Literatur, Roman

Trikolore unterm Halbmond

Der französische Romancier Michel Houellebecq legt mit »Unterwerfung« eine Zukunftsvision Frankreichs unter muslimischer Regentschaft vor und begibt sich damit in den nebulösen Deutungsraum zwischen rechtspopulistischer Demagogie und literarischer Satire.

Folgt man dem neuen Roman des französischen Enfant terrible Michel Houellebecq, dann wird Frankreich im Jahr 2022 den großen politischen Umsturz erleben. Das binäre politische System Mitte-Rechts und Mitte-Links wird bei den Präsidentschaftswahlen zusammenbrechen. Die spürbare Identitätskrise der Grande Nation wird bis dahin kein Ventil finden, weshalb die rechtsextreme Front National zur stärksten politischen Kraft aufsteigt. Die etablierten Parteien haben ihrem Abschottungsprogramm nichts mehr entgegenzusetzen. Stattdessen hat eine Partei an Bedeutung gewonnen, die die Belange der zahlreichen Einwanderer aus der arabischen Welt in den Vordergrund stellt. Die »Bruderschaft der Muslime« wird mit Unterstützung von Konservativen und Sozialisten einen Triumph der Rechtsextremen bei den Präsidentschaftswahlen verhindern, ihr Kandidat Mohammed Ben Abbes wird zum ersten muslimischen Präsidenten der französischen Republik gewählt. Dies verschärft zunächst die Krise im Land. Es kommt zu gewaltsamen Zusammenstößen an den fundamentalistischen Rändern, rechtsextreme »Identitäre« und selbsternannte »Ureinwohner Europas« auf der einen Seite, jungen Dschihadisten auf der anderen. Die Atmosphäre im Land ist angespannt, die Angst vor einem Bürgerkrieg wächst.

Einmal mehr beweist sich Houellebecq hier als Enfant terrible der Grande Nation. Er fängt all das ein, was Frankreich politisch in Unruhe hält. Das Versagen der Politik angesichts der sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen lässt er in soziale Deprivation und religiöses Wiedererwachen kippen. Die Suche nach nationaler Identität verlagert er aus der Mitte der Gesellschaft heraus an ihre Ränder.

Sein Roman, der wie ein klassisches Drama in fünf Akten vom Untergang Frankreichs als Heimat der Aufklärung erzählt, ist in den ersten beiden Teilen eine präzise Kritik der Gegenwart. Das politische Personal des Buches ist – abgesehen von der einzig fiktiven Person in diesem Roman, dem muslimischen Präsidenten Ben Abbes – hinlänglich bekannt. François Hollande konnte sich 2017 in eine zweite Präsidentschaftsperiode retten, darf nun aber nicht mehr antreten. Nicolas Sarkozy kann den »freien Fall« der Konservativen nicht stoppen, Marine Le Pen hingegen den Siegeszug der Rechten fortsetzen. François Bayrou, das ewige Bauernopfer der französischen Politik, wird zum charakterlosen Premierminister berufen.

Michel Houellebecq: Unterwerfung. Aus dem Französischen von Norma Cassau und Bernd Wilczek. Dumont Verlag 2015. 278 Seiten. 22,99 Euro. Hier bestellen

Mit dem Antritt der neuen Regierung flammen die gewaltsamen Zusammenstöße noch einmal kurz auf, verschwinden dann aber wie von Zauberhand – nicht die einzige Ungereimtheit in diesem Roman. Auf politische Maßnahmen ist das kaum zurückzuführen, wenngleich sich Frankreich vollkommen neu aufstellt. Außenpolitisch intensiviert die Koalitionsregierung unter Ben Abbes die diplomatischen Beziehungen zur arabischen Welt und treibt die Ausweitung der Europäischen Union in den maghrebinischen Raum voran. Die Palästina-Frage wird zum wichtigen politischen Thema, wenngleich Ben Abbes innenpolitisch gegenüber der jüdischen Bevölkerung gemäßigte Töne anschlägt.

Eingeklemmt zwischen Rechtsextremen und Muslimen geht diese dennoch dazu über, das Land zu verlassen, zumal die innenpolitischen Maßnahmen der neuen Regierung die Ablösung des laizistischen Prinzips durch den Islam als Staatsreligion anstreben. Vor allem aber zielt die Regierung unter Ben Abbes darauf ab, konservative Werte wiederzubeleben und »der Familie, jener Keimzelle unserer Gesellschaft, wieder den ihr gebührenden Platz, ihre Würde zurückzugeben«. In den Bildungseinrichtungen wird der Wertekanon des Islam eingeführt, denn »wer die Kinder unter Kontrolle hat, der hat die Zukunft unter Kontrolle und Schluss.« Oder anders gesagt: It’s the values, stupid.

Zeuge dieser Ereignisse in Michel Houellebecqs neuem Roman Unterwerfung ist der Literaturprofessor François, ein Experte auf dem Gebiet der Literatur des 19. Jahrhunderts und Spezialist für den französischen Romancier Joris-Karl Huysmans. Huysmans war einer der Gründer der Académie Goncourt, von der Houellebecq 2010 für seinen grandiosen Kunst- und Künstlerroman Karte und Gebiet mit dem renommierten Prix Goncourt ausgezeichnet wurde. Im Roman symbolisiert der spät zum Katholizismus konvertierte Atheist Huysmans zweierlei: die Identitätskrise der französischen Nation und die religiöse Sinnsuche, die in Unterwerfung in der islamischen Staatsreligion mündet.

Houellebecq nimmt die Bedeutung des Wortes Islam wortwörtlich, der Titel seines Romans hat seine Referenz in der Unterwerfung des Menschen unter Gott. Unter die islamischen Werte gilt es sich im Frankreich des Jahres 2022 fortan unterzuordnen. Dass diese Unterordnung mehr oder weniger lautlos erfolgt und die Nation, die wie keine andere das Revolutionäre verkörpert, scheinbar widerstandslos (wir erfahren davon nichts) eine als Pseudodemokratie getarnte Theokratie hinnimmt, gehört zu den eklatanten Schwächen dieses Buches.

Houellebecq gilt nicht wenigen als Frankreichs größter zeitgenössischer Autor. Zu verdanken hat er diesen Ruf seiner konzisen Analyse der ihn umgebenden Gesellschaft, wie etwa in seinen Interventionen (ab Juni 2015 erstmals als Taschenbuch). Aber gerade diese Analyse des skurrilen Menschheitstheaters geht seinem neuen Roman ab dem dritten Teil vollkommen ab. Da verkriecht er sich argumentativ in den Mikrokosmos des Universitäts- und Intellektuellendaseins und ignoriert weitgehend die gesellschaftlichen Prozesse. So erfahren wir zwar von den Verschwörungstheorien eines ehemaligen Geheimdienstlers und den kruden Ansichten vormals rechtsextrem-identitärer und nun konservativ-islamischer Repräsentanten, nichts jedoch von gesellschaftlichen Debatten in den Medien oder – in Frankreich oft viel wichtiger – im Treppenhaus, in den Cafés und auf der Straße.

Michel Houellebecq: Gestalt des letzten Ufers. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel und Stephan Kleiner. Dumont Verlag 2014. 176 Seiten. 18,- Euro. Hier bestellen

Houellebecq hat seine ganz eigene Geschichte mit dem Islam. Bereits in seinem im Frühjahr 2001 erschienenen Roman Plattform (ab Juni 2015 als Taschenbuch-Neuausgabe) ließ er Islamisten einen Anschlag im Sexparadies Thailand verüben. Sein Protagonist kommentiert auf seiner Reise nach Thailand beim Überflug Afghanistans, dass die Taliban im Dreck schmoren würden und »sich jetzt sowieso zur Ruhe gelegt« hätten. Wenige Monate nach Erscheinen des Romans ereigneten sich die Anschläge vom 11. September 2001. Später bezeichnete er den Islam in einem Interview als »dümmste Religion« der Welt. Eine Klage des Vorstehers der Großen Moschee von Paris wegen Beleidigung und Volksverhetzung scheiterte. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass das Verhältnis zwischen dem Franzosen und dem Islam ein angespanntes ist.

Das Prinzip der Unterordnung macht konsequenterweise auch vor Traditionseinrichtungen wie der Sorbonne-Universität nicht Halt. Diese wird mit saudischen Petrodollars zur »Neuen Islamischen Universität« umgebaut, geführt von dem bereitwilligen Wendehals Robert Rediger. Areligiöse Professoren wie Houellebecqs Erzähler François müssen die Universität verlassen. Fortan sucht jener befremdet seinen Platz in der neuen Welt.

Das Erstarken der islamischen Religion hat weiterreichende Konsequenzen für den weiblichen Teil der Gesellschaft, die »Unterwerfung« meint hier vor allem die der Frau unter den Mann. Dieses Prinzip findet sich auf allen Ebenen – der politischen, der gesellschaftlichen und der individuellen – wieder. Frauen werden aus dem Arbeitsmarkt ausgegliedert und an den Herd gezwungen. Islamische Regeln wie das Verhüllungsgebot im öffentlichen Raum sowie die Freigabe der Polygamie treten in Kraft. Die Gleichstellung der Frau wird aufgelöst und vom Patriarchat abgelöst.

Bei Houellebecq kommt die Unterwerfung der Frau durch den Mann natürlich nicht ohne sexuelle Konnotation aus. Als Professor erfüllte François vor der Islamisierung der Lebensverhältnisse jedes Klischee und führte zahlreiche Affären mit seinen Studentinnen, nach der Islamisierung bedient er sich verschiedener Escort-Services. Dass er dabei die weltanschaulich-religiösen Konfliktlinien in der Wahl der jungen Prostituierten nachzeichnet, gehört zu den komischen Momenten des Romans.

Mit Ablösung des kapitalistischen Systems durch ein religiöses ändert sich die Logik der Beziehungen zwischen Mann und Frau. Die Freiwilligkeit einer Begegnung auf Augenhöhe, die bei den Escort-Damen erhalten bleibt, wird abgelöst von einem religiös begründeten Zwangssystem. »Für mich besteht eine Verbindung zwischen der unbedingten Unterwerfung der Frau unter den Mann, wie sie in der Geschichte der O beschrieben wird, und der Unterwerfung des Menschen unter Gott, wie sie der Islam anstrebt«, erklärt der neue Rektor der Islamischen Universität Rediger im Roman. Ob er Houellebecqs Erzähler François von den Vorzügen dieses Gesellschaftssystems überzeugen kann, bleibt am Ende des Romans im Konjunktiv verborgen.

Der Misanthrop Michel Houellebecq, der im vergangenen Jahr als Schauspieler noch positiv zu überraschen wusste, beweist sich nun einmal mehr als Agent provocateur, den die politische Opportunität seiner Werke nicht kümmert. Sein sechster, mit Klischees und Wahrscheinlichkeiten gespickter Roman liest sich trotz argumentativer Schwächen in Teilen wie eine Satire, in der die Grande Nation vor dem Islam kapituliert. Dann wieder erfüllt Unterwerfung das apodiktische Geschwurbel der Kulturpessimisten, die sich an ihrer Rolle als Modernisierungsopfer gütlich laben. Die selbsternannten »Beschützer des Abendlandes« werden darin die literarische Blaupause ihrer demagogischen Unkenrufe erkennen und verkennen damit die Vogelfreiheit, die sich Houellebecq als Künstler herausnimmt.

In seinem vorangegangenen Gedichtband Gestalt des letzten Ufers schreibt er: »Der verliebte Meister einer fiktiven Herausforderung | Bestätigt weder noch leugnet er in seinem unsichtbaren Zentrum | Er schafft Bedeutung, macht jede Zukunft möglich | Er errichtet, gestattet ein positives Schicksal.« Nun denn, sei es drum, ein wenig naiv darf man das angesichts der bestehenden Konflikte schon finden. Der fade Beigeschmack, den dieser argumentativ und literarisch schlechteste Roman des Houellebecq’schen Oeuvres hinterlässt, bleibt bestehen. Aber was schert das schon den Nihilisten, dessen Gleichgültigkeit gegenüber den potenziellen sozialen Folgen seines Schreibens nie größer war.

4 Kommentare

  1. […] seinem Roman Risiko ein betörend-mitreißender Abenteuerroman gelungen, in dem er nebenbei mit dem von Michel Houellebecq gezeichneten Bild des Islam aufräumt. Im Interview spricht er über die Hintergründe des Romans und seine […]

  2. […] um deutsche Provinzialität und weltweite Abhängigkeiten. Das erinnert manche an Autoren wie Michel Houellebecq oder Frédéric Beigbeder, ich sehe eher Parallelen zu den Dystopien von Dietmar Dath und der […]

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