Comic

Die 25 besten Comics aus dem Jahr 2016

16. THE ART OF CHARLIE CHAN HOCK CHYE

9781101870693
Sonny Liew. Pantheon Books 2016. 320 Seiten. 30 $

Dies ist die Autobiographie von Singapurs größtem Comiczeichner, dem fiktiven Ich-Erzähler Charlie Chan Hock Chye. Der ältere Herr, Jahrgang 1938, lässt in diesem stilistisch überbordenden Werk sein von Comics geprägtes Leben Revue passieren. »Am Anfang war Tezuka«, lautet nicht nur der biblisch anmutende erste Satz in diesem Meisterwerk, sondern auch der erste Comic-Pflasterstein auf diesem der Neunten Kunst gewidmeten Lebensweg. Carl Barks, Walt Kelly, Frank Miller, Art Spiegelman und viele mehr werden eine prägende Rolle im Leben des Erzählers und damit auch in dieser Geschichte einnehmen. Das Famose dieser Geschichte besteht in dem erzählerischen Twist, den der in Singapur geborene Liew vornimmt. Das fiktive Leben seines Helden wirkt immer echt; weil es der ergraute Erzähler selbst präsentiert, weil die erzählten Ereignisse eng mit Singapurs Historie verbunden sind und weil die Biografie mit unzähligen »Belegstücken« aus Leben und Werk plausibel gemacht wird. Die Bandbreite der grafischen Mittel, die dabei zum Einsatz kommen, übertrifft jede Erwartung, so dass der Umstand, dass dieses Leben so nie stattgefunden hat, schon auf den ersten Seiten in Vergessenheit gerät.


17. MONSTRESS 1

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Marjorie Liu (Szenario) & Sana Takeda (Zeichnung). Cross Cult Verlag 2016. 192 Seiten. 16,80 Euro

Vor weniger als 500 Jahren lebten die Menschen und die halbgöttlichen Arkaner friedlich miteinander. Was genau zur Schlacht von Constantina und dem großen Bruch zwischen den Kulturen geführt hat, weiß niemand genau. Aber inzwischen erstreckt sich eine dicke Mauer zwischen den Hoheitsgebieten der von den Hexnonnen regierten Menschen und den altertümlichen Kräften in den arkanischen Gebieten. Sie soll den blutrünstigen Kampf zwischen Göttern, Hexen, Inquisitrixen, Halbwesen und Menschen eindämmen, der die Grenzstadt Zamora in einen Sündenpfuhl voller Intrigen, Gewalt und dunkler Zauberei verwandelt hat. Hier kommt es zu Beginn dieser Mittelaltergeschichte mit SciFi-Elementen zu einer obskuren Versteigerung, bei der ein Mädchen namens Maike Halbwolf an den religiösen Orden der Hexnonnen verkauft wird. Doch die junge Arkanin trägt einen düsteren und hungrigen Dämonen in sich, der etwas mit ihrer geheimnisvollen Herkunft zu tun haben muss. Stilistisch ist die mit einem Eisner-Award ausgezeichnete Serie von Jugendstil und Art Deco geprägt. So verfängt Monstress in der überbordenden Steam-Punk-Illustration und Maike Halbwolfs Kampf mit den dunklen Mächten.


18. CHEAP NOVELTIES. THE PLEASURE OF URBAN DECAY

Ben Katchor. Drawn & Quarterly 2016. 112 Seiten. 22,95 $

Vor 25 Jahren erschienen die skurrilen Abenteuer des Immobilienfotografen Julius Knipl in einer unauffälligen Paperback-Ausgabe. Damals galten die Geschichten als Geheimtipp, die renommierten Stipendien, die ihren Zeichner schlagartig berühmt machten, kamen erst später. Inzwischen gelten die Knipl-Geschichten als Klassiker der Moderne, weil sie wie ein Diamant das alte New York in sich einschließen. Katchors jüdischer Auftragsfotograf dokumentiert bei seinen Streifzügen durch die Stadt, wie das traditionelle New York von den »Errungenschaften« der Moderne verdrängt wird. Wehmut überkommt den Leser, wenn er durch Knipls geschultes Auge die Beschwer-Eisen auf den Tageszeitungen sieht, die zur Blütezeit der Druckpresse verhinderten, dass der Wind die Seiten davonträgt. Melancholisch wird man, wenn die Aufmerksamkeit auf die bleibenden Narben gelenkt wird, die Straßenbauarbeiten unweigerlich hinterlassen. Um das schleichende Verstreichen der Zeit und die kleinen Anzeichen der Veränderung zu registrieren, braucht es den Blick für das Detail. Ben Katchor schenkt den Lesern seiner bekanntesten Zeitungsserie, die man in dieser prächtigen Neuausgabe wiederentdecken kann, diesen Blick.


19. DIE LEICHTIGKEIT

Catherine Meurisse. Carlsen Verlag 2016. 144 Seiten. 19,99 Euro

Nach Renald Luzier alias Luz wagt sich mit Catherine Meurisse die zweite Zeichnerin der französischen Satirezeitung Charlie Hebdo aus der Reserve. Während die Herausgeber des Blattes (das jetzt auch eine deutsche Ausgabe hat) unablässig die Geschichte der Nicht-klein zu kriegenden Gesellschaftskritiker erzählen, zeigt Meurisse ihre Schattenseite der Ereignisse. Nach dem Anschlag auf die Redaktion, dem sie nur durch einen Zufall entkam, brach sie – wie schon Luzier – zusammen und verlor die Fähigkeit, zu zeichnen. In ihrem Album erzählt sie von ihrem kräftezehrenden Weg zurück zur Zeichnung, der auf der ersten Seite beginnt. Dort sieht man, wie sie eine Düne erklimmt, unwissend, was dahinter liegt. Es ist ein Tal der Tränen, das sie durchschreiten muss, um die gewaltsamen Erlebnisse zu überwinden. Ihr Weg führt sie bis nach Rom, wo sie sich an der Schönheit der Kunst und Kultur heilt. In der Ewigen Stadt begreift sie aber auch, dass die westliche Kultur eng mit Brutalität und Gewalt verbunden ist. Die Leichtigkeit ist eine Ode an die Kunst und ein Bekenntnis an das Leben, das nie wieder das gleiche, aber dennoch ein lohnenswertes sein wird.


20. ETERNAUTA

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Hector German Oesterheld. avant verlag 2016. 392 Seiten. 39,95 Euro

Er ist ein ewiger Wanderer zwischen den Zeiten, der Eternaut, der dem Szenarist dieses ungewöhnlichen Comics davon erzählt, wie er zum »Pilger durch die Jahrhunderte« wurde. Alles begann mit der Nachricht einer atomaren Explosion im Pazifik. Danach folgten eisige Stille und der seltsame Schnee, der bei Kontakt den sofortigen Tod verursacht. Als es zu diesen Ereignissen kommt, sitzt Juan Salvo ahnungslos mit seinen Freunden bei einem argentinischen Kartenspiel zusammen. Es wird das letzte Mal sein, dass sie keine Panik ankriecht, denn was nun auf 400 epischen Seiten folgt, ist ein Albtraum. Die Freunde riegeln das Haus hermetisch ab, um die giftige Atmosphäre nicht ins Haus zu lassen, und entwerfen luftdichte Anzüge, um von draußen Vorräte zu besorgen. Doch auf der Straße herrscht schon der gnadenlose Krieg der Überlebenden. Der eigentliche Kampf gegen die außerirdischen Invasoren steht da noch bevor. Oesterhelds Comicerzählung ist eine bedrückende Allegorie auf die permanente Bedrohung des Individuums in der faschistischen Diktatur sowie ein kraftvolles Plädoyer für Humanität, Solidarität und Hoffnung. Der argentinische Comicklassiker ist weltweit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.

9 Kommentare

  1. […] um das Ganze zu fassen zu kriegen. Seine Trilogie schließt an die Krise des Peronismus an, die Héctor German Oesterheld in seinem allegorischen SciFi-Comicklassiker »Eternauta« mit überwältigender Bildgewalt verarbeitet […]

  2. […] des in Neukölln lebenden Cartoonisten. Mit seinen Strips trat er bei der ZITTY die Nachfolge von Fil und dessen legendärer »Didi und Stulle«-Serie an und konnte die Lücke füllen. Inzwischen zeichnet er für den tip, aber auch für Stern, […]

  3. […] Die Vielfalt dessen, was Freiheit ist, fängt auch die neue Ausgabe des Spring-Kollektivs ein. In diesem versammeln sich Autorinnen, Comiczeichnerinnen und Illustratorinnen, die sich immer wieder einzelne Phänomene des Alltags herausgreifen und diese Jahr für Jahr bebildern. Die letzten Ausgaben beschäftigten sich mit Gespenstern, Sex, Arbeit, Zukunft und dem oft zitierten »Elephant in the Room«. […]

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