Comic

Das Supermodel unter den Comics

Der US-Amerikaner Scott McCloud präsentiert mit »Der Bildhauer« nach dreißig Jahren erstmals wieder einen fiktionalen Comic. Er erzählt darin vielschichtig eine zeitgemäße Fassung des faustischen Pakts, der unter den unzähligen Möglichkeiten des Mediums allerdings etwas verloren geht.

Scott McCloud ist zurück, und wie. Nachdem er der Welt erklärt hat, wie Comics funktionieren und zu lesen sind, sind im Februar in den USA und im März in Deutschland sein sehnsüchtig erwarteter Comic The Sculptor erschienen. Im Mittelpunkt steht der Bildhauer David Smith, dem der Durchbruch nicht gelingen will. Auch privat läuft es alles andere als gut: bei den Frauen hat er keinen Erfolg, seine Freundschaften kann er an einer Hand abzählen und aus seiner Wohnung muss er auch noch raus.

Als er über diese triste Bilanz in einer Bar nachdenkt, setzt sich sein alter Onkel Harry an den Tisch. Der ist allerdings vor Jahren gestorben. Jetzt bietet er ihm einen teuflischen Pakt. David bekommt für 200 Tage die Fähigkeit, mit seinen Händen zu formen, was immer er möchte. Als Gegenwert muss er sein Leben geben. David Smith willigt ein, doch ihm kommt das Leben dazwischen und alle Pläne geraten ins Rutschen. Nach Ablauf seiner Frist hängt er an dem, was er so leichtfertig hergegeben hat.

Scott McClouds lang erwarteter Comic Der Bildhauer fügt sich neben Oscar Wildes Das Bildnis des Dorian Gray, Michail Bulgakows Meister und Margarita oder Thomas Manns Doktor Faustus ein in die Reihe der Faust-Adaptionen. Sieht man von der Persiflage des Berliner Comickünstlers Flix alias Felix Görmann ab, ist der erste fiktionale Comic des Amerikaners zugleich auch die erste ernstzunehmende Übernahme des Faust-Stoffes der Neunten Kunst.

Leider ist seine 500 Seiten umfassende Geschichte aber eine recht artige und langatmige Umsetzung des Pakts zwischen Faust und Mephisto. Man fragt sich, wie es dazu kommen konnte, hat doch kein anderer Comiczeichner die Möglichkeiten der sequentiellen Kunst besser vor Augen geführt als McCloud in seiner Trilogie zur Grammatik des Comics. »Der Comic bietet allen Zeichnern und Autoren ungeheure Möglichkeiten: Glaubwürdigkeit, Klarheit, die Chance, sich einem Publikum mitzuteilen, ohne Zugeständnisse machen zu müssen…«, schreibt er am Ende von Comics richtig lesen.

Cover_Bildhauer
Scott McCloud: Der Bildhauer. Carlsen Verlag 2015. 496 Seiten. 34,99 Euro. Hier bestellen

Vielleicht ist dem Amerikaner aber gerade seine tiefe Kenntnis der Funktionalität des Comics ein wenig zum Verhängnis geworden. Fünf Jahre hat er an dem Comic gearbeitet, im Durchschnitt hat er drei Tage an einer Seite gesessen. Es ist nicht so, als wären dabei keine beeindruckenden Zeichnungen entstanden. Vor allem der Einsatz des Blautons (Pantone 653) zur Visualisierung der verschiedenen Wahrnehmungsebenen und das grafisch furiose Finale beanspruchen zu Recht Einzigartigkeit in der Neunten Kunst.

Insgesamt aber liest sich Der Bildhauer, als hätte McCloud die »ungeheuren Möglichkeiten« des Comics alle einmal zur Anwendung bringen wollen. So wirkt dieser Comic wie ein Supermodel. Er ist zwar bis zum letzten Strich perfekt, wirkt aber künstlich konstruiert und bleibt dem Leser seltsam fremd.

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