Emily Blunt steht in Denis Villeneuves »Sicario« Schmiere, während sich Josh Brolin und Benicio Del Toro die Gesetzlosigkeit des panamerikanischen Drogenkrieges zu Eigen machen. Erzählerisch ist Villeneuves actiongeladener Drogenthriller unspektakulär, bildsprachlich hingegen großes Kino.
An der südlichen Grenze der USA tobt ein Krieg, der keine Regeln und Gesetze kennt. Wohin das führen kann, zeigt die actiongeladene Anfangssequenz von Denis Villeneuves Drogenthriller Sicario. Zu sehen ist, wie eine auf Entführungen spezialisierte Polizeieinheit ein unscheinbares Haus des mexikanischen Sonora-Kartells hochnimmt. Hinter den Gipskartonwänden finden die Spezialkräfte dutzende zu Tode gefolterte Leichen – ein Anblick des Grauens. Geleitet wird der Einsatz von der androgynen FBI-Agentin Kate Macer, stark gespielt von Emily Blunt, die sich in der Männerdomäne des bewaffneten Kampfes mit Ehrgeiz und Disziplin weit nach oben gekämpft hat. Sie steht in der Anfangsszene auch noch dann ihren (inneren) Mann, als ihre mit Y-Chromosom ausgestatteten Kollegen schon kotzend überm Zaun hängen. Doch für Ruhe und Erholung ist in diesem aufreibenden, handlungsgetriebenen Film kein Platz. Noch bevor der erste Schock verdaut ist, explodiert im Vorgarten des Hauses ein Schuppen und reißt zwei von Macers Männern in den Tod.
Kurz darauf tritt sie einer Sondereinheit bei, die »dramatisch überreagieren« soll, um die Hintermänner dazu zu bringen, Fehler zu machen, wie deren Leiter Matt Graver erklärt. Josh Brolin verkörpert diesen ehemaligen CIA-Agenten als selbstgefälligen Schnösel, der sich nur ungern in die Karten schauen lässt. Macer begibt sich allem Misstrauen zum Trotz in seine Einheit, weil sie hofft, nicht mehr nur noch an der Oberfläche zu kratzen, sondern dem organisierten Verbrechen einen entscheidenden Schlag verpassen zu können. Stattdessen aber wird sie einer Maschine ausgeliefert, die maskulin und auf Vernichtung ausgerichtet ist. Sie wird, ebenso wie die Ideale des demokratischen, auf moralischen Grundwerten basierenden Demokratie, für das sie steht, im Laufe des Films unter die Räder der brutalen Wirklichkeit geraten. Die Zuschauer werden gemeinsam mit ihr zur ohnmächtigen Komplizin beim brachialen Ausverkauf des amerikanischen Rechtssystems, das im grenzenlosen War on Drugs seine ethischen Maßstäbe ablegt, um diesem Krieg den eigenen Stempel aufzudrücken. Das Land des Adlers entpuppt sich als ein »Land der Wölfe«, in dem die aufstrebende Polizistin zur Machtlosigkeit verdammt ist und mit ihren Idealen wie Ikarus vom Himmel stürzt. An ihrer Figur wird die Frage exerziert, wie weit wir zu gehen bereit sind, um die Demokratie zu schützen.
In diesem Land regieren skrupellose Raubtiere wie Matt Graver, für den Entführungen, Folter und Erschießungen die Ermittlungsmethoden der Wahl sind. Der Zweck, in diesem aussichtslosen Kampf einen Etappensieg zu erringen, heiligt die Mittel. Ihm zur Seite steht der geheimnisvolle Alejandro, grandios verkörpert von Benicio Del Toro. Wie kein anderer kennt der ehemalige Staatsanwalt die Grausamkeit der mexikanischen Drogenkartelle. Im Kampf gegen das organisierte Verbrechen hat er seine Familie verloren, als Sicario (spanisch für Auftragskiller) unterstützt er nun jeden, »der gegen die Leute arbeitet, die ihn zu dem gemacht haben, der er ist«. Um an die Informationen zu gelangen, die er braucht, bohrt er Gefangenen schon mal mit den Fingern in den Ohren oder führt größere Instrumente in andere Körperöffnungen. Er ist die dunkle Seele dieser bildgewaltigen Momentaufnahme des panamerikanischen Drogenkriegs und damit der Gegenpol zu Kate Macer, die in einer Mischung aus Abscheu und Faszination dessen abgeklärtes, aber effektives Vorgehen beobachtet. Während sie im Laufe des Films wie Ikarus vom Himmel stürzt, steigt Alejandro wie Phoenix aus der Asche.
Erzählerisch reicht Villeneuves neuer Thriller nicht an die Klasse von Prisoners oder Incendies heran. Die Zeichnung der Figuren auf der Geschlechterebene ist ebenso zu eindimensional geraten wie die Schilderung des Drogenkrieges zu oberflächlich ist. Macers bisheriger Aufstieg geht einher mit dem Ablegen so genannter »weiblicher Eigenschaften«, der äußeren Abhärtung durch das Stählen des eigenen Körpers – dessen Reize sie weder zu pflegen noch richtig einzusetzen vermag – folgt eine innere Verhärtung, die aber nicht an die Skrupellosigkeit der beiden männlichen Hauptfiguren heranreicht. Zugleich ist deren Dämonie nicht ausreichend, um sie vom Thron der »Guten« im Kampf gegen »das Böse« zu stoßen. Wer hier mehr Tiefe wünscht, sollte besser zu Don Winslows Roman Tage der Toten und dem Folgewerk Das Kartell greifen.
Großartig hingegen ist Sicario dann, wenn die Bilder die Erzählung übernehmen. Mächtig die Eindrücke, wenn sich die Kamera über die feindliche Landschaft erhebt und auf die mexikanische Grenzstadt Juárez schwenkt, die sich als biblischer Moloch hinter dem massiven Grenzzaun ausbreitet. Dort wird das US-Kommando von schwerbewaffneten Polizeikräften eskortiert. Im rasenden Tempo geht es durch die Armenviertel der Stadt, vorbei an Unterführungen, an denen verstümmelte Leichen hängen. Kommt der Tross mal zum stehen, sieht man im Hintergrund die Bilder der verschwundenen Frauen an den Hauswänden. Die in Mexiko City gedrehten Szenen bilden – ähnlich wie die Fotografien von Alex Webb aus den achtziger Jahren – den Kontrast zwischen Wunsch und Wirklichkeit perfekt ab, die bunte Stadt ist nur Kulisse für die allgegenwärtige Bedrohung.
Kameramann Roger Deakins (No Country for Old Men, James Bond – Skyfall) hat für Sicario auf Techniken zurückgegriffen, die die Militarisierung der Polizeiarbeit in der Grenzregion aufgreifen. Die Zuschauer fliegen mit Hubschraubern über die (beeindruckend fotografierte) Wüstenlandschaft, sitzen bei den rasanten Fahrten durch die engen mexikanischen Straßen mit im Einsatzwagen oder schauen durch die Infrarot- und Wärmebildkameras, die die Sicherheitskräfte bei einem nächtlichen Einsatz in einem Schmugglertunnel tragen. Schon Barry Ackroyd hatte in Kathryn Bigelows Oscar-prämierten Irakkriegsthriller The Hurt Locker auf diese Technik zurückgegriffen, um die Wirkung der Bildsprache auf den Gipfel zu treiben. Tatsächlich wird die beklemmende, adrenalingeschwängerte Atmosphäre der Situation nahezu physisch spürbar. Wenn die in der Dunkelheit liegende Landschaft zum Schema wird, beginnt das hemmungslose Töten wie im Killerspiel auf dem PC. Gesteigert wird dies noch durch das ebenso simple wie geniale akustische Leitmotiv von Jóhann Jóhannsson, das mit der nahenden Bedrohung brachial anschwillt. Ein Muster, dass an das rhythmische Schrammeln in Steven Spielbergs Der weiße Hai erinnert.
Der amerikanische Drogenkrieg wird aktuell vielfältig cineastisch abgebildet. Sicario gehört trotz erzählerischer Schwächen neben der Netflix-Serie Narcos zu den besseren Alternativen.
[…] global vernetzten Welt und die dort herrschenden Regeln und Gesetze. Jorge Zepeda Patterson ist der Don Winslow Mexikos, seine Crime-Literatur nimmt die Vorgänge in der mexikanisch-amerikanische Grenzregion aus […]
[…] und dessen magische Bilder man auch aus Denis Villeneuves Blockbustern »Blade Runner 2049« oder »Sicario« sowie Ethan und Noel Coens Kultfilmen »Fargo« oder »No Country for Old Man« kennt, fängt diese […]