Literatur, Roman

Drei Frauen im Schicksal vereint

Die in London lebende Autorin Nadifa Mohamed erzählt in ihrem zweiten Roman »Der Garten der verlorenen Seelen« aus der Sicht von drei Frauen vom Kampf ums Überleben kurz vor Ausbruch des somalischen Bürgerkriegs – eine ebenso berührende wie erschütternde Lektüre.

»Die Bäume in ihrem Garten waren aus dem Tod geboren; sie markierten die sterblichen Überreste ihrer Kinder und wuchsen aus ihnen hervor. Nie verarbeitete sie deren Früchte, das wäre eine Form von Kannibalismus gewesen; aus diesen weichen, formlosen Gebilden waren große, kräftige Bäume mit fester Rinde geworden, die blühten, Vögel auf ihre Zweige kommen ließen und deren Äste über die Gartenmauer in die Welt nach draußen kletterten.«

Die Inhaberin dieses traurigen Gartens ist die Witwe Kawsar, eine der drei Hauptfiguren in Nadifa Mohameds zweitem Roman Der Garten der verlorenen Seelen. Darin erzählt die in Somalia geborene Autorin eine Geschichte kurz vor dem Ausbruch des somalischen Bürgerkrieges Ende der 1980er Jahre in ihrem Geburtsort Hargeisa. Von ihrem Bett aus blickt Kawsar fast den gesamten Roman hindurch auf diesen verwunschenen Ort, denn sie kann ihr Bett nicht mehr verlassen. Seit sie am Rande einer Propagandaveranstaltung zu Ehren des somalischen Präsidenten Siad Barres festgenommen und in Haft von der Soldatin Filsan zusammengeschlagen wurde, ist sie aufgrund eines gebrochenen Beckens bewegungsunfähig. Der Auslöser ihrer Inhaftierung war ein zutiefst menschlicher Reflex: Sie wollte das Flüchtlingsmädchen Deqo, dass bei den Feierlichkeiten einen Fehler gemacht hat, vor eine Strafe schützen. Im autoritären Somalia unter Siad Barre ist das schon der Menschlichkeit zuviel.

Mit der Propagandafeier setzt der Roman ein, der aus auktorialer Perspektive immer wieder den Blick auf eine Deqo, Filsan und Kawsar und die weiteren Ereignisse wirft. Alle drei haben mit der gewaltvollen Gegenwart und ihrer traumatischen Vergangenheit zu kämpfen. Die Witwe Kawsar muss sich mit dem Verlust ihrer Kinder auseinandersetzen und trägt ihren inneren Friedhof in den Garten der verlorenen Seelen. Die gebildete Filsan hat als Soldatin die ambivalente Rolle der ordnenden Staatsdienerin, die die militärische Gewalt mit vorantreibt, zugleich aber immer wieder die Gewalt der männerdominierten Gesellschaft zu spüren bekommt. Deqo ist den typischen Gefahren eines Flüchtlingskinds ausgesetzt, absurderweise ist es die Flucht in ein Bordell, die sie vor den schlimmsten Versehrungen bewahrt. In drastischen Szenen, eindrucksvollen Bildern und poetischen Tönen erzählt Nadifa Mohamed von diesem Überlebenskampf in dunklen Zeiten, den jede für sich und doch auch alle gemeinsam bestreiten.

Foto: Sabreen Hussain (CC BY-SA 3.0)
Foto: Sabreen Hussain (CC BY-SA 3.0)

Nadifa Mohamed ist 1981 in Somalia geboren und als Kind mit ihrer Familie nach London gegangen. Sie studierte in Oxford Geschichte und Politik und wollte dann eigentlich Filmemacherin werden. Stattdessen kam ein Roman dazwischen, die schier unglaubliche Geschichte ihres Vaters auf seinem Weg nach Europa durch das von Mussolinis Truppen gezeichnete Ostafrika. Für Black Mamba Boy – so heißt eben jener Erstlingsroman – hat Nadifa Mohamed den Betty Trask Prize erhalten, eine Auszeichnung für das beste Debüt für Autoren unter 35 in den Commonwealth-Staaten. Darüber hinaus wurde der Roman auf zahlreiche Shortlists aufgenommen, u.a. beim Guardian First Book Award oder dem PEN/Open Book Award. Das britische Literaturmagazin Granta zählt die Londonerin seit dem Erscheinen von Black Mamba Boy zu den besten jungen britischen Gegenwartsautoren. Ihr Schreiben ist beeinflusst insbesondere von dem ivorischen Autor Ahmadou Kourouma, der die afrikanische orale Tradition mit westlichen Erzählstilen kombiniert hat. Aber auch Toni Morrison, Arundhati Roy, Claude McKay oder Dylan Thomas haben Nadifa Mohameds Schreiben geprägt. Sie gehört zweifelsohne zu den Afropolitans rund um Taiye Selasi und Teju Cole.

Mit Der Garten der verlorenen Seelen reicht sie der Geschichte ihres Vaters nun die der Mutter und Großmutter und auch ihre eigene nach, denn die drei Frauenfiguren im Roman repräsentieren auch ein wenig die drei Generationen in ihrer Familie, die in den 1980er Jahren aus Hargeisa nach London floh. So spiegelt der etwas naive, aber überaus wache Blick von Deqo den von Nadifa Mohamed in ihrer Kindheit, die sie noch in Hargeisa verbracht hat. Auch wenn Mohamed nie wie Deco in ein Bordell fliehen und die Welt von ganz unten betrachten musste, gleichen sich die Blicke auf die Prozesse, die sie umgeben. Filsan repräsentiert die Generation der Mutter, die, wäre sie nicht geflohen, gefangen zwischen Bildung und Regime, wohl ein ähnliches Schicksal gefunden hätte. Die Witwe Kawsar ist eine Hommage an die Großmutter, die die Familie in Somalia zurücklassen musste. Sie wurde kurz nach der Flucht ihrer Kinder und Kindeskinder bei einem Unfall verletzt und war danach auf Pflege und Unterstützung angewiesen.

Nadifa Mohamed: Der Garten der verlorenen Seelen. Aus dem Englischen von Susann Urban. Verlag C. H. Beck 2014. 269 Seiten. 19,95 Euro. Hier bestellen

Packend verfolgen die Lesenden, wie die drei Hauptfiguren ganz eigene Perspektiven auf die Ereignisse haben. Deqo nimmt neugierig und staunend die Geschehnisse um sie herum wahr, Filsan analysiert die Vorgänge in ihrem Land und Kawsar zieht sich in einen Kokon aus Erinnerungen und Trauer zurück. Dabei wird auch deutlich, dass Nadifa Mohamed mit den drei Generationen auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in der erzählten Zeit wachrufen möchte.

Ein wichtiges Element ist dabei das Konzept der Solidarität, die die drei Frauen im Laufe der Geschichte erfahren. Das deutet sich auch schon mit dem Eingangszitat von Sojourner Truth an, das Nadifa Mohamed ihrem fulminanten Roman vorangestellt hat. Es stammt aus Truth’s Rede Und bin ich denn keine Frau und lautet: »Wenn die erste Frau, die Gott je schuf, stark genug war, ganz allein die Welt auf den Kopf zu stellen, sollten doch alle Frauen zusammen es fertigbringen, sie wieder auf die Beine zu stellen.« Ist Der Garten der verlorenen Seelen deshalb als politisches oder feministisches Buch zu lesen? Allein deshalb vielleicht nicht, aber einen entsprechenden aufklärerischen Grundton kann man dem Roman nicht absprechen, in dem Fragen wie Gewalt gegen und Ausbeutung von Frauen, Beschneidung und das althergebrachte Patriarchat kritisch reflektiert werden.

Dabei setzt sie auf eine atmosphärisch dichte, bilderreiche und sinnliche Sprache, die sie mit drastischen Szenen versetzt. Gegen Ende des Romans schildert sie die schonungslose Politik des Regimes von Siad Barre auf Kosten der nachkommenden Generationen in einer Krankenhausszequenz. Die Filsan beobachtet angewidert und erschüttert, wie somalische Kinder als lebende Blutkonserven für verletzte Soldaten missbraucht und bis zum Tod »leergepumpt« werden. Es wird für die permanent zwischen Moral und Pflichtbewusstsein schwankende Soldatin der Wendepunkt in diesem großen Roman sein, an dessen Ende eine neue Schicksalsgemeinschaft an die Stelle der auseinanderfallenden Gesellschaft tritt.

2 Kommentare

  1. […] Im Rennen um den Booker-Prize für den besten englischsprachigen Roman, der in Großbritannien oder Irland veröffentlicht wurde, standen mit Patricia Lockwood, Maggie Shipstead und Richard Powers bis zuletzt drei US-amerikanische Autor:innen, der Südafrikaner Damon Galgut, der in Sri Lanka geborene tamilische Schriftsteller Anuk Arudpragasam sowie die somalisch-britische Schriftstellerin Nadifa Mohamed. […]

  2. […] Roman »Wie schön wir waren«, an Nana Oforiatta Ayims Alter Ego Maya Mensah, Kayo Mpoyis Mai, Nadifa Mohammeds Kawsar oder Hirut, Maaza Mengistes weibliche Hauptfigur, die vom Abessinenkrieg aus weiblicher Perspektive […]

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