Judith Vanistendaels neuer Comic »Mikel« entwickelt nicht die erzählerische Kraft ihrer ersten beiden eindrucksvollen Arbeiten, auch wenn sie wieder einen ganz eigenen Stil findet.
Im Vergleich zu den kunstorientierten Alben von Brecht Evens und Olivier Schrauwen oder der in satten Farben gezeichneten Geschichte von Nicolas Wouters und Mikael Ross wirkt der neue Comic der Brüsseler Zeichnerin und Comicdozentin Judith Vanistendael blass. Gemeinsam mit dem spanischen Schriftsteller Mark Bellido legt sie die Geschichte eines Bonbonverkäufers vor, der sich im Regen auflöste vor.
So lautet zumindest der Untertitel des Bandes, der schlichtweg den Namen seines Protagonisten trägt – Mikel, oder auf baskisch Miquel. Dieser verkauft Bonbons nur aushilfsweise, weil er als Schriftsteller in der Krise steckt. Als die Gewalt der ETA in Spanien wieder zunimmt, beschließt er, im Baskenland als Personenschützer anzuheuern, um auf diesem Weg an eine spektakuläre Geschichte zu kommen.
Auf Kosten seiner Familie begibt er sich in eine düstere Parallelwelt der »Wachhunde«, in der es weder Vertrauen noch einen regulären Feierabend gibt. An der Seite der geheimnisvollen Rosa muss er den von der spanischen Zentralregierung installierten Bürgermeister eines baskischen Dorfes bewachen. Während er im Regen darauf wartet, seinen Schützling nach Hause zu fahren, löst sich alles um ihn herum auf, was ihm einst Halt gab.
Wie schon in ihren vorangegangenen Comics, der außerordentlich empathischen Erzählung Als David seine Stimme verlor sowie ihrem Erstlingswerk, der Immigranten- und Liebesgeschichte Kafka für Afrikaner – Sofia und der schwarze Mann findet Vanistendael einen ganz eigenen Stil, der die Unsicherheit und Ungewissheit der Erzählung wunderbar einfängt. Buntstift, Tusche, Aquarellfarben, all das kommt hier zum Einsatz, um dem Unwägbaren ein Bild und den »Wachhunden« der spanischen Politiker ihre Menschlichkeit zurück zu geben.
Allerdings zerfließt die Geschichte im Einheitsgrau, den der strömende Regen Nordspaniens über die Bilder legt. Die Erzählung bleibt kühl, der Funken springt nicht wirklich über, aber auch bei der flämischen Künstlerin kann nicht jedes Werk ein Meisterwerk sein.
Alle Beiträge unseres Comicspezials aus Flandern
Spezial: Comics aus Flandern – Wide Verknocke »Meine Muse liegt im Sessel«, die horen 263
Der Panter aus der Schublade – Brecht Evens »Panter«
Im dunklen Wald der Trauer – Nicolas Wouters & Mikael Ross »totem«
Kubistischer Kolonialtraum – Olivier Schrauwen »Arsène Schrauwen«
Hunde stehen im Regen – Judith Vanistendael & Mark Bellido »Mikel«
Preußischer Weltuntergangsblues – Simon Spruyt »Junker« (4.11.2016)
Die etwas anderen Superhelden – Heirseele & Kamagurka »Cowboy Henk«, Nix »Kinky & Cosy« (5.11.2016)
Überzeugend ohne Worte – Pieter de Poortere »Wickie«, Brecht Vandenbroucke »White Cube« (6.11.2016)