Comic

Überzeugend ohne Worte

Mit dem gemütlichen »Dickie«, der queeren Kunstfigur »Shady Bitch« und zwei anonymen Allerweltskritikern schicken Pieter de Poortere und Brecht Vandenbroucke größenwahnsinnige Weltenretter und skurrile Mahner durch die Menschheits- und Kunstgeschichte.

Der Zeitungsstrip ist der Schoß der Neunten Kunst, ohne ihn gäbe es das, was wir Comic nennen, nicht. Doch mit der Tageszeitung gerät auch der Strip in Gefahr. Eine neue Heimat findet er in Lifestyle- und Kunstmagazinen. Die wortlosen Comicstrips von Pieter de Poortere und Brecht Vandenbroucke entstanden in ebendiesem Umfeld.

Pieter de Poortere, Jahrgang 1976, hat an der renommierten Saint-Lucas-Akademie in Gent Illustration studiert. Er reitet mit den Episoden von Dickie, einem gutmütigen, aber doch etwas einfach gestrickten Bauern mit Reisefieber, seit Jahren auf der Erfolgswelle. In den textfreien Strips lässt der in Gent lebende Zeichner seinen naiven Antiheld durch Raum und Zeit reisen und kommentiert so sarkastisch das Weltgeschehen – im Großen wie im Kleinen.

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Pieter de Poortere: Dickie. avant-verlag 2016. 216 Seiten. 29,95 Euro. Hier bestellen

Während er sich in der Gegenwart um Fragen wie Massentierhaltung, Umweltverschmutzung, den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie um das koloniale Erbe kümmert, findet er sich in der Vergangenheit als Zeitgenosse Leonardo da Vincis, als Sancho Pansa, römischer Gladiator oder Neandertaler wieder. Hin und wieder vertritt ihn seine Schwester im Geiste Vickie, der das Leben ebenso ironisch mitspielt. Dass es den beiden Antihelden dabei immer auch selbst an den Kragen geht, ist ein Gewinn für diese ulkige Serie, die das ganze Weltendrama abbildet. Dass dabei die Tat mehr zählt als das Wort, beweist de Poorteres Verzicht auf Dialoge oder Erzähltexte.

Der lüsterne Protagonist von Brecht Vandenbrouckes (nur online zu lesender) Serie Shady Bitch, die er für das französische Magazin Society zeichnet, kommt, ergänzt um einige modische Accessoires, sogar wie das schwarzhaarige Upgrade von Heirseeles und Kamagurkas Cowboy Henk daher. Wie dieser deckt der queere Shady den Irrsinn des Alltags mit schrägem Witz auf und hintertreibt ganz nebenbei noch jegliche Vorstellungen von Gender.

Zugleich ist sein offener Held ein wandelnder agent provocateur – Putin, katholische Kirche oder Bürgertum bekommen permanent den Stinkefinger gezeigt. Wie die Dadaisten hebt er die herkömmlichen Vorstellungen von Humor auf und leistet mit seiner Kunst in avantgardistischer Form Widerstand zur Normalität.

Dada ist auch sein Album White Cube, in dem es – in Anlehnung an das gleichnamige Ausstellungskonzept – um Kunst und Kunstkritik geht. Darin lässt Vandenbroucke zwei glatzköpfige Geeks auftreten, die sich als Allerweltskritiker gegenseitig zum Lakaien der permanenten Selbstbestätigung machen. Damit imitieren sie zugleich die dunkle Seite der Internetsociety, wo sich Gleiche mit Gleichen zusammenfinden, um selbstzufrieden Ton gegen alles und jeden außerhalb ihrer eigenen kleinen Welt zu ätzen. Vandenbrouckes Protagonisten ätzen nicht nur, sie zerstören, und zwar Kunstwerke. Michelangelo, Monet, Matisse, Léger, Picasso, Warhol, ja selbst Marina Abramović bekommen hier ihr Fett weg. Worte brauchen sie dafür keine, die beiden glatzköpfigen Antihelden verstehen sich mit den Blicken.

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Brecht Vandenbroucke: White Cube. avant-verlag 2013. 64 Seiten. 19,95 Euro. Hier bestellen

Gegen moderne Kunst habe er nichts, ganz im Gegenteil, versichert der junge Künstler aus Antwerpen. »Ich liebe all die Werke, auf die in meinem Album angespielt wird. Aber ich liebe auch Punk, diese zerstörerische Kraft. Ich möchte beide Seiten verbinden. Es geht mir um Schönheit, aber auch um das Hässliche, um das Schaffen und um das Zerstören«, sagte Vandenbroucke im Interview mit intellectures. Es geht ihm in seinem Album darum, Relativität herzustellen. »Es gibt so viel Gerede darum, es wird so viel Aufregung hineingebracht, als wäre das alles toll. Dabei gibt es so viel schlechte Kunst. Der Lärm um die Kunst macht es umso schwieriger, zwischen gelungener und schlechter Kunst zu unterscheiden.« Vandenbrouckes Comic ist eine bissige und grandiose Satire auf eine Gegenwart, in der der Schein mehr zählt als das Sein.

Wenn der Superheld tot ist, dann leben in den flämischen Zeitungsserien von Pieter de Poortere und Brecht Vandenbroucke, aber auch von Marnix Verdun und Heirseele/Kamagurka die Alltagshelden wieder auf. Ihre Stripserien schöpfen das Potential des gezeichneten Alltags- und Weltkommentars in Gänze aus. Die Hauptfiguren übernehmen dabei den Part der Aufdecker und Ent-Täuscher. Sie entlarven die Welt in all ihrer Unklarheit und Schlechtigkeit, zeigen sie aber auch als Spielwiese des Amüsements. Und nicht selten ist ihr schwarzer Humor der Faustschlag in die Magengrube, der die Absurdität des Daseins verstehen lässt. Der Zeitungsstrip ist tot? Quatsch, es lebe der Zeitungsstrip!

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