Comic

Großstadtmagie zwischen Hoffen und Bangen

Die Comics der brasilianischen Zwillingsbrüder Fábio Moon und Gabriel Bá gehören zu den erfolgreichsten weltweit. In »De:TALES« verarbeiten sie in fantastisch surrealen Geschichten die Hoffnungen und Träume ihrer Generation.

Die Brüder Gilbert und Jaime Hernandez galten lange Zeit als einzigartiges Dreamteam in der Comicwelt. Mit ihrer Comicserie Love and Rockets revolutionierten Los Bros Hernandez die amerikanische Comicszene, indem sie die Erlebnisse ihrer Helden nahezu in Echtzeit erzählten. Weltweit gilt Comicfans dieses vielschichtige und kühn gezeichnete Epos, das in den kommenden Jahren im Reprodukt-Verlag teilweise neu aufgelegt werden soll, als die Einstiegsdroge in die Neunte Kunst.

Die brasilianischen Zwillingsbrüder Fábio Moon und Gabriel Bá werden als potentielle Nachfolger der Hernandez-Brüder gehandelt. Ihre bildgewaltigen Comics haben die renommiertesten Preise abgeräumt, so die gemeinsam mit einigen anderen Autoren veröffentlichte Horror-Comic-Anthologie 5 einen Eisner-Award, ihre Daytripper-Serie (bei Panini-Comics) jeweils einen Eisner-, Harvey- und Eagle-Award sowie die von Gabriel Bá gezeichnete Comicserie The Umbrella Academy (bei Cross Cult) jeweils einen Eisner- und Harvey-Award. Auf Deutsch erschienen zuletzt der Daytripper-Sammelband sowie die famosen Erzählungsband De:TALES (bei Cross Cult), der bereits jetzt als eines der wichtigsten lateinamerikanischen Comics gilt.

De:TALES ist ein Wortspiel aus dem Begriffspaar Details und Tales, zu deutsch: Einzelheiten und Geschichten. Dies umschreibt auch den Aufbau der Geschichten aus dem urbanen Brasilien. Ausgehend von tagträumerischen Situationen öffnen sie sich plötzlich zu fantastisch surrealen Erzählungen einer Generation, die im brasilianischen Großstadtdschungel nach ihrem Glück sucht.

Der Comic versammelt zwölf Schwarz-Weiß-Geschichten, die ihren Ausgangspunkt in den Alltagserlebnissen der beiden Zwillinge haben. Schon im Vorwort wird der Leser in die magisch-surreale Mythenwelt Lateinamerikas hineinversetzt. Mit einem Nebelboot sieht er die beiden Brüder an den Ufern einer romanisch anmutenden Altstadt anlegen, sie eine endlose Treppe emporsteigen und schließlich durch eine Tür treten, hinter der sich ihre Geschichten verbergen. Und schon ist man mittendrin in der modernen Märchenwelt, in der von »Bars und betrunkenen Leuten« sowie von »Feen und sprechenden Vögeln« im Dschungel Sao Paulos erzählt wird.

De_TALES_Cover Kopie
Fábio Moon & Gabriel Bá: De:TALES. Geschichten aus dem urbanen Brasilien. Übersetzung durch Frank Neubauer. Cross Cult 2013. 112 Seiten. 15,00 Euro.

Die beiden Brasilianer erzählen von Begegnungen der besonderen Art, die jene, denen sie widerfahren, nicht unberührt zurücklassen. Den Helden in ihren Geschichten, die an die beiden Brüder erinnern, geht es meist wie dem jungen Mann, der der geheimnisvollen »Estrela« begegnet. Sie holt ihm die Sterne vom Himmel, küsst ihn leidenschaftlich, steigt in ihr Auto und verschwindet. Er steht da, schaut ihr tagträumend hinterher, in seiner Hand liegt ihre Telefonnummer. Ob dies ein Traum oder die Realität ist, wie sie nur das Leben erzählen kann, bleibt ebenso offen wie der Fortgang der Erzählung. Die Geschichten sind nie abgeschlossen, stets bleiben die Ereignisse im Fluss und der Ausgang im Ungefähren. Es gibt nur das Hier und Jetzt des Moments, in dem die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum aufgehoben sind.

Die Geschichten handeln davon, was es heißt, zu lieben, zu erinnern und zu vermissen. Fábio Moon und Gabriel Bá geben der Schwerelosigkeit, der Faszination, der Verzauberung und dem Begehren des Liebens, aber auch dem Verlorensein, dem brennenden Verlangen und stechenden Schmerz des Vermissens grandiose Bilder.

In dem ebenso famosen wie schonungslosen Spiel mit den Erwartungen, Hoffnungen und Träumen ihrer Generation treffen die Brüder den Kern der brasilianischen Wirklichkeit, in der es keine Halt gebenden Regeln oder Sicherheiten gibt. Alles was bleibt, ist eine Ahnung, ein Gefühl. Das ist zum Leben manchmal zu wenig, zum Sterben reicht es allemal.

Der Blog der beiden Künstler: http://fabioandgabriel.blogspot.de/

Diese Rezension erschien in ähnlicher Form bereits in Die Welt vom 21. Februar 2014.