Film

Die Paranoia im System

In Anton Corbijns Thriller »A Most Wanted Man« brilliert Philip Seymour Hofmann ein letztes Mal. Als ausdauernder Rationalist verkörpert er den Fremdkörper in einem System, dem die Vernunft abhanden gekommen ist.

Wer ist Issa Karpov? Das ist die entscheidende Frage, die sich durch den dritten Spielfilm des niederländischen Fotografen und Regisseurs Anton Corbijn zieht. Ist der geheimnisvolle Mann der gefolterte tschetschenische Flüchtling, den die Menschenrechtsanwältin Annabel Richter in ihm sieht? Oder ist er ein mehrfacher Mörder und radikaler Islamist, wie es die deutschen Sicherheitsbehörden vermuten?

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Anton Corbijn: A Most Wanted Man. Mit Philip Seymour Hoffman, Rachel McAdams, Willem Dafoe, Robin Wright, Grigoriy Dobrygin, Nina Hoss, Daniel Brühl und Herbert Grönemeyer. 122 Minuten. FSK: 6 Jahre. Hier bestellen

Im Zentrum dieser unter die Haut gehenden Verfilmung von John Le Carrés Agententhriller Marionetten steht aber nicht der junge Tschetschene, sondern Philip Seymour Hoffman in seiner letzten großen Hauptrolle. Er spielt Günther Bachmann, den lakonischen Chef einer verdeckten Spionageeinheit innerhalb der deutschen Nachrichtendienste. Der Auftrag seines verschworenen Teams besteht darin, interne Quellen innerhalb der islamischen Szene aufzubauen. Bachmann ist ein Strippenzieher im Marionettenkabinett des internationalen Antiterrorkampfes.

Einer der Statisten im großen Spiel ist Issa, der in der Eröffnungsszene aus dem Hamburger Hafenbecken steigt. Eine offizielle Einreise ist unmöglich, weil ein Muslim, der die Sonderbehandlung der russischen und türkischen Geheimdienste am eigenen Leib erfahren hat, nach Antiterrorkampf-Logik eine Gefahrenquelle sein muss. Kaum ist er von der ersten Kamera im öffentlichen Raum erfasst, ist er schon im Radar sämtlicher Geheimdienste. Die Russen haben vorgesorgt.

Doch Issa macht nicht den Anschein, als wollte er sich als Dschihadist in Hamburg niederlassen. Glaubt man seinen Aussagen, will er mit dem gewaschenen Geld seines Vaters neu anfangen. Diese Pläne verwirft er jedoch schnell, weil das Geld seines Vaters schmutzig ist. Doch mit dem Geld schwänden auch seine Perspektiven.

Anton Corbijn: A Most Wanted Man

Geheimagent Bachmann sieht nun seine Chance gekommen, den rätselhaften muslimischen Geschäftsmann Dr. Faisal Abdullah zu überführen. Er vermutet, dass dieser über eine Hilfsorganisation terroristische Aktivitäten unterstützt. Sein Team setzt Issas Vertraute, die Anwältin Annabel Richter, sowie den Privatbankier Thomas Brue unter Druck. Sie sollen den Tschetschenen dazu bewegen, das Geld seines Vaters in Abdullahs Stiftung einzuzahlen, um es wohltätigen Zwecken zukommen zu lassen. Im Gegenzug stellt Bachmann politisches Asyl für den Tschetschenen in Aussicht.

Währenddessen rumort es im Hintergrund. Weder die deutschen noch die amerikanischen Sicherheitsbehörden vertrauen Bachmanns Kurs. Sie wollen Issa am liebsten so schnell wie möglich dingfest machen. Corbijns A Most Wanted Man ist ein tückisches Vexierspiel, in dem jede Partei ihre ganz eigenen Interessen verfolgt und keiner seinem Gegenüber über den Weg traut. Im »Kampf gegen die radikalen Ableger einer Nation namens Islam« ist sich jeder nur selbst der nächste. Dem britischen Guardian sagte Corbijn: »Entscheidungen werden schnell getroffen, Menschen sind entweder gut oder schlecht.« Sein Film erzählt eine Menge über die fatalen Konsequenzen dieser oft eilfertig getroffenen Entscheidungen und ihrer Konsequenzen.

Philip Seymour Hoffman, der 2006 für seine kongeniale Verkörperung des Truman Capote vollkommen zurecht einen Oscar als Bester Hauptdarsteller gewann und in zahlreichen anderen Filmen wie The Big Lebowski, Magnolia, Unterwegs nach Cold Mountain oder The Ides of March glänzte, starb am 2. Februar 2014 vor Erscheinen von A Most Wanted Man an einer Überdosis. Post mortem brilliert er in diesem Film ein letztes Mal als zwischen Sarkasmus und Schwermut taumelnder Geheimdienstler, der an das Richtige glaubt und doch nur das Falsche tun kann. Dabei schwankt er zwischen moralischer Rechtfertigung (»All diese Trümmer, die wir hinterlassen… All diese Leben, diese leergefegten Räume… haben sie sich je gefragt, warum wir das alles machen?«) und Sarkasmus (»Wir machen das Wetter«).

Die amerikanische Kritik nahm Corbijns filmischen Beitrag zum Antiterrorkampf gespalten auf. Er sei plot-driven, zu langsam und actionarm. Tatsächlich wird der Film jeden enttäuschen, der für einen Agentenfilm die vorgeführte Brutalität von Stephen Gaghans Syriana braucht. Wem aber etwa Kathryn Bigelows Erkundung der Soldatenseele in Tödliches Kommando – The Hurt Locker gefallen hat, der wird auch Corbijns Werk einiges abgewinnen können. Nicht umsonst erhielt Corbijn den Preis der Frankfurter Buchmesse 2014 für die Beste Internationale Literaturverfilmung.

Anton Corbijn: Looking at A Most Wanted Man. Mit Photographien und Texten von Anton Corbijn. Englische Ausgabe mit deutscher Textbeilage. Schirmer/Mosel 2014. 180 Seiten. 140 Farbtafeln. 49,80 Euro. Hier bestellen

Philip Seymour Hoffman wird, wie auch Nina Hoss und Willem Dafoe, von Corbijn perfekt in Szene gesetzt. Manchmal wirkt der Film wie ein Kammerspiel, intim, vertraut und gleichsam beklemmend. Dazu tragen vor allem diese drei grandiosen Theaterschauspieler bei. Was dem niederländischen Filmemacher aber am besten gelingt, ist das Einfangen der Paranoia, die seit Nine-Eleven in den Knochen der modernen Zivilisation sitzt. Dazu tragen auch seine beeindruckenden Stadtpanoramen und langsamen Einstellungen – auch nachzublättern in dem beeindruckenden Bildband zum Film (bei Schirmer/Mosel) – bei, mit denen er Hamburg in einer bedrückenden Finsternis zeigt. Es ist das Dunkel, das die moderne Gesellschaft umfängt.

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