Film

Auf der Suche nach dem Ich

Auf der Zielgeraden wurde die Berlinale im Wettbewerb noch einmal nachdenklich. Nach der bildgewaltigen Eisenstein-Hommage von Peter Greenaway, der traumtänzerischen Hollywood-Elegie von Terrence Malick und den kraftvollen Jugenderzählungen von Sebastian Schipper oder Andreas Dresen waren an den letzten Tagen mit Beiträgen aus Osteuropa und Südostasien Filme zu sehen, die Identitätsfragen und -konflikte aufgreifen.

Wohin steuert Osteuropa? Die Ukraine-Krise gibt vielerlei Anlass, diese Frage aufzuwerfen. Glaubt man dem russischen Regisseur Alexej German Jr., dann ist die Region auf dem besten Weg in einen Zustand einer gefühlskalten Tristesse. German Jr. stellte am Mittwoch seine filmische Dystopie Under Electric Clouds vor, eine surreale Erzählung von der mit Eis überzogenen Baustelle Osteuropa, in der alte Gewissheiten nichts mehr wert sind.

In mehr als zwei Stunden und sieben Episoden erzählt er  den Geschehnissen auf einer gigantischen Baustelle, in deren Zentrum ein Stahlkoloss in den Himmel sticht, umgeben von den nackten Betonträgern einer nicht gebauten Autobahn, gigantischen Industrieruinen und feudalen Anwesen. German Jr. schickt seine Zuschauer auf eine riesige Baustelle, auf der Vergangenheit und Zukunft konfrontiert und verhandelt werden. Geerbt hat sie die aus dem Ausland zurückgekehrte Sasha von ihrem verstorbenen Vater, dem Bauherrn. Was er hinterlassen hat, ist ein wüstes und leeres Chaos.

Durch dieses Chaos irren die verschiedensten Menschengestalten, alle für sich verloren. Da ist der kirgisische Wanderarbeiter, der auf der Suche nach seinen Kollegen durch die nebel- und eisverhangene Landschaft irrt und Zeuge eines Mordes wird. Oder der Touristenführer, der im barocken Kostüm Japaner durch die Papppaläste führt, in denen die eisigen Umstände, die hier herrschen, die Geschichte haben gefrieren lassen.

Alexey German Jr.: Pod electricheskimi oblakami II
Alexey German Jr.: Pod electricheskimi oblakami II

Alexej German Jr., der mit Paper Soldier 2008 in Venedig den Silbernen Bären gewann, stellt einen düster vibrierenden Bilderreigen vor, der von Allem erzählen will, am Ende aber von Nichts handelt. Während Roy Andersson in seinem skurrilen Bilderbogen Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach zumindest die Absurdität des Daseins einfängt, bleibt der Film des 39-jährigen Russen ohne Konturen. Zwar sind nicht wenige der von den beiden Kameramännern Evgeniy Privin und Sergey Mikhalchuk eingefangenen Bilder durchaus eindrucksvoll und wohlgesetzt, aber sie bleiben ohne Verbindung zu einer wie auch immer gearteten Handlung.

»Wer sind wir? Wer bin ich? Alles ist durcheinander.« sagt ein junger Student in diesem Film und bringt damit den Eindruck, den er auf den einen Teil der Zuschauer macht, auf den Punkt. Der andere Teil der Zuschauer ist begeistert und sieht in diesem Durcheinander das Identitätschaos in den postsozialistischen Gesellschaften.

Wohin der Osten steuert, weiß man auch nach diesem Film nicht genau. Vergnüglich aber ist dieses verreiste Utopia, das uns German Jr. zeigt, nicht. Die Lenin-Statue auf der Baustelle zeigt ins Leere.

4 Kommentare

  1. […] die herausfordernde Rolle aus. Sowohl Rohrwacher, die bereits für Bispuris Berlinale-Debüt Sworn Virgin vor der Kamera gestanden hat, als auch Golino spielen ihre Rollen mit großer Kraft und […]

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