Comic

Mit Comics an den Herd

Christophe Blains »In der Küche mit Alain Passard« und Guillaume Longs »Kann denn Kochen Sünde sein« erobern die Küche für die Neunte Kunst – und deren Leser für die kulinarischen Freuden.

Das größte Problem der beiden hier erwähnten »Koch-Comics« sei gleich am Anfang genannt: sie entziehen sich jeder Kategorisierung. Jede Buchhandlung ist angesichts dieser beiden fulminanten kulinarischen Pageturner vor das Problem gestellt, dass sie diese gleich in mehrere Fächer stellen müssten. Guillaume Longs »Kann denn Kochen Sünde sein« und Christoph Blains Starkochporträt In der Küche mit Alain Passard sind gleichermaßen fiktionale wie dokumentarische Literatur, gehören zu dem Amüsantesten, was ich an Ratgeberliteratur bislang in den Händen hielt, glänzen in jedem Sachbuchregal, und sind – natürlich – auch exzellente Kochbücher. Beide Comics stellen uns vor das Luxusproblem der Einsortierung in das eigene Buchregal.

Christophe Blain hat für seinen Porträtcomic den französischen Drei-Sterne-Koch Alain Passard drei Jahre lang begleitet und ihm über die Schulter geschaut. Passard, der einst den Braten zur Kunstform erhoben hat, entschied sich 2001, in seinem Pariser Restaurant »L’Arpège« nur noch Gemüse zuzubereiten. Blain bringt uns diesen Gemüsefetischisten als kochenden Virtuosen und Ästheten nahe, der aus jedem noch so lapidaren Grünzeug etwas zaubert, das mit Worten allein nicht beschrieben werden kann. Das Heu-Eis des Spitzen-Kochs ruft beim Autor den Duft der großmütterlichen Scheune in Erinnerung, ein Mandel-Rum-Keks führt zu gaumenstreichelnden Explosionen und der Geschmack einer Ananas mit Olivenöl, Honig und Zitrone lässt ihm die Tränen in die Augen steigen.

Christophe Blain: In der Küche mit Alain Passard. Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt Verlag 2013. 96 Seiten. 17,- Euro. Hier bestellen

Um ein nicht zu einseitiges Porträt des Spitzenkochs zu zeichnen, ergänzt Blain seine Eindrücke mit den Erfahrungen von Menschen, die täglich mit Passard zusammenarbeiten. Eine junge Köchin berichtet von dem Druck in der Küche, der herrscht, wenn der Meister selbst anwesend ist, und Passards Gärtner erklärt dem wissensbegierigen Blain, mit welchen ökologischen Mitteln er dessen Anwesen beackert, um die besten und aromatischsten Produkte ziehen zu können. Denn der Spitzenkoch und Gourmet ist auch Naturliebhaber und Ökologe.

In dem Comic verrät er Blain einige Geheimnisse seiner Küche, vieles bleibt aber auch als Mysterium eines großen Künstlers stehen. Die Figur des Alain Passard wird all jene, die Blains preisgekröntes Meisterwerk Quai d’Orsay gelesen haben, an die strahlende Erscheinung des französischen Außenministers Villepin erinnern. Man darf sowohl Alain Passard als auch Dominique de Villepin als Sonnenkönige in ihrem Reich begreifen. Blain nimmt uns mit seinen dynamischen Zeichnungen mit in deren leuchtende Welten und verrät sich zugleich als Verehrer schillernder Persönlichkeiten.

Guillaume Longs Kann denn Kochen Sünde sein ist ebenfalls ein Porträt, und zwar eines, dass der Comicautor von sich selbst als avanciertem Hobbykoch und Genießer gezeichnet hat. Ausgangspunkt seines Comics ist sein sehr erfolgreicher Kulinaria-Blog, den er seit Jahren für die französische Tageszeitung Le Monde zeichnet. Dabei bedient er sich zahlreicher Stellvertreterrollen und mimt mal den Experten oder den hilflosen Anfänger, den allwissenden Gourmet oder den ahnungslosen Touristen. Zwischen Wirklichkeit und Fiktion wandelnd macht er so mit Witz und Charme deutlich, wie einfach gutes Essen zubereitet sein und wie gut einfaches Essen schmecken kann.

Guillaume Long: Kann denn Kochen Sünde sein? Ein Comic für Genießer. Aus dem Französischen von Hans Kantereit. Carlsen Verlag 2013. 144 Seiten. 24,90 Euro. Hier bestellen

Um eine Idee dieses im besten Sinne kulinarischen Fanatikers zu bekommen, eine kurze Typologie: Guillaume Long ist Freund warmer Eier direkt aus dem »Hühnerarsch«, kriecht für frischen Bärlauch gern durchs Unterholz, kann zwanzig Fischsorten im Supermarkt auseinanderhalten, erliegt dem Duft von Brathähnchen auf der Straße und trinkt Kaffee nur aus der italienischen Cafétiere. Darüber hinaus ist er passionierter Anhänger der sardischen Tomate, Fürsprecher der Knoblauchmühle, Verfechter des kulinarischen Stadtrundgangs und leidenschaftlicher Streiter des eigenen Raclette-Pfännchens. Kurzum: Guillaume Long ist ein ebenso aktiver wie passionierter Genießer.

Seine „kulinarischen Memoiren“ sind dabei nicht nur höchst amüsant, sondern auch überaus pragmatisch. In die Enttäuschungen und Erweckungen dieses kochenden Gourmets sind Anregungen und Tipps zur Ausstattung der eigenen Küche, zur Warenkunde sowie zur Zubereitung verschiedenster Speisen gestreut. Ganz nebenbei nimmt er seine Leser nicht nur mit auf eine Reise durch die Küchen dieser Welt, sondern kocht sich mit ihnen durch die Jahreszeiten. Zu ernst nimmt er sich dabei nie. Long belehrt nicht, sondern spricht als staunender Küchenmeister über die Faszination von Essen und Trinken.

Diese Begeisterung teilt der Schweizer Freizeitgourmet mit dem Drei-Sterne-Koch Alain Passard. Beide Comics erzählen in unterschiedlicher Weise ansteckend und amüsant von der Zauberei von Gaumenfreuden.

Nachtrag: All jenen, die gern darüber fachsimpeln, in welches Subgenre diese grafische Literatur gehört, ob Comic oder Graphic Novel, sei gesagt: Beide Publikationen gründen in diesem Verständnis ein neues Genre, dass man »Documentary Graphic Cook Book Novel« nennen müsste. Oder einfach »gute Comics«.