Erfolgsregisseur Fatih Akin bringt Wolfgang Herrndorfs Jugendroman »Tschick« auf die Leinwand und feiert das mitunter komplizierte Coming-of-Age der beiden Hauptfiguren als rasant-warmes Sommermärchen.
Die Kamera tanzt, das Licht ist warm, der Sommerwind rauscht, die Sonnenblumen stehen leuchtend unter strahlend blauem Himmel und die Musik spielt ewig. So fühlt sich Jugend an, zumindest in diesem einen Sommer, der einem das ganze Leben in Erinnerung bleibt. Von einem solchen Sommer erzählt Erfolgsautor Wolfgang Herrndorf in seinem Bestseller Tschick, den Fatih Akin nun für die Leinwand adaptiert hat.
Wer den Roman gelesen hat, und das waren vor zwei Jahren schon über zwei Millionen Menschen, der ahnt, dass man als Filmemacher nicht allzu viel falsch machen kann, wenn man die Geschichte einfach laufen lässt. Das Buch ist schon als Literatur ein Roadmovie, ist wie für die Leinwand geschrieben. Der Einstieg mit der Schilderung der Situation auf dem Polizeirevier und dem Blick auf die zerstörten Gliedmaßen, dann die Rückblende in das Schuljahr vor dem einen Sommer, in dem Maik Klingenberg sich nicht nur unsterblich (und vergeblich) in Tatjana Cosic verliebt, sondern auch Andrej Tschichatschow alias Tschick begegnet. Fatih Akin, der zuletzt mit dem armenischen Flüchtlingsdrama The Cut ein bleischweres Thema auf die Leinwand gebracht hat, macht es sich hier nicht allzu schwer, sondern filmt diesen Einstieg genau so, wie ihn Herrndorf geschrieben hat.
Auch die Beziehung zwischen Maik und Anfangs lässt er langsam entstehen. Maik hält anfangs Abstand von dem schrägen Typen mit rasiertem Schädel und schwarzer Tintin-Mähne über der Stirn, der in der Schule schläft und seinen Lehrern (hier u.a. Katerina Poladja in einer charmanten Gastrolle) schon mal den Alkohol der letzten Nacht vor die Füße kotzt. Doch am letzten Schultag schmilzt das Eis, nach dem gemeinsamen Besuch auf Tatjana Cosics Geburtstagsparty ist es gebrochen. Als Tschick kurz darauf bei Maik mit einem blauen Lada vor der Tür steht, kommt ihm das gerade recht, denn seine alkoholkranke Mutter hat sich gen »Beautyfarm« aufgemacht und sein Vater hat seine eigene Vorstellung von Schönheit in seiner Assistentin gefunden und mit ihr eine zweiwöchige »Dienstreise« angetreten.
Akin beweist in diesem ersten Teil seines Films, dass er weiß, wie man diese Geschichte erzählen muss. Dem Zentralasiaten Tschick (Anand Batbileg) verschafft er einen großen Auftritt auf seiner ersten Bühne. Es läuft laute Rockmusik, die Kamera schaltet auf Zeitlupentempo – man weiß sofort, dass da einer kommt, der für den unauffälligen Maik (Tristan Göbel) die Welt verändern wird. Manches erinnert hier an den frühen Quentin Tarantino. Der Cast der beiden Jungs passt. Während der 14-jährige Tristan Göbel bereits aus verschiedenen Produktionen bekannt ist (u.a. Winnetous Sohn, Rico, Oskar und der Diebstahlstein), avanciert der 15-jährige Anand Batbileg zur eigentlichen Entdeckung des Films. Er spielt seine Rolle so souverän, als hätte sie ihm Herrndorf auf den Leib geschrieben. Gemeinsam spielen sie dieses ungleiche Paar, übermütig, abenteuerlustig und lebensfroh.
Auf der Klangwolke von Richard Claydermans Ballade für Adeline wird der Lada die beiden Jungs auf Straßen, Sandwegen und durch Maisfelder durch Brandenburg tragen. Das offizielle Ziel der beiden ist die Walachei, weil dort Tschicks Großvater lebt, aber vielleicht ist das eigentliche Ziel auch einfach nur der Weg. Es treibt sie in ein gottverlassenes Brandenburger Kaff, wo eine Öko-Mutter ihre Harry-Potter-begeisterte Kinderhorde mit Risi-Pisi bekocht und den Quark mit Himbeeren erst nach einem Wissensquiz verteilt. Von dort geht es weiter durch den Osten Deutschlands. Bis sie dem Müllmädchen Isa (Nicole Mercedes Müller) begegnen – der Herrndorf gern einen eigenen Roman gewidmet hätte, diesen aber nur als unabgeschlossenes Fragment hinterlassen hat – und diese kurzzeitig Teil dieser Sommerreise wird.
Kurz bevor es zum verheerenden Unfall auf der Autobahn kommt, der wieder zum Anfang der Geschichte zurückführt, folgt die stärkste Szene des Films. Da stehen die beiden Freunde am Anfang eines morschen Bohlenstegs, der durch einen apokalyptischen Sumpf führt. Als Tschick Maiks Bedenken zur Seite wischt und sagt, dass er doch jetzt nicht umdrehe, wird Claydermans romantische Ballade vom Jubelgesang des Henning May, Stimme der der aktuellen Erfolgsband AnnenMayKantereit, abgelöst, der zu den Beats der Berliner Hip-Hop-Formation K.I.Z. »Hurra die Welt geht unter« singt. Ja, diese Welt mag untergehen, Fatih Akin inszeniert diesen Untergang aber wie ein Never-Ending-Summertale.
Die stärkste Szene wird auch die, an der Hark Bohm und Lars Hubrich, der das Drehbuch geschrieben hat, den massivsten Eingriff in die Handlung vorgenommen hat. Maik Klingenberg und Andrej Tschichatschow werden in diesem Film nie im Braunkohletagebau ankommen, wo sie Horst Fricke mit einer Ladung Schrot begrüßt. Diese Szene ist eine der einprägsamsten des Romans, weshalb ihr Fehlen im Film eine unschöne Leerstelle hinterlässt. Die beiden Jungs werden auch nie versuchen, über einen Abhang auf die Autobahn zu kommen, sich nicht überschlagen und Tschick wird sich nicht das Bein brechen. Stattdessen tritt er sich aber einen riesigen Holzspan in den Fuß, als er versucht, den steckengebliebenen Lada aus dem Sumpf zu holen. Dies wird im Film der Grund sein, warum Maik ans Steuer des Lamas muss. Die Folgen sind bekannt.
In der Mitte des Films gibt es eine zentrale Szene. Als die beiden Jungs am Fuß eines Windrades in den nächtlichen Himmel starren und über die Größe des Universums philosophieren, sagt Maik zu Tschick: »Total unwahrscheinlich und unendlich groß ergibt dann doch etwas.« Genau das kann man auch über den Film sagen. Es war total unwahrscheinlich, dass die Verfilmung von Herrndorfs Jugendroman die unendlich großen Erwartungen erfüllen kann. Dass es dennoch ein Regisseur wie Fatih Akin versucht hat, ist ein Gewinn, denn so enttäuscht dieser Film nur einige, aber bei weitem nicht alle Hoffnungen. Weshalb dieser Roadmovie nicht gegen die Wand läuft, sondern doch etwas ergibt.
[…] auf der ersten Seite dieses Romans fühlt man sich zurückversetzt in den Moment, als man Wolfgang Herrnsdorfs Tschick zur Hand nahm, die erste Seite aufschlug und laß: »Als erstes ist da der Geruch von Blut und […]
[…] Heldensaga mit Lada […]