Gesellschaft, Sachbuch, Zeitgeist

Der gläserne Bürger

Gemeinsam fordern die Schriftsteller Juli Zeh und Ilija Trojanow Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, die Ausspähung der Bürger durch den amerikanischen Geheimdienst zu unterbinden. In ihrer provokanten Streitschrift »Angriff auf die Freiheit« riefen sie schon 2009 dazu auf, dem Ausverkauf der Privatsphäre den Kampf anzusagen.

Die nationale Sicherheit ist seit den Anschlägen auf das World Trade Center im September 2001 zu einem politischen Schlagwort beispielloser Wirkung geworden. Um die terroristische Bedrohung zu verringern, wurden nicht nur in Deutschland rigide Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Mit Juli Zeh und Ilija Trojanow haben sich nun zwei der engagiertesten deutschen Schriftsteller des Themas angenommen und eine radikale Streitschrift verfasst. »Angriff auf die Freiheit« steht über ihrem Essay, in dem sie behaupten, dass der Hauptleidtragende der Geiselnahme der Sicherheit durch die Politik der unbescholtene Bürger ist. Die terroristische Drohkulisse, die Verantwortungsträger aller Couleur permanent an die Wand malen, diene nur noch als Rechtfertigung für das Beschneiden der Bürgerrechte. Eine brisante These mitten im Bundestagswahlkampf, in dem das Thema eine nicht unwesentliche Rolle spielt.

Um eines vorwegzunehmen: Dieses Buch ist plakativ und laut. Zeh und Trojanow argumentieren direkt, simplifizierend, einseitig und polemisch. Wer eine ausgewogene Auseinandersetzung mit den ergriffenen Sicherheitsmaßnahmen sucht, kann dieses Buch ignorieren. Diesen Umstand kann man den Verfassern vorwerfen, im Kern entwaffnen kann man ihre dennoch richtige Argumentation damit nicht. Denn schon der amerikanische Politiker Benjamin Franklin erkannte 1790: »Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.«

Juli Zeh, Ilija Trojanow: Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau der bürgerlichen Rechte. Hanser Literaturverlage 2009. 170 Seiten. 14,90 Euro. Hier bestellen

Der Text ist eine einzige Provokation – und soll es auch sein. Die Verfasser wollen den konformen und gutgläubigen Bürger ansprechen, Menschen wie Achim Angepasst, ein Diederich Heßling unserer Zeit. Zeh und Trojanow kreieren mit ihm den Prototyp des Mann’schen Untertan’s, der sich nicht daran stört, dass seine Regierung stets und ständig die Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Selbst dann nicht, wenn dies seine liberalen Bürgerrechte einschränkt und dazu führt, dass ihn Kameras in der Öffentlichkeit permanent beobachten, der Staat seine Telefonate mithört und seine Onlinedaten zentral speichert. All das bewegt ihn nicht, denn Achim Angepasst hat nichts zu verbergen.

Dies sei der typische Trugschluss, dem die meisten Deutschen erliegen, meinen die Autoren. Viel zu freizügig würden sie ihre persönlichen Daten tagtäglich herausgeben. Folglich stört es sie ebenso wenig, wenn auch der Staat immer mehr in ihre Privatsphäre eindringt und dabei verfassungsrechtliche Grenzen überschreitet. Denn wer an jeder Supermarktkasse seine persönlichen Angaben und Einkaufsgewohnheiten für virtuelle Rabattpunkte preisgibt, um diese später gegen Salatschüsseln und Duschradios einzutauschen, nimmt es auch teilnahmslos hin, wenn der Staat das ein oder andere private Detail zusätzlich in Erfahrung bringen möchte.

Die Stärke dieses provokanten Pamphlets liegt in der Art und Weise, wie beide Autoren die grundlegende Systematik des permanenten Angriffs auf die bürgerliche Freiheit im Namen eines fadenscheinigen Sicherheitsversprechens aufdecken. Sie entlarven die eigens entworfenen Gesetze als »legislative Frühgeburten«, die nicht nur unverhältnismäßig sondern auch völlig ungeeignet für die Terrorismusbekämpfung sind. Zugleich zeigen sie, wie mit Onlinedurchsuchungen und Videoüberwachung die Verbrechensbekämpfung nach vorne verlagert wird und zur Auflösung des rechtsstaatlichen Prinzips der Unschuldsvermutung beiträgt. Hieß präventive Polizeiarbeit früher noch Sozialpolitik und Stadtteilmanagement, trägt sie heute die Namen Überwachung und Generalverdacht.

Zeh und Trojanow verbinden auf intelligente Weise gesammeltes Faktenwissen mit ihrer Schreibkunst. Zugespitzte, aber niemals abwegige Zukunftsszenarien verdeutlichen eindrucksvoll ihre Argumentation. Erst dadurch erhält die im Nebel der Zukunft befindliche Bedrohung der jüngsten rechtstaatlichen Entwicklung Konturen und für den Leser eine nahezu greifbare Realität.

Abschließend fordern sie ihre Leser auf, sich gegen Überwachung und Datenklau zu wehren. Zeh hat dies bereits getan, indem sie im Januar 2008 wegen der Einführung der biometrischen Reisepässe vor das Bundesverfassungsgericht zog. »Verteidigen Sie Ihre Geheimnisse, sie gehören Ihnen!«, ruft sie nun gemeinsam mit Trojanow zum kollektiven Widerstand auf. Mit vereinter Stimme raten sie, verführerisch einfachen Erklärungen zu misstrauen. Wenn sich beide da mal nicht ins eigene Fleisch schneiden.

Dieser Beitrag erschien in der Wochenendausgabe der taz – die tageszeitung vom 4.9.2009

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