Literatur, Roman

Homers »Ilias« mit Pitcher und Batter

Wenn die Aufgabe von Literatur darin besteht, dem Leser neue Welten zu eröffnen, dann gehört Chad Harbachs Roman »Die Kunst des Feldspiels« in jedes Buchregal.

Das Manuskript von Chad Harbachs Debütroman wollte ursprünglich niemand haben. Eine Verrücktheit, bedenkt man, wie euphorisch das Buch in den USA schließlich gefeiert wurde. Jonathan Franzen und John Irving lobten Harbachs Erstling über alle Maßen. Aufmerksam sind sie darauf geworden, weil das Buch von keinem geringeren als von David Foster Wallace’ Verleger Michael Pietsch herausgegeben wurde. Die Nachbarschaft zu Infinite Jest (dt. Ausgabe in der Übersetzung von Ulrich Blumenbach bei Kiepenheuer & Witsch 2009, 1.552 Seiten, 39,95 Euro) war quasi »von Haus aus« gesetzt.

Eigentlich geht es in Die Kunst des Feldspiels um Baseball und das auf grandiose Weise. Wer keinen Schimmer von diesem Sport hat, wird sich mit diesem Roman nicht eine Sekunde langweilen. Denn der erst 37-jährigen Autor Harbach, der neun Jahre lang an seinem Debüt geschrieben hat, hat in den Roman das ganze Leben hineingeschrieben.

Im Zentrum des Romans steht Henry Skrimshander, ein Baseball-Ausnahmetalent seiner Generation, der wie kein anderer das Spiel lesen kann. Seine gabe ergänzt Teamkollege Mike Schwartz. Gemeinsam wecken sie in ihrer College-Mannschaft große Hoffnungen. Bis sich Henry Owen Dunne, heimlich geliebt von Collegepräsident Guert Affenlight, verletzt und die Unbeschwertheit am Spiel verliert. Die Geschichten dieser Menschen laufen in- und übereinander, verdichten sich zu einem Roman, der in seiner puzzleartigen Konstruktion mit der traditionellen amerikanischen Erzählschule ordentlich aufräumt.

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Chad Harbach: Die Kunst des Feldspiels. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner & Johann Christoph Maass. Dumont-Verlag 2012. 607 Seiten. 22,99 Euro. Hier bestellen

Oberflächlich ist Baseball nicht viel mehr als die Existenz von vier Haltepunkten (Bases), einem Werfer (Pitcher) und einem Schläger (Batter), der versucht, den Wurf des Pitchers mit seinem Schläger abzufangen und den Ball möglichst weit zu schlagen. Schafft er das, startet er einen Run, um Punkte für seine Mannschaft zu sammeln. Auf einer tieferen Ebene aber vergleicht Harbach Baseball mit Homers Ilias, mit dem Duell Mann gegen Mann. Harbach macht dies in beeindruckenden Schilderungen und man sieht förmlich, wie sich zwei auf einem wüsten Schlachtfeld gegenüberstehen und es um alles oder nichts geht. Trifft der Batter, ist es mit dem Ehre des Pitchers vorbei, kommt der Pitcher durch die Abwehr, kommt die Glorifizierung des Batters an ihr vorläufiges Ende. Baseball, so Harbach, ist auch ein verdammt einsames Spiel.

In den Roman sind gezoomte Passagen gestreut, etwa wenn der Ball auf seiner Flugbahn von einem bis in die Haarspitzen gespannten Publikum verfolgt wird oder wenn sich die Gedanken der Spieler über Absätze mit den Biografien der Protagonisten verflechten. Hier erscheint Harbachs Roman dem Leser zuweilen wie ein Kinofilm, der mit Slowmotion-Effekten ausgestattet ist und die faszinierende Möglichkeit einräumt, die in Millisekunden vorbeiziehende Welt, auf Zeitlupentempo heruntergebremst und bis ins Extreme gedehnt, bis ins kleinste Detail zu betrachten. Und daneben gibt es die Passagen, in denen die Zeit davonläuft, wenn alles rennt und der Ball dennoch schneller die Hand des Fängers erreicht als der Läufer die sichere Base erreicht.

Mit einer einfachen und dennoch kongenialen Wendung behandelt Harbach ein Tabuthema, dass selbst hierzulande kaum jemand anpacken möchte – Homosexualität und Sport. Im puritanistischen Amerika hat das natürlich noch viel größere Wellen geschlagen als hierzulande, aber Harbach kennt seine Gesellschaft zu gut, als dass er dieses Thema hätte außen vorlassen können.

Die Kunst des Feldspiels ist keine chauvinistische Sportklamotte, sondern ein sensibler und grandioser Roman über das ungute Gefühl in der Magengrube, dass es jeden Moment mit der Herrlichkeit vorbeisein könnte.

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