Susan Sontag galt als herausragende Publizistin und Ikone der politischen Linken. Im Dezember 2004 starb sie an Krebs. Zwei Bücher blicken auf die größte amerikanische Intellektuelle des 20. Jahrhunderts zurück.
»Ich bin jetzt auch nicht glücklicher, als ich es zu Hause war«, trägt Susan Sontag im Februar 1949 in ihr Tagebuch ein, als sie mit 16 Jahren das Elternhaus für ihr Studium verlassen hat. Noch beherrscht sie leiser Zweifel, doch schon zu diesem Zeitpunkt hat sie ein klares Ziel vor Augen: »Ich möchte schreiben – ich möchte in einer intellektuellen Atmosphäre leben – ich möchte in einem kulturellen Zentrum leben, wo ich jede Menge Musik hören kann – all dies und noch viel mehr, …«
Es ist nicht weniger, als der literarische Auftakt einer Ausnahmekarriere, den diese Zeilen darstellen. Susan Sontag war die amerikanische Schriftstellerin, Publizistin und Filmregisseurin. Noch heute gilt sie als Amerikas brillanteste Essayistin, als Gewissen des linken Amerikas und öffentliche Intellektuelle avant la lettre.
In Chicago studierte sie Literatur, Theologie und Philosophie und heiratete mit 17 Jahren ihren Universitätsdozenten Philip Rieff. Zwei Jahre später brachte sie den gemeinsamen Sohn David zu Welt. 1959 trennte sie sich von Rieff und begann als alleinerziehende Mutter ein neues, von sexuellen Zwängen befreites Leben. In den Folgejahren lebte sie als freie Autorin und Essayistin in Paris und New York. Schnell erlangte sie mit ihren prägnanten und singulären Essays wie »Über Fotografie« oder »Krankheit als Metapher« Weltruhm. Ende der 1980er Jahre lernte sie die amerikanische Fotografin Annie Leibovitz kennen, mit der sie bis zu ihrem Krebstod am 28. Dezember 2004 zusammenlebte.
Susan Sontags Sohn, der Journalist David Rieff, legte im Frühjahr 2009 seine Erinnerungen an die letzten Monate mit seiner Mutter vor. In Tod einer Untröstlichen verarbeitete der Autor und Journalist nicht nur seinen persönlichen Schmerz, sondern wirft auch grundsätzliche Fragen nach dem Umgang mit dem Sterben in einer Gesellschaft auf, die die Existenz des Todes zu leugnen sucht. Nun wirkt er als Herausgeber der Tage- und Notizbücher, von denen seine Mutter mehr als einhundert hinterlassen hat. Unter dem Titel Wiedergeboren liegen jetzt Auszüge aus ihren Journalen von 1947 bis 1963 vor, die Susan Sontag als Mensch präsentieren und die Entwicklung ihrer Philosophie aus der persönlichen Erfahrung von Glück und Unglück nachvollziehbar werden lassen.
Durch die Lektüre dieser Gedanken wird deutlich, dass der von Daniel Schreiber in seiner Sontag-Biografie Geist und Glamour latent geäußerte Vorwurf, die Amerikanerin habe sich als intellektueller Star selbst inszeniert und kultiviert, zu weit geht. Vielmehr galt für Sontag der Camus’sche Ansatz: »Ein Intellektueller ist ein Mensch, dessen Geist sich selbst beobachtet.« Sontags Intellektualität war zuallererst auf die eigene Person gerichtet – schonungslos, radikal und zuweilen an der Grenze zur Selbstzerstörung. Denn Intellektueller ist man »für sich, trotz seiner selbst, ja gegen sich selbst«, wie der spanische Philosoph José Ortega y Gasset in seinem Aufsatz Der Intellektuelle und der Andere feststellte.
Sontags Tagebücher machen deutlich, wie sehr ihre Genese als öffentliche Intellektuelle mit ihrem Privatleben verbunden war. Ihre Aufzeichnungen zu Literatur und Philosophie, Bildung und Politik belegen, warum sie nicht nur Amerikas lauteste, sondern auch klügste Stimme war. Sie listet und kommentiert auf einzelnen Blättern gelesene und zu lesende Bücher oder Zitate und berichtet über die Erwartungen und Wirkungen kultureller und gesellschaftlicher Ereignisse. Über all diesen Listen schwebt Sontags Sehnsucht nach Leben. Ihre Lese-, Schreib- und Reiseprojekte erzählen von der Begierde, den Augenblick mit der größtmöglichen Intensität erleben zu können. »Ich möchte lieber einen Schritt zu weit in Richtung Gewalt und Exzess gehen, als den Moment nicht voll auszuschöpfen.« Diese Gier nach Leben erwuchs aus ihren privaten Beziehungen und den damit verbundenen Bedürfnissen und Hoffnungen, Ängsten und Nöten.
Ihre intellektuelle Auseinandersetzung mit der Gegenwart fand stets auch vor dem Hintergrund ihres persönlichen Befindens statt. Dabei ermöglicht Wiedergeboren einen neuen Blick auf die Privatperson Susan Sontag. Die Analysen ihrer Liebesbeziehungen mit Philip Rieff (»… es war alles nur Gerede …«) und Harriet Sohmers (»Diese Leidenschaft ist eine Krankheit …«) sowie die Konflikte in ihrer Rolle als Mutter (»Vielleicht sollte ich David weggeben.«) und Tochter (»Ich war nicht das Kind meiner Mutter – ich war ihre Untertanin.«) sind in ihrer schonungslosen und tiefgründigen Ehrlichkeit zutiefst ergreifend und anrührend.
»Wenn meine Mutter nur nicht soviel gehofft hätte«, schreibt Rief konsterniert am Ende seines aufwühlenden Erinnerungsbuchs. Es war eine Hoffnung wider die Vernunft, den Tod durch Zukunftspläne verdrängen zu können, die sie an ihrem Lebensende bis zur Selbstverleugnung aufrechterhielt. Die persönlichen Schriften Susan Sontags legen die Ursprünge dieser Verdrängung der Gegenwart durch die Zukunft offen. Gemeinsam mit David Rieffs Erinnerungen bilden sie den irrationalen Deutungsrahmen für die Philosophie der größten amerikanischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts.
Dieser Beitrag erschien in der Zeitschrift Kulturaustausch II/2010
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[…] der er Querverbindungen zu Teju Coles Stadtsoziologie, Naomi Kleins Globalisierungskritik und Susan Sontags Kulturästhetik herstellt. Vor allem aber wirft Lerners unaufgeregte Sebald’sche Prosa die Frage nach Identität […]
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