Erzählungen, Literatur, Roman

Auf der Suche nach der kosmischen Suppe

Nach dem riesigen Erfolg von »In Zeiten des abnehmenden Lichts« erzählt Eugen Ruge in »Cabo de Gata« von seinem ersten Versuch, seine Familiengeschichte zu erzählen. Vor zwanzig Jahren reiste er dafür nach Andalusien und scheiterte. Ein Glück, wie wir heute wissen.

In der Krise treibt es den Menschen in die Einsamkeit. Kein Rückzugsort könnte abgelegen genug sein, um sich erst dem Mitleid mit dem eigenen Ich und dann seiner reflektierenden Bewältigung zu widmen. Wenn nicht eine einsame Insel, so scheint doch ein Pol oder ein abgelegenes Kap hervorragend geeignet für diesen Rückzug vor der Welt, die bedrohlich dem versehrten Individuum gegenübersteht.

Vor fast zwanzig Jahren sah sich der Schriftsteller Eugen Ruge, der für seinen autobiografisch inspirierten Familienroman In Zeiten des abnehmenden Lichtes 2011 den Deutschen Buchpreis erhielt, von der Welt bedroht. Die Ingredienzen einer sich ausbreitenden Mid-Life-Crisis waren der Verlust der Mutter, sein im Sterben liegender Historiker-Vater, die gescheiterte Liebe und eine  Tochter, die nicht seine ist. Ruge begab sich auf eine Reise der Selbstfindung, die, im Gegensatz zum aktuellen Trend, nicht im unablässigen Pilgern auf dem Jakobsweg besteht, sondern im Rückzug in ein kleines Fischerdorf an der andalusischen Küste, am Cabo de Gata, dem Kap der Katzen. Dort ließ er sich treiben und seine Dämonen auf sich wirken.

 Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Rowohlt Verlag 2011. 432 Seiten. 19,95 Euro. Hier bestellen

Fast 20 Jahre später hat Ruge nun über seine Zeit am Cabo de Gata geschrieben. »Ich habe mir vorgenommen«, schreibt er zu Anfang seiner Erzählung in Rückblenden, »bei dieser Niederschrift keine früheren Aufzeichnungen zu benutzen, nichts was meine Erinnerung auffrischen oder beflügeln könnte«. Er wolle sich auf sein Gedächtnis verlassen und nicht einen sachlich korrekten Rückblick präsentieren. Dies hat seinen Reiz, denn der Leser begegnet hier dem unterdessen vom Ruhm des Erfolges verwöhnten Ruge, der sich innerlich zurückbegibt in eine Zeit, in dem dieser Ruhm alles andere als absehbar war.

In das abgelegene Fischerdorf gelangte Ruge zufällig. Die Metropole Barcelona stieß ihn mit ihren »schwarzen Türmen«, die in den Nachthimmel »stachen wie Lanzen« ab. Zufällig las er in einem Reiseführer von dem »letzten romantischen Fischerdorf«, wo die Boote noch mit der Handwinde aus dem Wasser gezogen werden. Und ihm war klar, das »EL ULTIMO PARAISO DE EUROPA« der Ort war, den er gesucht hatte.

Dort mietet er sich in eine kleine Pension mit mürrischer Gastgeberin ein, der während seines kompletten Aufenthalts kein Lächeln über sie Lippen huschen will. Als wäre Ruge der ungebeten Gast, der dreister Weise ins Paradies eingedrungen ist und dort nun die dörfliche Ruhe stört. Dabei zeichnet er sich in seinen Erinnerungen als das komplette Gegenteil, spricht selbst auch vom »Heimischwerden« in der abgelegenen Idylle. Ruge wird in der andalusischen Hitze manchmal fast zur Illusion und erscheint dem Lesenden dann nur noch als schimmernde Fata Morgana in der flackernden Mittagshitze. Wein trinkend und Billard spielend sinniert er über seinen eigenen Bezug zur Welt, über Glaube und Aberglaube, Rationalität und Vernunft, Eingebildetes und Wirkliches, Bedeutsames und Unbedeutsames. Ruge rührt dabei ordentlich in der »kosmischen Suppe«, wie er an einer Stelle des Romans das innere und äußere Chaos beschreibt.

An anderen Stellen ist er der Stille Beobachter, der reflektierend die Wunder des Lebens dokumentiert. Fasziniert taucht er ein in die Welt der prominent ignorierten Normalitäten ein, für die nur der Flaneur ein Auge hat. So bewundert er poetisch die Kunst des Hühnergöttersuchens oder das Talent der Möwen, mit den zu Wellen laufen: »Stets laufen sie knapp vor dem Wellensaum her, nie weiter als nötig, aber auch immer weit genug und folgen dann wieder in geringstmöglichem Abstand dem abfließenden Wasser, wobei sie das Kunststück auch noch als Schar vollbringen, alle zugleich, in einer einzigen Bewegung, was, um es kurz zu machen, bedeutet, dass diejenigen, die sich am oberen Rand der Gruppe befinden, nicht nur an sich denken, sondern so weit die Uferböschung hinaustrippeln müssen, dass sich auch der Letzte, am unteren Ende, kein nasses Gefieder holt.«

Eugen Ruge: Cabo de Gata. Rowohlt Verlag 2013. 202 Seiten. 19,95 Euro. Hier bestellen

Zum Leitmotiv des Romans wird die Katze, die Ruge in seiner Erinnerung zuläuft und deren Zutrauen er sich mit kleinen Fütter-Einheiten erschleicht. Das geheimnisvolle Tier, in der ägyptischen Mythologie als Göttin der Liebe, der Zeugungskraft, der Stärke und des Guten verehrt, wird bei Ruge zur Stellvertreterin der verstorbenen Mutter und damit zum kindlichen Sehnsuchtswesen in der eigenen Krise. So scheitert diese Beziehung auch in dem Moment, als die Katze ihre Aufmerksamkeit von Ruge weglenkt zum eigenen Nachwuchs, der in ihr heranwächst.

Mitten in seinem Roman erinnert sich Ruge, dass er einen Engländer trifft, dem er anvertraut, dass er gerade versuche, ein Buch zu schreiben. Als Lesende wissen wir, dass es nicht dieses ist, was wir in den Händen halten, denn die damals gemachten Aufzeichnungen hat Ruge nicht erneut konsultiert. Was wiederum die Möglichkeit eröffnet, dass alles auch ganz anders war. Denn es ist eine Binsenweisheit, dass wir im Nachhinein die Dinge verklärter betrachten, als sie sind. Wenn Eugen Ruge in diesem Roman schreibt, dass er diese Geschichte erfunden habe, »um zu erzählen, wie es war«, ist dies eine Verführung des Lesers, der er nicht allzu eilfertig erliegen sollte. Das große Buch, in dem er erzählt, wie es war, entstand dann nicht am Capo de Gata, sondern Jahre später am Berliner Schreibtisch. Ausgezeichnet mit dem Alfred-Döblin-Preis, dem Akzente-Literaturpreis und schließlich auch mit dem Deutschen Buchpreis sollte In Zeiten des abnehmenden Lichts sein größter Erfolg werden.

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