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Explosionen im Kopf

Manu Larcenet beweist sich mit »Blast« endgültig als Meister der Neunten Kunst. In seiner von allen Nebengeräuschen bereinigten und dennoch überbordenden Grafik ist jedes Bild eine Hommage an die Natur und das Leben.

Alles beginnt mit einem Knacken im Kopf. Dann kommen der Schwindel, die Übelkeit, der Brechreiz und schließlich die Ohnmacht. In diese innere Leere drängen grelle Farben und seltsame Formen, dargestellt in expressiven Kinderzeichnungen. Diese inneren Eruptionen geben Manu Larcenets abgründiger Geschichte Blast ihren Titel. Mit dem vierten Band Hoffentlich irren sich die Buddhisten findet die fulminante Serie in diesen Tagen auch in Deutschland ihren krönenden Abschluss.

Manu Larcenet ist einer der beliebtesten Comiczeichner Frankreichs. Die markanten länglichen Nasen seiner Helden haben den runden Ballons aus dem Asterix-Universum den Rang abgelaufen. Eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet sein trashiges Science-Fiction-Album Valerian im Land der großen Nasen hierzulande noch nicht verlegt wurde.

Aber das Helden-Universum des Franzosen ist gigantisch. Fast zwanzig Serien hat er seit Ende der 1990er Jahre ins Leben gerufen, eine erfolgreicher als die andere; von der Donjon Parade über Die wundersamen Abenteuer von Legenden wie Robin Hood oder Attila dem Hunnen bis hin zu seiner Coming-of-Age-Erzählung Rückkehr aufs Land.

Seit Manu Larcenet 12 Jahre alt ist, zeichnet er – jeden Tag mindestens eine Seite. Comiczeichner wollte der zweifache Familienvater zunächst dennoch nicht werden. Zehn Jahre lang versuchte er sich als Gitarrist und Sänger in einer Punkrockband, nebenher war er in der antifaschistischen »Sektion zur definitiven Bekämpfung von Le Pen« aktiv. Erst 1994 stieg er bei dem legendären Pariser Comicmagazin Fluide Glacial ein. Seither drückt er der französischen Comicszene seinen Stempel auf.

Immer wieder trifft er mit seinen tiefgründigen Arbeiten den Nerv der Zeit. Als 2005 die Pariser Vorstädte brannten, lag gerade der erste Band von Larcenets Miniserie Nic Oumouk in den Buchhandlungen, in der er die Missstände in den französischen Banlieues aufs Korn nimmt. In seinen biografischen Erfahrungen als sinnsuchender Vater, der sich mit seiner kleinen Familie aufs Land zurückzieht und dort nach dem »echten Leben« sucht, erkannten sich viele seiner von der Moderne ausgebrannten Landsleute wieder. Der Globalisierungsmüdigkeit vieler Franzosen gab er in seiner Serie Der alltägliche Kampf ein Gesicht, in der der Kriegsfotograf Marco das langsame Abgleiten einer ganzen Region in die Bedeutungslosigkeit dokumentiert.

Seine Geschichten bieten immer wieder Anlass, in schallendes Gelächter auszubrechen, sind zugleich aber auch gezeichnete Kommentare auf den Irrsinn dieser Welt. »Wenn Du nur lustige Sachen machst, bleibst Du ein Clown, jemand, dem man nie eine intelligente Frage stellt.« Deshalb schwanken seine Comics zwischen federleichtem Humor und bitterböser Ironie, zwischen Parodie und Sarkasmus. Neben aller Heiterkeit zieht sich durch seine meist in naivem Strich gehaltenen Geschichten ein düster-melancholischer Grundton. In der Tiefe von Larcenets Comics rauscht das Existenzielle.

In keiner anderen seiner Arbeiten dringt dieses Rauschen derart in den Vordergrund, wie in der vierbändigen Serie Blast. In ihrem Zentrum steht Polza Mancini, der nach dem Tod seines Vaters seinen ohnehin verlorenen Posten in der modernen Gesellschaft vollends aufgibt und sich in eine mystische Welt aus Naturanbetung und Delirium flieht. Blast ist das unter die Haut gehende Porträt eines unberechenbaren Grenzgängers, der seine Vorbilder in den Romanen von Fjodor Dostojewski und Bret Easton Ellis hat. Oder in Philippe Claudels Roman Brodecks Bericht, den Larcenet gerade als Schwarz-Weiß-Comic adaptiert.

Die Explosionen im Kopf, die Polza Mancini dabei immer wieder heimsuchen, kennt Larcenet nur zu gut, wie er im vergangenen Jahr im französischen Fernsehen gestand. »Ich bin Titelträger einer wunderbaren Krankheit namens Bipolare Störung, die mich seit meiner Kindheit in der Hand hat. Ohne die Erfahrung meiner Krankheit hätte ich diese Geschichte nicht erzählen können«, erklärte der 45-jährige Comiczeichner.

Blast 4
Manu Larcenet: Blast 4. Hoffentlich irren sich die Buddhisten. Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt 2015. 208 Seiten. 29,00 Euro. Hier bestellen

Kritiker in Frankreich und Deutschland sind sich einig: diese Serie ist ganz großes Kino. Dies liegt vor allem an der bei Jim Jarmusch abgeschauten Rhythmisierung, die den Leser jedes Gefühl für Raum und Zeit verlieren lässt. Aber auch an den detaillierten Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die Larcenet im Großformat angefertigt und erst dann digital zu einer Comicstruktur zusammengesetzt hat. So konnte er sich zeichnerisch austoben. »Dieser Moment, in dem du völlig darin aufgehst und mit Strichen Wörter schreibst, ist unglaublich.« Blast ist die Geburtsstunde einer von allen Nebengeräuschen bereinigten und dennoch überbordenden Grafik. Jedes Bild ist in seinem Detailreichtum eine Hommage an die Natur und das Leben.

Manu Larcenets Arbeiten haben eine Tiefe, in der die Leser etwas Grundsätzliches darüber erfahren, was es heißt, ein Mensch zu sein. Der Wahnsinn des Alltags, die soziale Abspaltung und innere Verlorenheit, all das findet man in seinen Antihelden ebenso wieder wie den Charme der Ironie und die Freude am Leben. Manu Larcenet zeigt uns den Menschen als ein rätselhaftes Wesen. Mehr kann Kunst nicht leisten.

Der Text erschien in ähnlicher Form im Rolling Stone Magazin, Mai 2015.

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