Film

Ein Leben für die Kunst

Peggy Guggenheim hat die wohl bedeutendste Sammlung der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts quasi im Alleingang zusammengetragen. Die Dokumentarfilmerin Lisa Vreeland zeigt die schillernde Weltbürgerin der internationalen Kunstszene, aber auch die einsame Frau.

»Moderne Kunst interessierte mich von dem Moment an, da ich mir ihr in Kontakt geriet. Ich wurde süchtig danach und kam von ihr nicht mehr los.« Dieses Geständnis, das Peggy Guggenheim kurz vor ihrem Tod der Biografin Jacqueline B. Weld machte, fasst wie eine Perle ihr Leben zusammen, dass sie ganz der Kunst gewidmet hat. Die Regisseurin Lisa Immordino Vreeland hat diese Aussage in einem verschollen geglaubten Interview entdeckt, das Ausgangspunkt und Grundlage ihrer sehenswerten Filmbiografie bildet. Dabei versucht die 52-jährige Dokumentarfilmerin, die zuvor das Leben der legendären Modedesignerin Diana Vreeland (der Großmutter ihres Mannes) nachgezeichnet hat und aktuell das Leben des Fotografen Cecil Beaton verfilmt, einen Weg durch die Kunst zu finden, der zur Privatperson Peggy Guggenheim führt. In zahlreichen Gesprächen mit Weggefährten, Familienmitgliedern und Kunstexperten legt sie die tief verunsicherte und verletzte Persönlichkeit hinter der Fassade der strahlenden Kunstexpertin frei.

Denn Peggy Guggenheim, die sich stets mitten in die Kunstszene begab, die mit zahlreichen Künstlern zusammenlebte und etliche Affären pflegte, war bei aller Geselligkeit immer auch eine zutiefst einsame Person. Ihre Vorfahren kamen aus Europa aus Amerika und arbeiteten sich innerhalb von einem halben Jahrhundert aus den Niederungen der amerikanischen Gesellschaft in die High Society vor. Der Vater war ihre wichtigste Bezugsperson, er starb beim Untergang der Titanic, als sie dreizehn Jahre alt war. Fortan ging sie ihre eigenen Wege und entwickelte sich zum schwarzen Schaf ihrer Familie. Bloß gut, muss man sagen, denn das schleuderte sie aus den gesellschaftlichen Kreisen ihrer Familie hinaus und hinein in die Kunst und Kultur. Mit 20 Jahren arbeitete sie in einem Buchladen, anschließend verließ sie Amerika, um Abstand zwischen sich und die Familie zu bringen. 1921 ging sie nach Europa. Dort lernte die den Bildhauer Laurence Vail kennen, den sie 1922 heiratet. Aus der Ehe gingen zwar ihre beiden Kinder hervor, aber auch das tief sitzende Misstrauen infolge der Gewalterfahrung an der Seite des cholerischen Franzosen. Sie fand Trost bei dem Schriftsteller John Holms, der aus der quirlig-neugierigen Kunstgöre »einen ernsthafteren und weniger oberflächlichen Menschen« gemacht habe, wie sie Jahrzehnte später einräumte. Doch Holms stirbt 1934 infolge einer harmlosen Operation an der Hand, wieder ist Guggenheim allein. Es folgen Jahre wechselnder Affären, bis sie 1941 in den USA Max Ernst ehelicht. Die Verbindung bricht zwei Jahre später, als sich Ernst in die Malerin Dorothea Tanning verliebt. Es wird die letzte Ehe, nicht jedoch der letzte Verlust sein. Ihre Tochter Pegeen, zu der sie nie ein harmonisches Verhältnis aufbauen konnte, nimmt sich 1967 das Leben. Da lebte Peggy Guggenheim bereits seit Jahren mit dutzenden Hunden zurückgezogen in ihrem Palazzo in Venedig, der zugleich ihre bemerkenswerte Kunstsammlung beherbergte.

Peggy Guggenheim war eine Frau, die sich von Anfang an nicht nur für Kunst interessierte, sondern die sich mit Leib und Seele der Kunst verschrieb. Die Kunst war ihr Mittel, zu sich selbst und ihren Emotionen zu finden. Als sie 1921 die USA verließ und nach Paris ging, hatte sie nicht mehr als den Ruf ihres Familiennamens im Gepäck. Zwanzig erfahrungsreiche Jahre später, die sie in Paris und London verbracht und in denen sie die wichtigsten Vertreter der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts kennengelernt hatte, kommt sie mit einer der bedeutendsten Sammlungen dadaistischer, surrealistischer, kubistischer und expressionistischer Kunstwerke zurück. Mit einem Grundstock von etwa 40.000 Dollar sammelte sie Werke von Marcel Duchamp (ihrem großen Lehrer in Sachen Kunst), Man Ray, Georges Braque, Wassily Kandinsky, Piet Mondrian, André Breton, Yves Tanguy, Max Ernst, Paul Klee, Alberto Giacometti und Jean Mirò.

In New York eröffnet sie die Galerie »Art of this Century«, die bald einen besseren Ruf hat als die »Garage«, die sich ihr selbstherrlicher Onkel Solomon Guggenheim von Frank Lloyd Wright als Museum hatte bauen lassen. Auf den war sie ohnehin nicht gut zu sprechen, nachdem ihr dessen Vertraute und spätere Gründungsdirektorin der Solomon Guggenheim Stiftung jegliche Kunstkenntnis in einem arroganten Schreiben absprach. Doch der Erfolg bestätigte Guggenheim in ihrem Kurs. In der New Yorker Galerie führte sie nicht nur erstmals die europäische und amerikanische Avantgarde zusammen, sondern stellte 1943 mit »31 Women« eine komplette Schau nur mit Künstlerinnen zusammen. Im Zuge der Vorbereitungen der Ausstellungen verliebt sich Max Ernst in Dorothea Tanning. 1946 lässt sie sich von dem Surrealisten scheiden, im Jahr darauf schließt sie die Galerie und zieht nach Venedig. Dort lädt sie die Biennale 1948 ein, ihre Sammlung in einem freistehenden Palazzo auszustellen. 1951 eröffnet sie an selber Stelle ihr Museum für Moderne Kunst, in der seither ihre milliardenschwere Sammlung, die sie 1969 der Solomon Guggenheim Stiftung übergab, ausgestellt wird.

Mithilfe von Archivaufnahmen und biografischen Wegmarken zeichnet die 52-jährige Dokumentarfilmerin Lisa Vreeland Guggenheims entschlossene Auseinandersetzung mit der modernen Kunst nach. Sie zeigt, wie sie quasi im Alleingang die wohl bedeutendste Sammlung der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts zusammengetragen hat. Wie sie auf den großen Namen ihrer Familie pfiff und New York für Paris verließ, als dort die europäische Avantgarde ein ebenso neues wie spektakuläres Kapitel in der Kunstgeschichte schrieb. Und wie sie mit verlässlichem Gespür und selbstlosem Mäzenatentum an ausnahmslos jeder bedeutenden Kunstströmung des 20. Jahrhunderts beteiligt war.

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Peggy Guggenheim – Ein Leben für die Kunst. Regie: Lisa Immordino Vreeland. FSK: 0 Jahre. 92 Minuten. 18,99 Euro. NFP marketing & distribution

Dabei lernt man die Kunstsammlerin als Weltbürgerin kennen, die überall dort zuhause war, wo sie Kunst um sich hatte. Ob in den zwanziger Jahren in Paris, Ende der Dreißiger in London, während des Krieges in New York oder ab den Fünfzigern Venedig – die einzige Konstante an all diesen Orten stellt ihre leidenschaftliche Verehrung der Kunst dar. Zu entdecken ist auch eine bewundernswerte Autodidaktin, die ohne kunsthistorische Bildung, aber im ständigen Kontakt mit der Kunst und den Künstlern ein untrügbares Gespür für ihr Metier entwickelte. »Wenn man kein Geschmack hat und sich von den falschen Leuten beraten lässt«, sagte die Sammlerin kurz vor ihrem Tod, »dann kann schon eine Menge schiefgehen.« Peggy Guggenheim hatte Geschmack, ein sicheres Händchen bei der Auswahl ihrer gesammelten Kunstwerke und umgab sich mit den richtigen Menschen. Das brachte sie weiter als all ihre männlichen Kollegen. Als »Hebamme der modernen Kunst« förderte sie Künstler wie Wasilly Kandinsky, Jackson Pollock oder Willem de Kooning, als deren Werke noch für ein paar hundert Dollar zu haben waren. Ein glücklicher Umstand, wie sie später einräumte. Sie habe damals einfach bezahlt, was man ihr gesagt habe. Peggy Guggenheim war auch eine Kunstrevolutionärin, nicht nur, weil die moderne Kunst, wie wir sie heute kennen, in der Vielfalt ohne sie so wohl nicht bestünde, sondern vor allem, weil sie als Frau den von Männern dominierten Kunstmarkt aufmischte.

»Auf die Vergangenheit kann ich nicht neidisch sein, auf die Zukunft schon«, sagte sie kurz vor ihrem Tod. Nach diesem Film versteht man, wie sie das meinte. Denn er zeigt die Guggenheim-Erbin als eine in die Kunst verliebte Visionärin, die nicht genug von der Revolutionierung des Zeitgeists durch die Kunst bekommen konnte und darin ihre eigene Seltsamkeit gespiegelt sah.

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