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»Ich kann nicht ohne Musik«

Bei dem Titel »In the Pines« denken wahrscheinlich zwei Drittel aller Leser zunächst an die Version von Nirvana. Auf der beiliegenden CD willst Du uns aber die Bluegrass-Version nahebringen. Warum?

Ja, das ist die Bluegrass-Standard-Version von Bill Monroe. Warum wir die spielen, ist ganz einfach. Ich habe mit den Blue Grass Boogiemen, die gute Freunde von mir sind, die CD eingespielt. Der Song ist in ihrem Repertoire, also haben wir es gespielt. Es gibt von dem Song so viele Versionen, und Nirvana hat »Lead-Belly-Version« gespielt. Man weiß ja nicht genau, woher die Ballade kommt, aber die erste Aufnahme stammt aus den zwanziger Jahren und wurde von Lead Belly aufgezeichnet. Diese Version hat dann Nirvana gecovert.

Wenige wissen ja, dass nur ein kleiner Teil der Mörder-Balladen überhaupt erhalten geblieben ist. Da sie zu einer Zeit entstanden, als es kaum Publikationen gab, sind viele wieder in Vergessenheit geraten und verloren gegangen.

Ja, aber genau darum geht es ja bei den Balladen. Die gab es vor den Zeitungen und vor Twitter. Im Grunde wahren sie die Sozialen Medien ihrer Zeit. Die meisten Leute konnten nicht lesen und schreiben. Die Troubadoure zogen von Dorf zu Dorf und erzählten, was sie woanders aufgegabelt hatten. Und überall kam noch etwas dazu. Das ist die Tradition der Balladen, die mit der Immigration von Europa nach Amerika kam und dort einen eigenen Platz gefunden hat. Blues und Country, Schwarz und Weiß – Bluegrass ist der Mix aus beidem, ist sowohl schwarz als auch weiß.

Du hast dem Buch »In the Pines« auf den Titel geschrieben, die Ballade selbst ist aber gar nicht adaptiert.

Nein, das habe ich nicht. Als ich meine fünf Geschichten fertig hatte, war ich auf der Suche nach einem Titel. Ich hatte das Projekt immer nur »Mörder-Balladen« genannt, aber es ist grundsätzlich blöd, eine Sache nach ihrer Eigenschaft zu benennen. Dann habe ich erst gedacht, ich nehme eine der Geschichten heraus, etwas »Pretty Polly und andere Geschichten« oder so, aber das hat mir auch nicht gefallen. Und dann bin ich auf »In the Pines« gekommen, das fand ich sofort super. Denn die Geschichten spielen alle im oder am Wald, und die erste Strophe des Songs fängt die ganze Atmosphäre ein.

Das war auch mein erster Gedanke, der Wald spielt einfach eine sehr wichtige Rolle in allen Geschichten.

Ja, und ich bin sehr froh, dass ich mich so entschieden habe. In der niederländischen Ausgabe ist der Titel auch erhalten geblieben. Hätte ich den übersetzt in Richtung »Under de Dennen«, dann wäre das so eine Mischung zwischen Weihnachten und Softporno gewesen. Mein Verleger hat auch gleich gesagt, natürlich »In the Pines«, jeder kennt doch das Lied. In Deutschland war das auch kein Problem. Nur in Frankreich heißt der Comic jetzt »Dans les Pines«, weil man in Frankreich keinen englischen Titel in die Buchläden stellen kann.

 

Gibt es für Dich eine Verbindung zwischen den Lovecraft-Geschichten, die Du vorher gemacht hast, und »In the Pines«?

Ich glaube, es gibt keine direkte Verbindung. Die Geschichten spielen beide etwa zur selben Zeit, Interbellum, wie man so schön sagt. Ich lasse das mehr oder weniger offen. Ich habe zwar einen Oldtimer und einen Strommasten gezeichnet, aber das kann auch 1870 sein. Ich finde, das ist eine irrsinnig spannende Epoche, und da ich die Lovecraft-Geschichten schon in dem Stil gezeichnet habe, war das nur eine logische Folge für mich. Es gibt aber auch einen Unterschied: Lovecraft ist außerirdischer Horror, die murder ballads aber erzählen vom menschlichen Horror.

Du hast einige Geschichten ziemlich nah am Songtext umgesetzt, etwa »Caleb Meyer«, andere aber um zahlreiche Aspekte erweitert.

Naja, auch bei »Caleb Meyer« habe ich etwas hinzugefügt, nämlich dass die Frauenfigur schwanger ist. Das kommt im Lied nicht vor.

Wie hast Du entschieden, in welchen Fällen Dir die Songvorlage reicht und wann Du eingreifst?

Ich weiß nicht, es gibt da kein Rezept. Ich habe eine Idee und dann versuche ich es. Bei »Caleb Meyer« hatte ich eben die Idee mit der Schwangerschaft. Sie ist alleine und hat Schuldgefühle. Das Lied geht so unter die Haut. Die Frau ist so isoliert, und ich habe mich gefragt, was ist da passiert. Also sie lebt da auf einem kleinen Bauernhof, ihr Mann ist vielleicht ein bisschen älter. Dann ist da noch dieser blöde Kerl, ein bisschen dumm, der sich über die Anwesenheit dieser jungen Frau freut. Und dann wird sie jahrelang nicht schwanger. Da war früher natürlich immer die Frau schuld, nie der Mann. Das war damals so und heute ist es im Grunde immer noch so. Das waren meine Gedanken. In meiner Geschichte überfällt dieser Grobian also die Frau, sie wehrt sich und bringt ihn um, ist danach aber schwanger. Was soll sie jetzt machen? Etwa ihrem Mann erzählen, dass sie möglicherweise von einer Vergewaltigung ein Kind in sich trägt? Das waren so meine Gedanken. Das habe ich dann noch ein wenig hin und her arrangiert und dann passte das. Es braucht solche Einfälle. Meist habe ich die unter der Dusche oder auf dem Fahrrad. Ich muss mir das dann schnell aufschreiben, sonst ist es wieder weg.

In der Adaptation von »Where the wild Roses grow« änderst Du die Perspektive und rückst Eliza Day stärker in den Blick. Eine Idee Deiner Freundin, um mehr aus den Frauenfiguren zu holen?

Das ist witzig, dass Du das so sagst. Tatsächlich ist es die Lieblingsgeschichte meiner Freundin. Die Frau ist ein echtes Miststück in meiner Geschichte. Ich habe mich gefragt, warum sie Wild Rose genannt wird. Im Song ist sie eine Jungfrau, hat das erste Mal überhaupt Sex und wird danach ermordet. Da muss doch etwas sein, habe ich mir gedacht. Ich denke, sie ist ein Miststück, ein hintertriebenes Luder.

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