Comic

Schule des Lebens für den Araber von morgen

Riad Sattouf, langjähriger Zeichner von »Charlie Hebdo«, gewann wenige Wochen nach dem Attentat auf die Redaktion des französischen Satiremagazins den wichtigsten europäischen Comicpreis. Der erste Teil der Erinnerungen an seine Kindheit im Nahen Osten »L’Arabe du futur« (dt. »Der Araber von morgen«) erhielt den großen Preis von Angoulême. Vor wenigen Wochen ist der zweite Teil in Frankreich erschienen, am Wochenende ist er in Berlin zu Gast.

Am Ende des ersten Teils stand dem sechsjährigen Riad Sattouf noch die Angst ins Gesicht geschrieben. Gerade hatte er erfahren, dass es zurück nach Syrien gehen wird, der eigentliche Schock sollte aber erst noch kommen. »Du wirst nicht dein ganzes Leben lang Ferien haben. Der Araber von morgen geht zur Schule«, grummelte ihm der Vater auf der vorletzten Seite entgegen.

Vor wenigen Wochen ist in Frankreich der zweite von drei geplanten Bänden von Riad Sattoufs Kindheitserinnerungen erschienen, die hierzulande in der Übersetzung von FAZ-Redakteur und Comicpapst Andreas Platthaus unter dem Titel »Der Araber von morgen« erschienen sind. An der Art und Weise, wie Platthaus seine Entdeckung selbst im eigenen Blatt vermarktet hat, gab und gibt es Einiges zu kritisieren, aber an der überwältigenden Qualität des Originals gab und gibt es auch jetzt nichts zu rütteln.

Die Handlung umfasst die Jahre 1984 und 1985 und spielt bis auf wenige Seiten in dem Dorf Ter Maleeh in der Nähe der syrischen Stadt Homs, wo sich die Familie nach langer Odyssee niedergelassen hat. Im ersten Teil von »Der Araber von morgen« wird die rastlose Odyssee der Familie eines glühenden Anhängers der panarabischen Idee von Frankreich über Libyen nach Syrien aus der Perspektive des kleinen Riad beschrieben. Teil zwei nun handelt vom Stranden in der Heimat seines Vaters, dem Syrien Mitte der 1980er Jahre.

In erster Linie möchte Dr. Abdel-Razak Sattouf näher bei seiner zunehmend hilfsbedürftigen Mutter sein, er will aber auch Frankreich den Rücken kehren, wo er trotz Doktortitel nicht mehr als einer von vielen Einwanderern ist, die ihr Glück versuchen. Dies wiederum ist für die französische Mutter unseres Helden nicht ganz einfach, denn Clémentine muss alle Vorzüge ihrer Heimat zurücklassen und gegen eine ungewisse Existenz tauschen. In den arabischen Staaten herrscht Mangelwirtschaft statt Überangebot, Religiosität statt Aufklärung und männliches Überlegenheitsdenken statt Gleichberechtigung. Doch je länger Abdel Sattouf in seiner Heimat ist, desto stärker übernimmt er die Gepflogenheiten seiner Landsleute – womit der private Konflikt des Ehepaars Sattouf benannt ist. Die Lebendigkeit dieses Konflikts wird ein wichtiges Korrektiv zu dem sein, was unser kindlicher Held im Syrien der 1980er Jahre erlebt.

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Der kleine Blondschopf, als der Sattouf sich schon im ersten Teil eingeführt hat, ist nun sechs Jahre alt und »bereits ein ganzer Kerl«. Allerdings hat er noch »die Stimme eines kleinen Mädchens« und muss sich »ziemlich zusammenreißen, um nicht laut loszuheulen, wenn er hinfällt«. All das erfährt man schon im ersten Panel, das diesen kleinen Helden in all seinen Widersprüchen so wunderbar einfängt und charakterisiert, dass den Lesenden die Geschichte schon hier packt und auf den folgenden 160 Seiten nicht mehr loslassen wird. Man kennt dies bereits aus dem ersten Band sowie aus Sattoufs Comic »Die Beschneidung«.

Im Gegensatz zum unbesorgten Dasein des ersten Teils wird sich im Leben des kleinen Riad aber einiges ändern, denn im maroden Schulgebäude von Ter Maaleh lernt er die Zuckerbrot-und-Peitschen-Pädagogik seiner drallen Klassenlehrerin kennen, deren liebliches Gesicht sich zu einer bleckenden Fratze verwandelt, wenn sie zur Bestrafung der Eleven schreitet. So erfährt der sympathische Kindskopf von Erzähler am eigenen Leib, was es heißt, die Erwartungen der Lehrerin nicht zu erfüllen. Und er entwickelt Strategien, sich durch diese antisoziale Institution des Kinderdrills namens Schule zu lavieren. Während er im Arabisch-Unterricht meist versucht, entweder strebsam sein Bemühen zu betonen oder sich einfach nur wegzuducken, gilt es am Nachmittag, Mut zu beweisen und nicht zurückzustecken, wenn die Jungs ihre Mutprobenspielchen aufführen. Die skurrile Komik, mit der Sattouf das erzählt, kippt nie ins Lächerliche, sondern bleibt immer in Kontakt mit dem anmutigen Staunen des Kindes, der er hier ist.

Im zweiten Teil werden die Leser nicht nur zu lesenden Beobachtern des schulischen Alltags, sondern erfahren auch, von wem er das Zeichnen gelernt hat. Da ist zum einen die 35-jährige Halbcousine Leila, von der er das perspektivische Zeichnen lernt, und zum anderen der syrische Illustrator Mumtaz Al-Bahra, dessen Schulbuchzeichnungen den sechsjährigen Riad vollkommen gefangen nehmen, weil sie in ihrer prunkvollen und detaillierten Ausstattung so gar nicht in die karge Realität des syrischen Alltags passen wollen. Leila und Al-Bahra haben in Sattouf die Leidenschaft fürs Grafische geweckt.

Sattoufs Grafik ist geprägt von einem naiven Strich, der sich bei den Hintergründen auf das Notwendige beschränkt, seine Stärke aber in der Inszenierung der handelnden Akteure und ihrer Habitus entfaltet. Dank der karikierenden Überzeichnung taucht er die Ernsthaftigkeit der Situation nicht nur in die naiven Farben der Kindheitserinnerung, sondern rückt sich in die Position, die Dinge ähnlich verschroben darzustellen, wie er es in seiner Gesellschaftskomödie »Jacky im Königreich der Frauen« zuletzt getan hat. So ist die Grundsatzkritik an der Idiotie der archaischen Lebensregeln kaum zu übersehen, man kann sie aber nicht wirklich festmachen – weder an einem Regime noch an den Personen. »Der Araber von morgen« erzählt vielmehr vom allgemeinen Staunen eines kleinen Jungen über die verschiedenen Absurditäten, die sich doch irgendwie zu einer Gesellschaft verbinden lassen.

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Riad Sattouf: L’arabe du futur. Une jeunesse au Moyen-Orient (1984-1985). Allary Éditions 2015. 160 Seiten. 20,90 Euro. Hier bestellen

Die Schule des Lebens, die der kleine Riad Sattouf mit den Auslandsaufenthalten seiner Eltern durchläuft, setzt sich auch im zweiten Teil fort. Sie besteht vor allem in der arglosen Beobachtung des Fremden, aber auch im latenten Kulturkonflikt, der sich zwischen seinen Eltern vollzieht. Denn je mehr Zeit Abdel Sattouf in seinem Heimatland verbringt, desto konsequenter wandelt er sich vom glühenden Panarabisten zum saturiert-chauvinistischen Wohnzimmermuslim, der die archaischen Wurzeln seiner Umgebung für sich (wieder)entdeckt und diese gegen den Willen seiner aufgeklärten Frau durchzusetzen versucht. Forderte er zu Beginn des ersten Teils noch ein Ende der Frömmelei und ein Ankommen in der Moderne, erklärt er hier seinem Sohn, dass die meisten Regeln gottgewollt sind und er sich, wenn nichts mehr helfe, Gott zuwenden solle.

Die schwerelose Art und Weise, in der Riad Sattouf das Durchbrechen des unterdrückten männlichen Egon seines Vaters Abdel darstellt – ob bei der Spatzenjagd mit seinem Sohn oder der wahnwitzigen Idee des Baus einer gigantischen Villa – ist immer wieder höchst komisch. In der arglosen Beobachtung der Eltern durch den Sechsjährigen werden die individuellen und kulturellen Wurzeln dieses Konflikts entlarvt. Pauschale Urteile wird man in diesem Werk nicht finden, vielmehr ist es den Lesenden anheimgestellt, sich durch die Brille dieses Jungen ein eigenes Bild zu verschaffen.

Dies gilt auch dann, wenn es, wie im Zentrum des zweiten Bandes von Der Araber von morgen, zu einem grauenhaften Verbrechen kommt, dass einen tiefen Graben zwischen den Kulturen aufreißt. Ob dieser geschlossen werden kann oder übersprungen werden muss, können deutsche Leser ab Mitte Februar 2016 erfahren. Dann soll der zweite Teil von Sattoufs Kindheitserinnerungen in der Übersetzung von Andreas Platthaus erscheinen. Bis dahin bleibt nur, im Original zu lesen oder eine der drei Lesungen beim internationalen literaturfestival berlin zu erleben, wenn er entweder über sein Leben zwischen Comic, Karikatur und Zeitgeschichte spricht oder aber seinen Comic in einem bebilderten Gespräch erstmals in Deutschland vorstellt.

3 Kommentare

  1. […] immer wieder mit sozialen Rollen, sei es in »Der Araber von morgen« oder in ihrem Spielfilm »Jacky im Königreich der Frauen«. Worum geht es Ihnen dabei? Um Provokation oder Aufklärung?Weder noch. Es geht mir um eine Art der […]

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