Literatur, Lyrik, Zeitgeist

Königswege sind Trampelpfade

Der Lyriker Oswald Egger hält am 12. September die erste Berliner Rede zur Poesie. Wir konnten ihm vorher ein paar Fragen zum Status Quo der Lyrik in Deutschland stellen.

Herr Egger, beim diesjährigen Meraner Lyrikpreis war von der Lyrik als aussterbende Gattung die Rede, Ulrike Draesner spricht in der aktuellen VOLLTEXT-Ausgabe gar davon, dass das Geld aus dem Berufsfeld der Lyrik abwandert. Steht es nach den Erfolgen von Jan Wagner in Leipzig und Nora Gomringer in Klagenfurt tatsächlich so schlecht um die Lyrik? Gefühlt hat die Poesie doch mehr Aufmerksamkeit als jemals zuvor.

Der alte Feng-hüeh hatte stets eine Antwort parat: »Ich denke immerfort, im Land südlich vom Yang-tzu-kiang, wo im Monat März Rebhühner singen, blühen hundert duftende Blumen.«

Liegt die eigentliche Schwäche vielleicht gar nicht in der Lyrik, sondern vielmehr in der Abwesenheit einer relevanten Lyrikkritik? 

Kann ich nicht sagen. Aber liegt nicht schon in Ihrer Fragestellung vielleicht die Antwort, irgendwie?

Welche Bedeutung kann oder muss eine institutionalisierte Berliner Rede zur Poesie in Zeiten der Bedrohung der Gattung einnehmen?

Genau davon handelt meine Rede – irreduzibel und, ich sags mal so: bedrohlich…

Sie werden die erste Berliner Rede zur Poesie halten. Empfinden Sie einen besonderen Druck? Gibt es Erwartungen innerhalb der gut vernetzten Lyrikszene? Und haben Sie selbst Erwartungen, was die Wirkung Ihrer Rede betrifft?

Es ist nicht immer das Erwartete, das an die Tür klopft, hat jemand gesagt: nur keine Türen einrennen, die schon offen sind!

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Oswald Egger: Harlekinsmäntel und andere Bewandtnisse. Matthes & Seitz Berlin 2016. 100 Seiten. 15 Euro. Ab dem 24. Oktober hier bestellen

Wie werden Sie Ihre Rede gestalten? Besonders verspielt, besonders laut oder besonders nachdenklich? Besonders literarisch oder, ganz im Gegenteil, besonders politisch? Wo verläuft da der Königsweg?

Vor allem »besonders«, wie Sie ja sagen. Und Königswege, das darf man nie vergessen, sind Trampelpfade.

Von Ihnen erscheint im Herbst ein Band, in dem Sie die Gedankenwelt des Physikers und Mathematikers Gottfried Wilhelm Leibnitz poetologisch untersuchen und entschlüsseln. Inwiefern hilft die Lyrik, wissenschaftliche Erkenntnisse besser zu verstehen?

Es ist genau umgekehrt, bei mir zumindest: mir helfen die Erkenntnisse, die Lyrik zu erforschen. Und mit Leibniz kommt man da weiter. Nicht bei jeder vielleicht, aber bei meiner in gewisser Hinsicht schon, denke ich.

Die Literaturwerkstatt Berlin wird sich wenige Tage nach Ihrer Rede in Haus der Poesie umbenennen. Ist das angesichts des starken Lyrikprogramms einfach nur konsequent oder Symbolpolitik?

Wahrscheinlich beides. Oder: keins von beiden. Ich glaube, genau darauf kommt es an.

Kritiker der zeitgenössischen Lyrik werfen ihr Weltflucht vor, fokussieren sich dabei aber vor allem auf die Verspieltheit oder die romantische Hinwendung zur Natur. Braucht es eine neue politisch Lyrik, wie einst etwa von Oskar Pastior, Anna Achmatowa oder Paul Celan praktiziert?

Jein, vielleicht sogar Jain: Ich habe, glaube ich, noch nie etwas anderes geschrieben als politische Lyrik. Die Politik der Lyrik allerdings meide ich eher.

Welche Rolle kann oder sollte Lyrik in Zeiten gesellschaftlicher Spannungen einnehmen?

Darauf gibt es immer noch keine einfachen Antworten… eine, die mir dazu einfällt – Novalis, aber irgendwie auch Adorno, – meinten: jede.

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