doch waren diese Beziehungen stets schweren Prüfungen ausgesetzt. Die radikale Aufklärung forderte, selbst den engsten Vertrauten in den Salons und Debattenkreisen offen zu widersprechen. So zerbrach die Freundschaft zwischen Diderot und Rousseau daran, das sich Rousseau einen Rest christlicher Hoffnung auf Erlösung bewahrte. Holbach Wertschätzung gegenüber Hume endete, weil dieser sich nicht vollends von der Schöpfungs- und Heilslehre der Kirche verabschieden konnte. Holbach und Diderot hingegen leugneten Gott und gelten daher als böse.

Ihre Haltung ist Ergebnis des eigenen, schmerzhaften Lösungsprozesses vom Religiösen als Konsequenz der Erkenntnis. Beleg dafür ist folgende Szene, zu der es gekommen sein soll, als Holbach Abzüge der Illustrationen für die botanischen Encyclopédie-Artikel in Diderots Werkstatt bewunderte: »All diese Schönheit, begann der Baron [Holbach] wieder und zeigte auf die detailgetreu wiedergegebenen Blumen, Blätter, Blüten und Fruchtknoten, all diese Schönheit muss doch der Beweis einer höheren Intelligenz sein! Diderot sah ihn einfach an, ohne zu antworten, woraufhin Holbach weinend zusammenbrach.«

Die Geschichte der europäischen Aufklärung ist keineswegs die einer kühlen und theoretischen Auseinandersetzung mit Weltanschauungen, Werten und Normen. Sie ist gespickt mit Emotionen, bitteren Verleumdungen, gekündigten Freundschaften, enttäuschten Leidenschaften und persönlichen Tiefschlägen. Dieser Geschichte in Bloms philosophiegeschichtlichem Meisterwerk nachzugehen, ist ein absolutes Lesevergnügen.

Mit spielerischer Leichtigkeit fertigt Blom ein komplettes Panorama der Aufklärung an. Er ordnet diese Epoche in den politischen Kontext Europas und die gesellschaftlichen Großereignisse ein, verknüpft die Entwicklungen mit der zeitgenössischen Literatur und ihrer Wirkung und lässt zahlreiche Anekdoten aus dem Dunstkreis von Diderot und Holbach einfließen. Derart macht er die revolutionäre Bedeutung der Aufklärung für die Deutung des Religiösen, das Verhältnis der Geschlechter oder den Umgang mit der Lust deutlich. Einzig ein weiterer Blick auf Frauen wie Olympe de Gouges fehlt hier. Wer hier mehr erfahren will, muss zu Manfred Geiers Aufklärungsbuch greifen. Dennoch lässt Philipp Blom einen neuen Blick auf den Wagemut der radikalen Aufklärer zu, an die es heute anzuknüpfen gilt.

1 Kommentare

  1. […] Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigt sich Blom gerne auch mit der Philosophie der Aufklärung. In seinem Buch Böse Philosophen verdeutlicht er an den Philosophen Paul Henri Thiry d’Holbach und Denis Diderot, wie sich deren […]

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