Comic, Interviews & Porträts

„Es gibt so viel schlechte Kunst“

Brecht Vandenbroucke hat sich einer Mission verschrieben. Als junger Wilder will er Kunst und Punk zusammenbringen. Das macht er in Comicserien wie »White Cube« oder »Shady Bitch«, in seinen Illustrationen für Zeitungen wie die New York Times sowie als Modedesigner. Wir sprachen mit ihm über seine Leidenschaft für die Kunst, fehlende Relationen und die Perversion der neuen Medien.

Brecht, blättert man durch Deinen wortlosen Comic »White Cube«, könnte man den Eindruck gewinnen, dass Du kein großer Freund moderner Kunst bist.

Ich liebe moderne Kunst. Aber ich liebe irgendwie alles, weil mich alles inspiriert. Und Kunst gehört natürlich zu den Dingen, die mich besonders interessieren.

Das heißt, wenn Du in ein Museum für Moderne Kunst gehst, dann inspiriert Dich das? Oder tritt da nicht auch eine Langeweile ein?

Ich weiß nicht. Ich versuche immer, das zu finden, das mich interessiert oder anspricht. Natürlich gefällt mir nicht alles, was man Moderne Kunst nennt.

Was für Kunst spricht Dich an?

Ich mag logische Kunst, also eine Kunst, in die der Künstler seine Perspektive auf die Welt eingebracht hat und es versteht, diese in Kunst zu übersetzen. Es geht um die Welt im eigenen Kopf, dieses System, dass immer irgendeiner Logik unterliegt. Wenn es gelingt, diese Logik so zu übersetzen, dass andere in diese Welt hineingehen können, dann kann man von Autorschaft sprechen. Solche Dinge inspirieren mich wirklich.

Die Logik, die Deinen Comics unterliegt, ist eine, die zunächst verstört. Sie ist nicht menschenfreundlich.

Unbestritten folgen meine Comics einer bestimmten Logik. Alles muss einen Sinn ergeben, auch wenn es sinnlos ist.

Sollte Kunst Sinn ergeben oder auf irgendeine Weise mit Sinn in Verbindung stehen?

Nein, Kunst sollte gar nichts. Kunst sollte das sein, was sie sein will oder was der Künstler machen wollte. Ich persönlich möchte immer etwas mitteilen. Selbst die abstraktesten Maler wollen etwas mitteilen. Vielleicht dass man sich auf die Farben konzentrieren soll oder auf die Formen oder auf den Prozess, der sich auf der Leinwand abspielt. Für mich geht es bei Kunst immer um Kommunikation, darum, dass man anderen etwas sagen möchte. Danach suche ich, wenn ich in Museen oder Ausstellungen gehe. Diese Kommunikation funktioniert dann, wenn der Künstler weiß, wie er mit seinem Material umgehen muss, um sein Ziel zu erreichen.

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Eines der wichtigsten Hobbys der beiden Protagonisten in Deinem Comic besteht darin, moderne Kunst zu zerstören. Das hat zuweilen etwas Autobiografisches, als müsstest Du erst das zerstören, was Du liebst, um Deinen eigenen Weg in der Kunst zu finden.

Nein, es geht mir eher darum, Relativität herzustellen. Ich liebe all die Werke, auf die in meinem Album angespielt wird. Aber ich liebe auch Punk, diese zerstörerische Kraft. Ich möchte beide Seiten verbinden. Es geht mir um Schönheit, aber auch um das Hässliche, um das Schaffen und um das Zerstören. Es ist wie Geburt und Tod, das eine geht nicht ohne das andere. Am Ende geht es um Wahrheit. Ich finde es auch lustig, wenn Menschen diese Kunstwelt so ernst nehmen. Da ist so viel Geld, Millionen von Euros, Dollars oder was auch immer, das ist doch lächerlich. Es sind doch nur Gemälde oder Skulpturen, die man mit Bedeutung auflädt. Das ist wie eine riesige Blase im Kopf. Dahinter stehen doch nur ein paar Künstler, die irgendetwas sagen wollen. Das ist doch schon alles.

Haben wir zu viel Respekt oder Ehrfurcht vor Kunst?

Ich glaube schon. Ich habe großen Respekt vor Kunst, zugleich aber auch gar keinen. Kunst ist eine komische Sache. Es gibt so viel Gerede darum, es wird so viel Aufregung hineingebracht, als wäre das alles toll. Dabei gibt es so viel schlechte Kunst. Der Lärm um die Kunst macht es umso schwieriger, zwischen gelungener und schlechter Kunst zu unterscheiden.

Als ich »White Cube« gemacht habe, empfand ich die Situation als unerträglich. Diese ganzen Social Media-Sachen, geteilte Kunst, dieses »I Like, I Like«Zeug – da ging es nicht um Kunst, sondern um Meinung. Vor diesem Hintergrund ist der Comic entstanden. Meine beiden Protagonisten sind Kunstkritiker, die zufällig identisch sind. Es sind keine Zwillinge, es ist kein Paar, ihre Beziehung ist und bleibt unklar. Ich dachte, es wäre doch lustig, diese beiden auftreten zu lassen wie diese Allerweltsinternetkritiker, die sich ihre eigene Welt mit Gleichgesinnten schaffen. Dieser Prozess macht die Kritik natürlich ziellos, sinnlos, weil es immer nur um Selbstbestätigung geht. Meine beiden Helden funktionieren genauso, sie bestätigen sich permanent gegenseitig in ihrem Tun, ohne das Tun selbst zu reflektieren.

Die zwei Glatzköpfe sind tatsächlich zwei ätzende Figuren. Sie ärgern Kinder, machen sich über Behinderte lustig und treiben jede Situation so weit auf die Spitze, dass es schon fast weh tut.

Die beiden sind wirklich schlechte Menschen, ich persönlich mag sie nicht.

Aber sie sind dabei auch sehr ehrlich.

Nein, ich glaube, es sind einfach böse Charaktere. Die Folgen ihres Handelns sind ihnen egal. Nie bereuen sie irgendetwas. Ganz am Ende passiert aber etwas, sie sind nicht mehr einer Meinung. Ab diesem Moment wird das Verhältnis schwierig. Es gibt am Ende eine Doppelseite, auf der nur noch eine der beiden Figuren in einem Museum zu sehen ist. In dem Moment ist diese Figur das erste Mal allein zu sehen und allein mit Kunst konfrontiert. Plötzlich muss er für sich selbst denken und handeln, es entsteht eine Art Verantwortung für das, was er tut oder nicht tut.

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Darf Humor alles oder gibt es Grenzen?

Nein…, nein…, Humor darf alles. Ich meine, in allem ist eine witzige Seite verborgen und es ist schwer, diese Seite zu finden. Na klar gibt es grausamen oder unnötigen Humor, aber Menschen sollten meines Erachtens machen dürfen, was sie wollen. Sie sollten ihre Perspektiven und Visionen leben lassen, denn das ist doch etwas sehr Persönliches, etwas, das man nicht zurückhalten kann. Vor allem in diesen Zeiten, in denen die Redefreiheit mehr und mehr unter Druck gerät und es immer schwieriger wird, das zu sagen, was man denkt, darf Humor nicht eingeengt werden.

Du hast Recht, hast Dich mit einigen Aspekten aber dennoch zurückgehalten. Es gibt beispielsweise keine Witze über Politik oder Religion in Deinem Comic. In anderen Deiner Arbeiten finden sich diese schon, hier nicht. Warum?

In »White Cube« hatte ich nie die Absicht, solche Witze zu machen. Es gibt ganz wenige Andeutungen, aber für solche Witze habe ich andere Comics wie »Shady Bitch«. Aber wie ich schon sagte, fühle ich mich von vielen Sachen inspiriert – von Fernsehsendungen, von Anspielungen auf Popmusik oder Kunst, von Sachen, die ich im Internet finde, von Kinderspielzeug und vielem mehr. All das kann ein Bild ergeben, kann ikonisch wirken.

Man findet auch all das in »White Cube«, auffallend sind aber vor allem Deine Anspielungen auf die Kunst von Matisse, Picasso oder Mondrian. Comicfans werden aber auch Verweise auf Brecht Evens oder Daniel Clowes finden.

Brecht Evens ist sogar selbst im Buch. Es gibt eine Szene, in die ich ihn hineingezeichnet habe.

Selbst Beavis und Butt-Head kommen in Deinem Comic vor.

Ja klar, Beavis und Butt-Head sind Kunstkritiker der ersten Stunde. All diese Reviews auf Youtube – genau das haben Beavis und Butt-Head gemacht. Genauso wie Gilbert und George oder Waldorf und Statler von den Muppets, all diese Figuren sind Kritiker. Sie standen Pate bei der Entwicklung meiner beiden Charaktere. Die nicht zu greifende Seltsamkeit dieser beiden, die kommt von diesen Kritiker-Duos.

Hast Du Vorbilder in der Comicszene, Menschen, an denen Du Dich orientierst oder deren Kunst wegweisend für Dich war?

Ich habe in Gent bei Atak studiert, nur wegen ihm habe ich überhaupt angefangen zu zeichnen. Als Kind habe ich natürlich Hergé gelesen, vor allem »Stups und Steppke«, erst später dann »Tim und Struppi«. Windsor McCay war ebenfalls wichtig für mich. Es sind also viele alte Sachen, die ich mag. Ich finde aber auch neue Sachen toll, aus Deutschland beispielsweise Paul Paetzel oder Aisha Franz. Aber es gibt viele tolle Künstler aktuell, es gibt eine vollkommen neue Generation von Comiczeichnern, die mich wirklich fasziniert. Ich lese zwar viel weniger Comics als ich vielleicht sollte, aber ich will mich auch nicht nur von Comics beeinflussen lassen. Ich will ich selbst sein dürfen und meine eigenen Sachen machen. Deshalb mische ich momentan zum Beispiel auch in der Mode mit, habe ein paar Schuhe sowie ein Shirt designt. Ich will einfach offen bleiben für verschiedene Dinge und Inspiration aus allen Welten ziehen. Deshalb gibt es für mich auch kein wirkliches Vorbild in dem Sinne. Aber mich sprechen viele Sachen an, zuletzt beispielsweise Richard McGuires »Hier«. Vor allem, weil ich es nicht einmal für ein Comic halte. Es ist kein Comic, eher ein Konzept, und das hat mich umgehauen.

Schaut man sich die flämische und holländische Comicszene an, stellt man fest, dass man diese nicht auf einen Punkt herunterbrechen kann. Sie ist wahnsinnig vielfältig und divers. Wie kommt das?

Einen großen Verdienst daran hat die Flämische Literaturstiftung, die Comickünstlern wie mir und anderen viel Förderung zukommen lässt. Der Vorteil hier in Belgien ist einfach der, das Comics zur Literatur gehören. Das heißt, Comickünstler erhalten Förderung von den Literaturinstituten und können in Ruhe einen eigenen Stil, eine eigene visuelle Sprache finden. So können sie sich einfach die Zeit lassen, die ihre Projekte benötigen. Leute wie Brecht Evens oder Olivier Schrauwen und auch ich haben genau davon profitiert. Diese Förderung spielt eine große Rolle, wenn wir über die Vielfalt der hiesigen Comicszene sprechen. Und natürlich ist das historisch bedingt. Hergé, Franquin, die ganze franko-belgische Tradition – das verpflichtet natürlich auch.

In Deutschland ist die Comicszene relativ klein, jeder kennt im Grunde jeden. Wie ist das hier, wie muss man sich die flämische Comicszene vorstellen?

Ich weiß gar nicht, ob ich das genau sagen kann. Ich bin zwar Teil der Szene, aber zugleich auch nicht. Ich bin so eine Art Outsider, weil ich so viele andere Sachen nebenher mache; Illustrationen, Gemälde, Mode. Brecht Evens ist ein sehr guter Freund von mir, da besteht ein reger Austausch, mit Ward Swart ebenfalls. Es gibt aber auch viele Künstler, die eher klassische Sachen machen, was gut ist, womit ich mich aber einfach nicht so stark beschäftige. Ich bin eher mit Menschen verbunden, die ein wenig unter dem Radar fahren.

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Wie Aisha Franz, die glaube ich nicht einmal in Deutschland sehr stark bekannt ist, eben weil sie so DIY ist, in Nordamerika aber eines der Zugpferde im renommierten Verlag Drawn & Quarterly ist.

Ja, aber genau das finde ich spannend, wenn Menschen das machen, was sie machen wollen.

Lass uns noch einmal kurz über »White Cube« sprechen. Die Welt ist voller Erwartungen, wie man sich verhalten soll. Deinen Protagonisten ist das egal, sie verhalten sich nie passend. Ist das dein Kommentar auf die Facebook-Gesellschaft, in der wir uns alle einer sozialen Kontrolle sondergleichen aussetzen?

Facebook ist ein Kriegsgebiet, mit jedem Beitrag geht die Gefahr einher, vernichtet zu werden. Im Grunde funktioniert Kritik heutzutage genauso wie Facebook. Es geht um Vernichtung. Die kleinsten Dinge verleiten wildfremde Leute, sich auf dich zu stürzen. Wenn Du ein Foto postest, wie Du deinen Hund umarmst, dann bist Du in Windeseile ein Hundeschänder. Das ist doch Wahnsinn. Aber klar, mein Comic greift genau das auf und weitet es aus. Ich verstehe »White Cube« als meine persönliche Antwort auf die Grausamkeit der Menschen.

Ist Facebook eine Antwort oder ein Ergebnis dieser Grausamkeit?

Menschen sind einfach nur grausam, das ist ihre Strategie, um zu überleben.

Aber dann sind Deine Protagonisten sehr realistische Figuren, denn sie sind grausam.

Ja, na klar, in gewissem Sinne sind sie echt. Aber nur als Übertreibung, um etwas zu verdeutlichen. Ich möchte mit meiner Arbeit über die Welt sprechen, in der wir leben. Es geht immer um die Gegenwart und darum, wie sie sich an der Vergangenheit reibt.

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Geht es Dir bei Deinen Comics auch darum, unseren Blick auf die Welt zu verändern? Ich frage das, weil Deine Charaktere schon einen recht queeren Blick auf die Dinge haben.

Ich zeichne so, wie ich die Welt sehe. Es kostet mich viel Energie, meinen Blick in etwas zu übersetzen, das andere verstehen, aber ich denke, das ist das, was ich beitragen kann zu unserer Zeit. Ich würde das zum großen Teil als Satire beschreiben, es geht mir weniger um das Ändern in der Zukunft, als vielmehr zunächst um das Wahrnehmen der Gegenwart. Jeden Tag wache ich auf und denke mir, ich weiß doch eigentlich nichts. Also versuche ich herauszufinden, was das ist, was mich umgibt. Im Grunde versetze ich mich in die Kindheit zurück und schaue auf die Welt. Was bleibt, sind eine Menge Fragen. Die versuche ich zu beantworten und dabei Perspektiven zu schaffen, die irgendwie komisch sind.

Fühlst Du Dich aktuell unbeschwert und frei genug, um Satire ohne Schere im Kopf zu machen?

Es wird immer schwieriger. Es ist wirklich anders als vor fünf Jahren, ein Ergebnis der politischen Situation. Ich habe damals auch viele politische Sachen gemacht, aber ich bin immer weniger daran interessiert.

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Brecht Vandenbroucke: White Cube. avant-verlag 2015. 64 Seiten. 29,95 Euro. Hier bestellen

Weil die politische Situation anders ist oder weil Du Angst hast, bedroht zu werden?

Nein, es geht nicht um Bedrohung. Es langweilt mich einfach, dass wir immer wieder die gleichen Debatten mit denselben Argumenten führen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich älter und nicht mehr so wütend auf die Welt bin. Ich weiß es nicht genau. Politik ist heute auch so eng an die Identität geknüpft. Alles, was man trägt, denkt oder sagt ist sofort politisch. Das bringt uns nicht zusammen, sondern trennt uns nur mehr.

Also weniger Politisches von Dir künftig. Woran arbeitest Du aktuell?

Ich arbeite an einem neuen Buch, diesmal mit Dialogen. Es geht ein wenig auch um Religion, was aktuell vielleicht etwas dumm ist (lacht). Wahrscheinlich ist es damit doch schon wieder politisch. Aber gut, das ist es, was ich machen will.

Brecht, viel Erfolg mit Deinem neuen Buch und vielen Dank für das Gespräch.

Aktuelle Zeichnungen von Brecht Vandenbroucke findet man auf seinem Blog oder auf seinem Instagram-Kanal

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