Film

Die Gefahr von unreinen Hunden

Der iranische Filmemacher Jafar Pahani darf seit zweieinhalb Jahren weder Filme drehen noch seine Heimat verlassen. Heimlich arbeitet er seither und lässt seine Filme ins Ausland schmuggeln. Nach »Dies ist kein Film« hat er nun eine zweite Arbeit ins Ausland schaffen können. So läuft in diesem Jahr auf der Berlinale ein Film, der nicht existieren dürfte. »Pardé« ist ein beeindruckendes Gesellschafts- und Selbstporträt.

Ein massives Eisengitter versperrt den freien Blick auf das Kaspische Meer zu Beginn von Jafar Panahis Film Pardé (Geschlossener Vorhang). Dieser verstellte Blick wird noch einer der besten sein, den der Zuschauer während des eineinhalbstündigen Filmes aus dem Haus werfen kann, in dem der iranische Regisseur seinen neuesten Film heimlich gedreht hat. Heimlich, weil das iranische Mullah-Regime gegen Panahi wegen »Propaganda gegen das System« im Dezember 2010 ein 20-jähriges Reise- und Berufsverbot verordnet hatte. Freunde haben ihn beim Dreh unterstützt und das Haus zur Verfügung gestellt, in dem sich die Handlung seines Filmes vollzieht.

Durch das Eisengitter sehen wir ein Auto vor dem Haus anhalten, zwei Männer steigen aus, entladen das Auto, nähern sich dem Haus. Einer der beiden betritt das Haus – ist es sein Ferienhaus? – mit zwei Taschen und etwas Verpflegung, während der zweite Mann wieder ins Auto steigt und davon fährt. Was nun passiert, widerspricht jedem normalen Ankommen. Der Mann – ein Autor, wie man später erfährt – läuft durch alle Räume und zieht die offenen Vorhänge zu. Anschließend öffnet er eine seiner beiden Taschen, aus der ein Hund seinen Kopf steckt. Schließlich nimmt der Mann schwere schwarze Tücher und hängt diese noch über die geschlossenen Vorhänge, bis kein Lichtstrahl mehr in die Wohnung eindringt. Das Tageslicht, das Leben, die Vielfalt bleiben von jetzt an draußen. Das Haus ist von der Außenwelt abgeriegelt, die Wohnung wird zur Isolationszelle. Hier sperrt sich einer bewusst ein. Statt auf das Kaspische Meer blicken Hund und Mann nun auf eine schwarze Wand.

Die Metapher, die Panahi hier einsetzt, ist so offensichtlich wie nur wenig. Der Gast in diesem Haus ist ein Flüchtling, der nun das gleiche Schicksal teilt, wie Panahi. Er ist zur Einsamkeit, zur Nicht-Kommunikation verdammt. Panahi aber nimmt dieses Schicksal nicht an, wehrt sich mit allen erdenklichen Mitteln gegen die Strafe der Mullahs, die ihn nicht nur mundtot machen, sondern ihn in die Verzweiflung des zur Untätigkeit Verdammten treiben wollen. Er müsse arbeiten, um zu überleben, sagte Panahi vor einigen Jahren.

© 2014 - Variance Films
© 2014 – Variance Films

Panahi, der offen die iranische Oppositionsbewegung unterstützt hat, ist einer der wichtigsten iranischen Regisseure. Er gewann 2006 für seinen Film Offside den Silbernen Bären bei der Berlinale und wurde nach seiner Verurteilung zum formellen Jurymitglied bei der Berlinale ernannt. Zahlreiche Sondervorführungen seiner Filme sowie ein demonstrativ unbesetzter Stuhl riefen Panahis Abwesenheit schmerzlich ins Bewusstsein und machten ihn so zugleich allgegenwärtig. Im gleichen Jahr wurde sein damals neuer Film mit dem allessagenden Titel »Dies ist kein Film« bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt. Vorher musste er aus dem Land geschmuggelt werden, auf einem USB-Stick in einem Kuchen. Wie Pahanis zweiter Film, den er trotz Berufsverbot gedreht aus, aus dem Land gekommen ist, ist noch nicht bekannt. Entscheidend aber ist, dass es gelungen ist.

Es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, diesen unter ärgsten Repressionen entstandenen Film einzuordnen in die typischen Kategorien. Pardé ist Geisterfilm, Versteckspiel, Drama, Komödie und Kammerstück in einem und dabei zugleich surreal und dokumentarisch. Zu Beginn gehört allein dem Autor und seinem Hund die Bühne. Sie sind allein in dem Haus. Wir erfahren über einen von Panahi inszenierte Nachrichtensendung, in die der Hund hineinzappt, dass im Iran sämtliche Hunde als »unreine Wesen in der islamischen Gesellschaft« von staatlichen Sicherheitskräften umgebracht werden. Nun versteht man auch, warum der Hund versteckt in der Tasche transportiert werden musste. Obwohl das Haus komplett abgeriegelt ist, steht eines abends ein junges Paar im Haus, die angeblich vor der Polizei geflohen sind, weil sie an einer Strandparty teilgenommen haben. Der junge Mann lässt die Frau im Haus zurück. Er verspricht, sie abzuholen, sobald es geht und bittet den Schriftsteller, nach ihr zu sehen, da sie zum Suizid neige. Panik und Misstrauen machen sich bei dem Autor breit, denn wie soll er sicher sein, dass das junge Paar nicht selbst zum Geheimdienst gehört?

Allein mit der jungen Frau im Haus gelingt es dem Autor nicht mehr, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er fühlt sich von ihr beobachtet und verfolgt, zumal sie sich an keine der Regeln hält, die er ihr für ihren Aufenthalt auferlegt. Selbstmord sei der einzige Ausweg aus der ganzen Misere, sagt sie ihm eines Tages, als er sie fragt, warum sie sich denn umbringen wolle. Von einem Moment auf den anderen verschwindet diese Frau, ohne eine Spur zu hinterlassen, und genauso plötzlich taucht sie später wieder auch. Dann reißt sie die Vorhänge vor den Fenstern herunter, lässt Tageslicht in das Haus.

© 2014 - Variance Films
© 2014 – Variance Films

Mit ihr taucht ein weiterer Mann auf, Panahi selbst, der für den Rest des Films unter den Plakaten seiner bisherigen Filme wandelt und mit seiner eigenen Anwesenheit noch einmal eine völlig neue Ebene in den Film einzieht. Man sieht ihn befremdet durch die Wohnung wandeln (in die offenbar jemand eingebrochen ist), sieht ihn nach Aufgaben suchen, scheitern und resigniert aus dem Fenster starren. Das Nichtstun, zu dem er verurteilt ist, kriecht ihm auf den Leib.

Die Personen in diesem Haus existieren alle nebeneinander und miteinander auf einmal, sie laufen aneinander vorbei, als würden sie sich nicht sehen, und zugleich scheint manche Handlung eine Reaktion auf eine vorhergehende zu sein. Dass der Film in einem repressiven Staat und unter strenger Überwachung entstanden ist, merkt man der Atmosphäre an, die Pahani konstruiert hat. Im Haus selbst herrscht die sinistre Stimmung einer schwach beleuchteten Höhle. Die Wände scheinen sich aufeinander zuzubewegen, der Raum wird immer enger. Dazu trägt auch bei, dass von außen nur bedrohliche Geräusche hereindringen: Funksprüche, Sirenen, Detonationen und Schüsse. Eines Tages dringen gar Einbrecher in die Wohnung ein, doch da hat die Klaustrophobie und Paranoia bereits vom Zuschauer Besitz ergriffen, der längst verstanden hat, dass draußen der schnelle Tod und drinnen das langsame Verrotten warten.

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Jafar Pahani: Pardé. Kambuzia Partovi, Maryam Moqadam, Jafar Panahi. 106 Minuten

Panahi ist mit Pardé ein geist(er)haftes Porträt seiner repressiven Heimat und seiner Selbst gelungen. Versah der Iraner seinen ersten »unerlaubten« Film noch augenzwinkernd mit dem ironischen Titel Dies ist kein Film, scheint er sein Augenzwinkern inzwischen etwas verloren zu haben. Zu bedrückend ist der Film, als das er erneut nur ein Hohngesang auf die Zensurwächter sein könnte.

Dass das Berufsverbot Panahi nicht so stark bedrückt, wie es der Film ausdrückt, ist zu hoffen, kann aber nicht ausgeschlossen werden. Die Existenz von Pardé spricht dafür. Die Mullahs mögen vielleicht die Vorhänge rund um Panahi heruntergelassen und gehofft haben, dass ihn das kaputt machen würde, aber noch besitzt Panahi die Chuzpe, immer wieder diesen Vorhang beiseite zu schieben, hindurchzuschauen und, wenn es möglich ist, etwas herauszureichen, dessen dokumentarische Qualität nicht hoch genug einzuordnen ist.

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