Comic, Interviews & Porträts

»Es ist sehr schade, dass Plattformen für anspruchsvolle Comicserien wegfallen«

Der Berliner Reinhard Kleist ist einer der besten und erfolgreichsten Comiczeichner Deutschlands, seine Arbeiten werden in der FAZ, dem Spiegel und der zitty veröffentlicht. Im Interview spricht er über seine letzte Comicserie »Berliner Mythen«, seinen jüngsten Erfolg mit »Der Traum von Olympia« und das zweite Ende der Zeitungscomics.

Reinhard, worin bestand für Dich die größte Herausforderung bei der Serie?

Das Wahre mit dem Unterhaltsamen zu verbinden. Man will ja nicht nur Fakten hubern, sondern den Leser auch einbinden, Spannung erzeugen, witzig sein. Aber die größte Faszination sollte der Gedanke ausüben, dass alles tatsächlich so gewesen sein könnte.

Welche Geschichte hast Du am liebsten gezeichnet?

Ganz klar, die Bowie-Geschichte. Ich bin Fan und mag die Geschichten über die Musikszene in Berlin der 80er und 90er Jahr. Da ist natürlich ganz viel Legendenbildung dabei, aber das ist ja auch das Schöne dran. Wenn die Legende spannender ist als die Wahrheit, druck die Legende.

Wie viele Informationen hast Du in der Regel von Lutz Göllner bekommen?

Das war sehr unterschiedlich. Bei einigen Geschichten hatte ich nur ein paar Infos oder den Ort, um die ich meine Recherche aufbauen musste, bei anderen hatte ich tatsächlich Fotos und Links bekommen. Bei der Kusian-Geschichte waren die Redakteure sogar bei einem Polizeiuniform-Verein, um mir Fotos zu liefern, wie die Polizeiuniformen in Ost-und West-Berlin aussahen.

Gab es Vorgaben von Seiten der zitty oder von Lutz Göllner?

Gott sei Dank nicht. Denen hätte ich aber auch was gehustet!!! Aber im Ernst: Ich habe neben Lutz auch immer eng mit Michael Groenewald von Reprodukt zusammengearbeitet, der meine Comics redigiert und mich oft vor Verständnisfehlern bewahrt hat. Manchmal ist man schon betriebsblind, wenn man allein an so einer Geschichte arbeitet und die ganzen Fakten in- und auswendig kennt. Da ist es gut, wenn ein Dritter drüber liest.

Web_Mythen-Bowie

Was war Dir beim Zeichnen der Geschichten am wichtigsten?

Da gab es zwei Punkte: Ist das wirklich alles so oder so ähnlich hier passiert? Wie zum Beispiel bei »Bowie in Berlin« oder »Operation Gold«. Bei letzterer kam ich aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus, was für ein Kindergarten sich da unter der Erde abgespielt hat und wie nah das Ganze dran war, einen dritten Weltkrieg auszulösen. Und dann das Menschliche, das ich versucht habe hinter den Fakten zu entdecken. Etwa wie bei »Erwin geht zur Schule« oder der »Flucht«. Dabei habe ich festgestellt, dass der Weg über das Menschliche dazu führen kann, dass man besser versteht, was in der Stadt passiert ist. Man begreift plötzlich, was so eine Flucht bedeutet oder wie der Kalte Krieg den Alltag eines Schuljungen verändert.

Wie lange hast Du im Schnitt an so einer Geschichte gesessen?

Das kann ich so genau gar nicht sagen. Ich hab die Recherche immer mal zwischendurch gemacht. Manchmal hatte ich auch schon Material auf Lager. Im Schnitt kann ich sagen, dass ich eine Seite pro Tag schaffe. Wenn es ein guter Tag ist.

Die Erfindung des Taxifahrers Ozan ist ein cleverer erzählerischer Kniff, der auf die Dauer aber auch die Gefahr des immer gleichen Aufbaus birgt. Dir ist es dennoch gelungen, eine gewisse Flexibilität in die Geschichten zu bringen, etwa wenn »Operation Gold« vom Gast und nicht vom Taxifahrer erzählt wird. Wie schwer war es, Monotonie im Aufbau der Geschichten zu verhindern?

Die Furcht vor der Monotonie war natürlich immer da, deshalb habe ich versucht, das Schema immer wieder mal aufzubrechen. Zum Beispiel auch in der Episode, wo Ozan seiner Tochter eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt. Im Laufe der Zeit hatte sich jedoch etwas eingeschlichen, dass Ozans Erzähllust einen etwas unangenehmen Touch bekam. In ein paar Situationen wurde er dann doch etwas rechthaberisch und neunmalklug. Das bleibt wohl nicht aus. Was ich jedoch mag, sind immer wiederkehrende Elemente in Strips, wie sein ständiges Verdrehen von Sprichwörtern.

In der Geschichte »Rukeli« bindest Du Deinen eigenen Comic »Der Boxer« mit ein, der damals in die Comicläden kam. Gab es da Bedenken von Seiten der Zitty zwecks Werbung?

Nein, mein Kollege Fil machte ja auch gerne mal unverhohlen Werbung für sich. Und da hat auch keiner gemeckert.

BerlinerMythen-3

Die Mythen wurden 2015 bei der zitty eingestellt, auch die FAZ – für die Du ebenfalls gezeichnet hast – hat ihre Strips gestrichen. Der Berliner Tagesspiegel ist eines der wenigen Medien, die noch Zeitungscomics bringen. Was heißt das für Deine Arbeiten? Wie existenziell bedrohlich ist diese Situation für Zeichner wie Dich?

Also meine Existenz ist davon nicht bedroht. Ich finde es allerdings sehr schade, dass solche Plattformen für anspruchsvolle Comicserien in Deutschland wegfallen. Der Comic hat in den letzten Jahren einen enormen Aufwind erfahren und dass es fast nicht mehr möglich ist, eine längere Geschichte in Deutschland in einem Printmedien vorzuveröffentlichen geht an der Wirklichkeit vorbei. Ich hatte sehr tolle Erfahrungen mit der Veröffentlichung in beiden Zeitungen. Für mich war das eine ganz neue Herausforderung beim Arbeiten. Man muss beim Erzählen ganz anders denken, episodischer und reduzierter. Man muss dem Leser einen schnelleren Einstieg ermöglichen und auch im Blick haben, dass jemand auch dann in die Geschichte hineinkommen muss, der den Anfang nicht kennt. Aber man kann auch schön mit der Erscheinungsform spielen, wenn man im Blick hat, dass es immer eine Pause zwischen dem Erscheinen der Strips gibt.

Berliner Mythen
Reinhard Kleist: Berliner Mythen. Carlsen Verlag 2016. 96 Seiten. 14,99 Euro. Hier bestellen

Historisches Material ist für Comiczeichner immer wieder verlockend. Isabel Kreitz und Peer Meter haben mit einer Mörderserie ja eine ähnliche, wenngleich umfangreichere Verarbeitung von drei legendären Mördern vorgenommen. Bist Du bei der Arbeit auf Stoff gestoßen, wo Du dachtest, dass der vertieft werden und zu einem größeren Comic verarbeitet werden müsste?

Ich hab bei einigen Geschichten gedacht, dass die noch tiefer ausgearbeitet werden könnten, mich dann aber doch im Rahmen einer Serie über Mythen in Berlin eher kurz halten müsste. Die Episode über Elisabeth Kusian habe ich im Buch länger gemacht als in der zitty, weil ich das Gefühl hatte, ich muss die Motive der Hauptfigur noch mehr beleuchten. Und es gibt tatsächlich eine Geschichte, bei der ich gerade überlege, sie als lange Graphic Novel auszuarbeiten. Ich kann aber noch nicht sagen, welche das ist.

Für Deinen letzten Comic »Der Traum von Olympia«, in dem Du die bewegende Geschichte der somalischen Sportlerin Samia Yusuf erzählst, bist Du gerade vielfach ausgezeichnet worden. Der LUCHS-Preis 2015 ging an Dich wie auch der Katholische Kinder- und Jugendbuchpreis. Im Rennen um den Deutschen Jugendliteraturpreis 2016 bist Du auch noch. Ist das eine Genugtuung, nachdem der Comic medial nicht so stark wahrgenommen wurde wie andere, weniger aktuelle Titel?

Genugtuung klingt so negativ. Ich freue mich wie Bolle über so eine Anerkennung. Ich hab am Anfang meiner Karriere davon geträumt, dass man den Comic in Deutschland mal genauso wertschätzt wie andere Medien. Das passiert jetzt. Die Leute erkennen, dass man in diesem Medium genau so erzählen kann, wie in anderen auch. Vielleicht sogar intensiver. Bei Veranstaltungen in Schulen mit »Der Traum von Olympia« bekomme ich immer wieder mit, was für eine sagenhafte Kraft die Zeichnung in Verbindung mit der Realität hat. Wenn die Kinder die Zeichnungen sehen und dazu erfahren, dass die Figur wirklich gelebt hat, sind sie jedes Mal völlig fasziniert und erleben die Geschichte auf einem ganz tiefen emotionalen Level. Viel tiefer als es Fotos oder Filme können.

Reinhard, vielen Dank für das Gespräch.