Comic, Interviews & Porträts

»Munch ist der perfekte Comic-Charakter«

Der expressionistische Maler Edvard Munch fasziniert bis heute die Massen. Der Norweger Steffen Kverneland hat rechtzeitig zum 150. Geburtstag des norwegischen Malers eine spektakuläre und bildgewaltige Comic-Biografie vorgelegt, die mit dem Mythos des unverstandenen Künstlers aufräumt. In Norwegen erhielt Kverneland dafür den wichtigsten Literaturpreis.

Vor Jahren haben Sie gemeinsam mit Lars Fiske eine Comic-Biografie über den norwegischen Simplicissimus-Anhänger Olaf Gulbransson geschrieben. Nun haben Sie jeder einen eigenen Comic vorgelegt – Fiske hat sich dem Dadaisten Kurt Schwitters gewidmet, Sie dem Expressionisten Edvard Munch. Wie kamen Sie zu Munch?

Schon immer war ich von seiner Kunst fasziniert. Sie war einer der Gründe, warum ich mit dem Zeichnen nicht aufgehört habe. Wie jedes Kind habe ich gemalt, aber ich habe nicht wie die meisten eines Tages damit aufgehört. Irgendwann erzählte mir jemand von Munch, er sei der beste Künstler und Maler von Norwegen. Und dann habe ich mir seine Kunstwerke natürlich angesehen, auch wenn ich als Kind nicht in der Lage war, zu sehen, wie außergewöhnlich gut seine Arbeiten sind.

Edvard Munch begleitet Sie also schon lange? Ist Ihr Comic also das Ergebnis eines lange gehegten Wunsches?

Nein. Die Idee, ein Comic über Munch zu machen, kam viel später. In den neunziger Jahren habe ich für eine norwegische Zeitung eine Serie gemacht, bei der ich Zitate und Auszüge aus Büchern in Comicform adaptiert habe. Das war alles ziemlich tendenziös. Ich betrieb gesellschaftspolitische Satire und habe mich bemüht, den Autoren wie einen Idioten aussehen zu lassen, indem ich die schlechtesten Passagen der angesagten Bücher ausgewählt habe. Unter den Büchern, die ich als Comicstrip umgesetzt habe, war auch eine frisch und modern geschriebene Biografie von Edvard Munch aus den Vierzigern. Als ich Passagen aus dieser Biografie adaptiert habe, stellte ich fest, dass Munch der perfekte Comic-Charakter ist. Und da hatte ich das erste Mal die Idee, eines Tages einen Munch-Comic zu machen.

Was macht Munch zu einem perfekten Cartoon-Charakter?

Er ist sehr exzentrisch und hat viele auffällige Charaktereigenschaften. Ich glaube, dass das bei vielen Künstlern der Fall ist, weil sie keinen Chef haben, nach dessen Pfeife sie tanzen müssten. Sie entscheiden allein, wie ihr Leben verlaufen soll. Man könnte jetzt einwenden, dass das im Allgemeinen bei allen Menschen der Fall sei, aber die meisten müssen sich irgendwo in ihrem Alltag anpassen und Kompromisse schließen. Aber ein Künstler, der in seiner Kammer sitzt und immer nur malt, der muss sich an keine Umwelt anpassen. Er wird dabei immer kantiger, spleeniger, extravaganter.

Das sieht man ihrem Munch auch an. Sie führen ihn über in einen überzeichneten clownesken Charakter.

Ja natürlich, ich wollte ihm auch diesen Cartoon-Charakter angedeihen lassen, er sollte nicht wie ein netter junger Mann von nebenan aussehen. Aber er hat sich einfach auch wunderbar dafür geeignet. Ich musste quasi nur sein ohnehin ausgeprägtes Kinn überzeichnen und fertig war diese Comicfigur.

Ihr Porträt konzentriert sich in weiten Teilen auf Munchs Berliner Jahre, die seine produktivsten waren. Wie erklären sie sich diese Produktivität? Hat die avantgardistische Umgebung in Berlin etwas in ihm ausgelöst?

Es gibt viele Gründe dafür. Zum einen fand sich Munch in einem intellektuell sehr stimulierenden Milieu zwischen zahlreichen Schriftstellern und Malern wieder. Vor allem Autoren hatten es ihm angetan, in Berlin etwa sein bester Freund August Strindberg oder der polnische Dichter Stanislaw Przybyszewski. Sie waren alle exzentrisch und meinten, die Welt mit ihren Arbeiten verändern zu können. Zugleich ist diese Produktivität aber auch das Ergebnis der jahrelangen harten Arbeit an sich selbst. Munch hat von Anfang an viel an seinem Strich und den Techniken gearbeitet. Er hat sich die absolute Kontrolle über sein Schaffen Stück für Stück erarbeitet – in Berlin konnte er das endlich alles umsetzen. Es war die Phase des Durchbruchs von der Erarbeitung seiner Kunst zu ihrer Anwendung. Und nicht zuletzt muss man sich vor Augen halten, dass Norwegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Dorf war. Munch war in Berlin das erste Mal außerhalb dieses Dorfes. Hier eröffnete sich ihm plötzlich die Welt. Berlin war neben Paris das Zentrum der Welt damals. Nicht umsonst gab es in der Stadt damals so viele Exilanten.

Sie zeichnen in dem Comic auch die intensive Freundschaft zwischen Edvard Munch und August Strindberg nach. Der Comic ist ganz nebenbei auch eine Biografie über ihn. Welche Rolle spielte der schwedische Dramatiker für Munch und seine Kunst?

Er war für Munch überaus wichtig. Strindberg war experimentierfreudig in allem, was er tat. Er malte sogar, wenngleich auf einem bescheidenen Niveau. Aber sein modernistischer, avantgardistischer Zug hatte einen anregenden Einfluss auf Munch. Strindberg sollte eigentlich nur so eine Art Nebenrolle einnehmen, aber es gibt Passagen, da droht er die Geschichte an sich zu reißen. Es war nicht einfach, ihn zu kontrollieren. Sowohl Munch als auch Strindberg waren sehr grundsätzlich, explizit und direkt in dem, was sie dachten, taten und machten. Als Künstler kann ich mich manchmal gut in diesen Charakteren wiederfinden. Nicht dass sie mir sympathisch wären, aber…

Nun, Sie sind auch Künstler. Womöglich liegt es daran.

Ja, vielleicht. Obwohl viele Künstler sehr unaufdringlich sind und nicht anecken wollen. Ich will das gar nicht bewerten, aber ich kann mich eher unter den Exzentrikern der Szene wiederfinden, zu denen auch Munch und Strindberg gehören. Deshalb wollte ich sie auch zeichnen. Man kann einfach gut mit diesen Charakterköpfen und Dramaqueens arbeiten, wenngleich es schwierig ist, sie im Griff zu behalten.

Sie erzählen in ihrem Comic aus vielen verschiedenen Perspektiven. Da gibt es die direkte historische Nacherzählung in einer vergangenen Gegenwart, die Nacherzählung eines auf sein Leben zurückblickenden Edvard Munch, die Stimmen von Zeitgenossen und Freunden sowie die Metaperspektive ihrer eigenen Auseinandersetzung mit dem Thema. Dazu kommen dann noch die zahlreichen Wort- und Bildzitate, die in den Comic eingebunden sind. Wie schwierig war es, die verschiedenen Erzählebenen im Griff zu behalten?

Ehrlich gesagt war das ziemlich schwierig und ich habe mich manchmal gefragt, warum ich mir das eigentlich antue und nicht einfach chronologisch erzähle, was es zu erzählen gibt. Aber das Ganze war zu komplex, um es dann so einfach chronologisch herunterzubrechen. Ich wollte schon vielschichtig bleiben, denn die Wirklichkeit ist nicht einfach. Es gibt viele verschiedene Schichten, aus denen sich die Wirklichkeit zusammensetzt. Und zugleich sollte der Comic einfach und flüssig zu lesen sein, Verwirrung wollte ich vermeiden. Dazu kam, dass ich mit vielen Zitaten gearbeitet habe und deshalb die komplexen Umstände, in denen sie gefallen sind, aufzeigen musste. Das Ganze funktioniert am Ende vielleicht ein bisschen wie das Dogma-Kino von Lars von Trier. Aber der Weg dahin war schwer. Es gab immer wieder Momente, in denen ich dachte, das kann nie und nimmer funktionieren.

Sind diese finsteren Momente der Arbeit die Passagen, in denen sie auf die Metaebene gehen und ihre Gespräche mit Lars Fiske über die Zuverlässigkeit von Quellen oder unterschiedliche historische Interpretationen rekapitulieren?

Nein, meine Selbstzweifel habe ich gar nicht in den Comic aufgenommen. Die Gespräche mit Lars sind wie Fußnoten, die sagen: »Am Ende können wir uns über die genauen Abläufe nicht sicher sein; auch dann nicht, wenn wir Quellen haben.« Diese Metaebene wollte ich in dem Comic haben, um einerseits die Skepsis an dem Quellenmaterial verorten zu können und andererseits die erzählte Zeit noch weiter zu strecken – von Munch bis heute. Das hat mir dann auch ermöglicht, den Zustand der Orte, an denen noch »ein Geist von Munch schwebt«, in den Comic mit aufzunehmen. Letztendlich geht es um meinen eigenen Anspruch an Comiclektüre. Ein Buch, das man zur Hand nimmt, muss ambitioniert sein. Entsprechend hatte ich auch hohe Erwartungen an mich selbst. Ich bin mir quasi selbst der Maßstab für den anspruchsvollen Idealleser.

Sie bilden viele von Munchs Gemälden in ihrem Comic ab, als Nachzeichnungen. Mussten Sie dabei Fragen der Verwertungsrechte beachten?

Nein, das nicht, wenngleich ich selbstverständlich viel Zeit damit verbracht habe, darüber nachzudenken und dies zu klären. Ich wollte keine Reproduktionen oder Faksimiles verwenden, denn das hätte dieses Problem sicherlich aufgemacht. Auch Fotos verwende ich sehr zurückhaltend. Aber insgesamt sind diese Zitate nur Elemente in einem größeren Kunstwerk. Man kann sie dort nicht einfach herausnehmen und sagen, dass sei ein Plagiat. Der ganze Comic ist eine Collage aus unterschiedlichen Zitaten. Wenn mich deshalb jemand verklagen wollte, dann wäre das sicherlich ein spannender Fall, denn mein Comic ist in seiner Einheit ein eigenes Stück Kunst.

Munchs Kunst wird oft auf seine Ikonen »Der Schrei«, »Vampir« und »Madonna« reduziert. Ging es Ihnen bei der großzügigen Zitierung seiner Gemälde auch darum, den Blick auf Munch zu weiten?

Mir ging es vor allem darum, ihn aus den Missverständnissen seiner Biografen und den pseudopsychologischen Interpretationen zu befreien. Er wird immer wieder als depressiver, trauriger Hund dargestellt, dessen Kunst missverstanden worden sei. Er wird auch oft als zurückhaltender und schüchterner Künstler dargestellt. Sein Leiden an der Welt und der eigenen Biografie wird immer wieder als Ursprung seiner Genialität herangezogen. Das wollte ich nicht, denn es stimmt auch nicht. Das belegen auch alle Quellen und Experten. Er hatte viele Frauen, Freunde und Förderer, war ein witziger und streitbarer Kopf, der immer aktiv an sich und seinem Erfolg gearbeitet hat. Und dennoch hält sich der Mythos des schüchternen Genies bis heute – was übrigens auch für van Gogh, Toulouse-Lautrec und Franz Kafka gilt. Sie werden alle als zurückgezogene Künstler dargestellt, obwohl die Quellen dies nicht hergeben. Sind etwa alle erfolgreichen Künstler leidende, unverstandene Genies? Ich denke nicht.

Im Comic sagen Sie an einer Stelle zu Lars Fiske, dass sie beim Zeichnen manchmal das Gefühl hätten, Sie würden mit Munchs Geschichte auch ihre eigene erzählen. Worauf ist das bezogen?

Es geht dabei um die Sorgen und Abschiede, die man in der Familie erlebt. Er hat in seinem Leben viele Verluste hinnehmen müssen, viele Menschen um ihn herum sind gestorben. Ich habe das auch erlebt. Und in den Phasen, in denen ich an diesen Passagen gezeichnet habe, war das ein wenig wie eine Reise zu mir selbst.

Sie nehmen in ihrem Zeichenstil die düstere Atmosphäre und Sorgen der Zeit und der Charaktere auf. Hatten Sie beim Zeichnen manchmal das Gefühl, selbst in den Strudel der Schwermut zu geraten?

In der Mitte des Buches geht es viel um die Sorgen und Verluste, die Munch ereilt haben. Als ich diesen Teil gezeichnet habe – ich nenne es das Todes-Kapitel – war es sehr anstrengend, weil mich dieser Teil mit meinen eigenen Ängsten und Nöten konfrontierte. Aber ich musste durch all diese Emotionen durch, um mich mit Munch identifizieren zu können. Ich habe mich in dieser Phase eingeigelt, viel Joy Division und Arvo Pärt gehört. Das hat funktioniert, aber es war nicht einfach, danach wieder in die Sonne zu gehen.

Beeindruckend an ihrem Comic, wie sehr ihr langjährig erprobter Stilmix aus Kubismus und comicaler Überzeichnung zu Munch und seinem Leben passt.

Seit den frühen Neunzigern spiele ich mit den expressiven Stilen der Malerei in meinen Comics. Als Comicautor habe ich das Recht der Überzeichnung der Dinge durch die typischen Codes der Comicsprache. Dies kombiniere ich mit einer Malerei, die vielleicht am ehesten an George Grosz oder Max Beckmann erinnert.

Sie spielen in »Munch« auch mit dem Einsatz von Farbe. Mal sind die Zeichnungen schwarz-weiß gehalten, mal farbig und dann wieder expressionistisch überzeichnend.

Meist geht es mir schlicht um einen emotionalen Effekt. Dieses Grau-Blau steht immer für Sorgen, Nachdenklichkeit oder Kontemplation, Rot steht für starke hervordringende Gefühle und die braunen Passagen markieren eher narrative neutrale Partien der Erzählung. Am Anfang wollte ich ein viel strengeres Farbsystem durchsetzen, aber ich habe das dann zugunsten eines intuitiveren Umgangs mit Farben fallengelassen.

Munch - Cover
Steffen Kverneland: Munch. Aus dem Norwegischen von Nadja Gebhardt. Avant-Verlag 2013. 270 Seiten. 34,95 Euro. Hier bestellen

Am Ende des Comics haben sie die Diebstähle von Munchs bekanntesten Werken thematisiert? Wollten Sie hier auch eine Kritik am wenig achtsamen Umgang mit Munchs Werk äußern?

Nein, das nicht. Diese Passage ist ziemlich früh entstanden und am Ende habe ich einen Platz dafür gefunden, um die Munch-Geschichte abzuschließen. Die Diebstähle gehören auch mit zu Munch und der Auseinandersetzung mit seinem Werk. Hätte ich das nicht aufgenommen, hätte doch jeder Leser gedacht: »Sag mal, war da nicht was? Sind von Munch nicht einige Gemälde gestohlen worden?« Daher musste dieser Teil mit in das Buch. Und natürlich steckt darin auch eine Kritik. Die Kunsträuber haben sich einen Scherz daraus gemacht und spätestens nach dem ersten Raub hätte man gewarnt sein müssen.

Kommen wir abschließend zu einem überaus erfreulichen Aspekt. Sie haben vor wenigen Wochen Norwegens wichtigsten Literaturpreis, den »Brageprisen«, in der Kategorie Sachbuch erhalten. Was bedeutet Ihnen dieser Preis?

Schon die Nominierung meines Comics in der Kategorie Sachbuch war eine ziemliche Sensation. Nun hat »Munch« auch noch gewonnen, was sowohl für mich persönlich als auch für das Medium Comic in Norwegen eine tolle Geschichte ist. Der Preis bringt viel Aufmerksamkeit und macht zugleich deutlich, dass Comics nicht unbedingt lustig sein, für Kinder gemacht oder von Superhelden handeln müssen. Das erste Mal überhaupt hat ein Comic nun diesen Preis gewonnen. Die Neunte Kunst ist endlich als legitimes literarisches Genre anerkannt.

Eine gekürzte Form des Interviews ist bereits am 9. Dezember 2013 in Die Welt erschienen.

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