Anthologie, Biografie, Essay, Geschichte, Gesellschaft, Philosophie, Politik, Sachbuch, Zeitgeist

Dicke Klötze: Sachbuch-Schwergewichte der Saison

Rowohlt Verlag. 912 Seiten. 39,95 Euro.

Die Aufklärung war das Zeitalter des Wandel und der Suche nach einer neuen Ordnung – auch im den Gebieten des Deutschlands des 18. Jahrhunderts. Steffen Martus, Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin, zeichnet in seiner Biografie einer Epoche nach, wie dramatisch die Aufklärung das damalige Deutschland verändert hat. Seine umfangreiche Darstellung reicht von der Neuordnung der politischen Landkarte im 17. und 18. Jahrhundert über die Erschütterung Europas durch das Erdbeben von Lissabon bis zum Vorabend der Französischen Revolution. »Eine Epoche, die uns nähersteht, als wir glauben«, wie es in der Vorschau des Verlags heißt. Präsentierte der Literaturwissenschaftler und Publizist Manfred Geiger die Aufklärung erst als Europäisches Projekt, um dann schon die Hälfte seiner Geistesblitze in Deutschland zu verorten, präsentiert Martus nun eine vollkommen auf Deutschland fokussierte Studie der Aufklärung, in der ihr größter Anhänger , der preußische König Friedrich der Große, schließlich mit dem Siebenjährigen Krieg einen allerersten Weltkrieg loszutreten wird. Steffen Martus, dessen Biografie der Gebrüder Grimm 2010 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war und der in diesem Jahr den Leibnitz-Preis für sein wissenschaftliches Gesamtwerk erhalten hat, präsentiere das 18. Jahrhundert in neuem Licht. »Er erzählt die Geschichte seiner Leidenschaften, der Politik, Kultur und Wissenschaft, wirft Schlaglichter auf den Alltag in den Universitäten, in den Städten, bei Hofe und zeichnet eindringliche Porträts von Denkern wie Lessing und Kant, die die Möglichkeiten und Grenzen der Vernunft erkunden. Ein einzigartiges Geschichtswerk über jene kritische Epoche, deren Strahlkraft ungebrochen ist.« 

Siedler Verlag. 900 Seiten. 39,99 Euro
Siedler Verlag. 900 Seiten. 39,99 Euro.

Nach Joachim Fest und Ian Kershaw wirft nun Peter Longerich einen neuen Blick auf den Tyrann und Psychopathen Adolf Hitler. Der Historiker, der 2006 mit seiner phänomenalen Studie Davon haben wir nichts gewusst emotionsgeladene Debatten über die Verdrängung des Anteils jedes einzelnen an der deutschen Kollektivschuld hervorrief und seither gelobte Biografien zu Heinrich Himmler und Joseph Goebbels vorlegte, gehe in seiner neuen Biografie »über die bisherigen Hitler-Deutungen hinaus«. Er entwerfe das Bild eines flexiblen Diktators, der weit mehr und viel aktiver als bisher angenommen in die unterschiedlichsten Politikbereiche persönlich eingegriffen haben soll. Bis in die Details habe Hitler Außenpolitik und Kriegführung, Terror und Massenmord, Kirchenpolitik, Kulturfragen oder Alltagsleben der Deutschen mitbestimmt. Machtstrukturen, die ihn behinderten, habe er zerschlagen und stattdessen eine Führerdiktatur aufgebaut, in der er auf die Zustimmung der Bevölkerung nicht mehr angewiesen war. Er habe das Naziregime durch seine persönlichen Entscheidungen auf eine Weise geprägt, die bislang unterschätzt wird, so Longerichs Argument. Es ist nicht zu erwarten, dass der Professor an der Universität London hier seine Argumentation der individuellen Verantwortung an der Kollektivschuld zurücknimmt. Aber er stellt ihr einen weiteren Aspekt zur Seite, der seiner Ansicht nach in der Erforschung des nationalsozialistischen Deutschlands zu kurz kommt. »Diese Biografie rückt die Person Hitler und ihr Handeln in das Zentrum der Geschichte des Nationalsozialismus«, heißt es in der Ankündigung des Buches, da erst das Zusammenspiel der Kräfte, die Hitler bewegten, mit jenen, die er selbst in Bewegung setzte, erkennen lasse, was das »Dritte Reich« im Innersten zusammengehalten habe.

Verlag C. H. Beck. 880 Seiten. Mit ca. 39 Abbildungen. 49,95 Euro
Verlag C.H.Beck. 880 Seiten. 49,95 Euro.

Der Briefwechsel zwischen Stefan George und Karl und Hanna Wolfskehl, der von Birgit Wägenbaur und Ute Oelmann nun unter derm Titel Von Menschen und Mächten herausgegeben wird, ist der einzige, der Georges gesamte Lebenszeit begleitet. Stefan George ist spätestens seit Ulrich Raulffs preisgekrönter Studie zu dessen Wirken und Nachleben Kreis ohne Meister wieder in aller Munde. Zu Hanna Wolfskehl, der Frau seines ältesten Freundes Karls Wolfskehl, verbindet ihn eine tiefe Freundschaft, die auch aus ihren Briefen spricht. Die nun aufgelegt Briefe seien aufgrund der »Offenheit des Austauschs« und ihrer Bezüge zur allgemeinen Kultur- und Literaturgeschichte zwischen Jahrhundertwende und Ende der Weimarer Republik »von einzigartigem Wert«. Die Edition versammelt 860 Korrespondenzstücke, die zwischen 1892 und 1933 zwischen George und Wolfskehl hin- und hergingen und im Stefan George Archiv Stuttgart lagern. Angesichts von fünf Belegstellen ihrer Beziehung in Raulffs Werk eine schier unglaubliche Menge. Zum Teil von beeindruckender Intimität lüften diese Briefe möglicherweise das Rätsel der engen Verbindung zwischen George und der Frau seines Freundes, das in der Forschung weitgehend ungelöst ist. »Wer sich für das literarische München um die Jahrhundertwende, für Schwabinger Umtriebe, für Liebe, Dichtung, Freundschaft und Verrat im Umfeld der Korrespondenzpartner interessiert, wird dieses Werk mit großem Gewinn lesen«, heißt es in der Vorschau. Und diejenigen, die seit Raulf nicht mehr von George und seiner magischen Wirkung loskommen, erst recht.

Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. S. Fischer. 850 Seiten. 26,99 Euro
S. Fischer. 850 Seiten. 26,99 Euro.

Mit Maikäfer flieg! Hitlers Krieg und die Kinder eroberte der britische Historiker Nicolas Stargardt das deutsche Feuilleton. Die Süddeutsche Zeitung lobte, er gebe »allen Kindern im Zweiten Weltkrieg eine Stimme, ob Hitlerjunge oder Kind im Warschauer Ghetto«, die FAZ äußerte anerkennend die akribische Untersuchung sowie die Auswahl des »erstaunlichen und ergreifenden Quellenmaterials« und Die Zeit würdigte sein Buch als »lebendiges, erschütterndes Zeugnis der Zeit«, bei dem es nicht darum gehe, Leid zu vergleichen, sondern Krieg, Rassenwahn, Massenmord aus den Blickwinkel von Kindern zu sehen. Nun legt der renommierte Oxford-Professor mit Der deutsche Krieg 1939 – 1945 (Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff) ein Werk vor, dass die Geschichte des Zweiten Weltkries aus der Sicht der Bevölkerung, der Soldaten, Lehrer, Krankenschwestern, Nationalsozialisten, Christen und Juden, erzählt. Dabei stützt er sich auf zahllose Tagebücher und Briefe, etwa von Heinrich Böll oder Victor Klemperer, Wilm Hosenfeld und Konrad Jarausch. »Sie glaubten, dass Deutschland sich gegen seine Feinde verteidigen musste, und sie glaubten an die nationale Sache, nahezu unabhängig von sozialer Stellung sowie religiöser oder politischer Überzeugung. Der Wunsch, ihr Land und ihre Familien zu retten, ließ sie selbst, als die Gewissheit wuchs, an einem Völkermord teilzuhaben, weiterkämpfen, mit ungebrochener Brutalität und wider alle Vernunft.« Hier klingt zumindest an, als würde Stargardt auch hier wieder der These des Kollektivtraumas vertrauen, die aber bereits schon bei Maikäfer flieg! Weithin kritisiert wurde.

Verlag C. H. Beck. 752 Seiten. 29,95 Euro
Verlag C. H. Beck. 752 Seiten. 29,95 Euro.

Der Wiener Kongress war seiner Sternstunde, hier schrieb er an der Neuordnung eines zivilisierteren Europas ganz Wesentlich mit. Die Rede ist von Klemens Wenzel Lothar von Metternich oder kurz Clemens Fürst von Metternich (1883-1859), dem Außenminister Österreichs. Er erlebte die mehr als zwanzig Jahre andauernden Kriege in Europa als Zusammenbruch der Zivilisation, der in der Aussage »Ein Mann wie ich scheißt auf das Leben von einer Million Menschen!« durch Napoleon anno 1813 gipfelte. Nach seinem Kurzporträt Metternich – Staatsmann zwischen Restauration und Moderne präsentiert der Historiker Wolfram Siemann nun seine voluminöse Biografie des visionären Politikers und Strategen, der noch zu Kriegszeiten prophezeite, dass der Freiheitsdrang der Nationen in eine noch blutigere Katastrophe münden würde. Metternichs Friedensordnung von 1815 könne daher nur vor diesem Hintergrund begriffen werden, argumentiert der Historiker, der schon in der Vergangenheit immer wieder gegen Metternichs repressives und überwachungsstaatliches Vermächtnis anschreiben musste. Auf der Grundlage zahlreicher neuer Quellen lässt er die Reizfgur Metternich vor den Augen der Leser lebendig werden und zeigt ihn als traditionsbewussten Reichsgraf und frühindustriellen Unternehmer, als scheiternden Reformer in einem fragilen Vielvölkerstaat und als Verehrer der Frauen. Die Biographie sei »ein Meilenstein« und tauche die Geschichte des 19. Jahrhunderts in ein neues Licht.

Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg & Hanna Grzimek. Suhrkamp Verlag. 700 Seiten. 29,95 Euro.
Suhrkamp Verlag. 700 Seiten. 29,95 Euro.

»Wie zum Teufel können wir weiterleben, obwohl wir wissen, dass diese Dinge geschehen?« Diese Frage stellt Martín Caparrós, der hierzulande bislang als Autor des Romans Die Ewigen bekannt ist, seinem Manifest gegen den Welthunger voran. Diese Dinge, das sind etwa der Tod von einem Kind unter fünf Jahren, der sich alle zehn Sekunden irgendwo auf der Welt ereignet. Drei Millionen Kinder sterben an Unterernährung im Jahr, insgesamt knapp neun Millionen Menschen. Der Hunger (Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg & Hanna Grzimek) sei das größte lösbare Problem der Welt, aber es sieht nicht so aus, als würden wir es in absehbarer Zeit lösen können. Fünf Jahre hat Martín Caparrós den ganzen Globus bereist, um diese Schande der Menschlichkeit zu vermessen und zu kartografieren: »Er war in Niger, wo der Hunger so aussieht, wie wir ihn uns vorstellen; in Indien, wo mehr Menschen hungern als in jedem anderen Land; in den USA, wo jeder Sechste Probleme hat, sich ausreichend zu ernähren, während jeder Dritte unter Fettleibigkeit leidet; in Argentinien, wo Nahrungsmittel für 300 Millionen Menschen produziert werden, obwohl sich viele Bürger kein Fleisch mehr leisten können.« Der Hunger sei keine Naturkatastrophe, die schicksalhaft über die Menschen hereinbricht, sondern »der krasseste Ausdruck der gigantischen sozialen Ungleichheit in einer Welt, in der das reichste Prozent mehr besitzt als alle anderen zusammen«. Gegen diese Ungerechtigkeit hat der Argentinier angeschrieben. Ob sein Buch eine Großreportage, Geschichtsschreibung oder wütendes Manifest ist, das sollen die Leser selbst urteilen.

Suhrkamp Verlag. 700 Seiten. 39,95 Euro
Suhrkamp Verlag. 700 Seiten. 39,95 Euro.

»Eine intellektuelle Biografie« jubelte die französische Tageszeitung Liberation und Le Figaro schrieb nach der Lektüre von Tiphaine Samoyaults Barthes-Biografie von einem »Leben wie in einem Abenteuerroman«. Das einflussreiche Kulturmagazin Les Inrocktubiles schwärmte von der Herangehensweise der Schriftstellerin und Literaturhistorikerin, die immer wieder vom Leben in das Werk eintauche und wieder zurück an die Oberfläche der Biografie gehe, um Barthes Werk »zu dechiffrieren und seinen Puls zu fühlen«. Radio France International brachte eine 45-minütige Sondersendung mit der Autorin, um ihrer Zuhörerschaft den Autoren zu erklären, der zwischen den Mythen des Alltags das Alphabet der Liebe hervorbuchstabiert hat. Der französische Philosoph, Schriftsteller und Literaturkritiker Roland Barthes, geboren am 12. November 1915 und an den Folgen eines Autounfalls am 26. März 1980 gestorben, »hat die Welt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Lesen gelehrt«, wie es in der Ankündigung der bislang umfangreichsten Barthes-Biografie (Aus dem Französischen von Maria Hoffmann-Dartevelle und Lis Künzli) heißt. Er hat die Lust am Text propagiert und zugleich die Stellung des Autors untergraben; und in seinem letzten Seminar zur Vorbereitung des Romans gestanden, er hätte sich gewünscht, Romancier zu werden. Seine Landsfrau, die Literaturwissenschaftlerin Tiphaine Samoyault, hat unter Rückgriff auf bisher unzugängliche persönliche Dokumente von Roland Barthes »die erste umfassende, alle Aspekte von Werk und Leben ausleuchtende Biografie« verfasst, die in Frankreich in den höchsten Tönen gelobt wurde. Zum 100. Geburtstag des großen Roland Barthes deutet sie die Person und sein Schreiben für unsere Zeit, dessen größtes Erbe in der ultimativen Lücke besteht, die sein Tod hinterlassen hat

6 Kommentare

  1. […] Interpretationen der Fundstücke, die alle auch einen vorgegebenen Rahmen haben. So wie das Gerhard-Richter-hafte Foto von Farbstreifen, dass er in der Fotoschachtel der Eltern findet. Auf dem Rücken steht »Die Queen […]

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