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»Seit dem Anschlag ist die Gegenwart obszön und lächerlich«

Sie beschreiben in Ihrem Album eine Zeit, in der Sie in all den Künsten immer wieder Vorläufer der »Brüder Kalaschnikow« (so nennt Meurisse die Kouachi-Brüder, A.d.A.) entdecken. Wie sehr hat es Sie überrascht, dass das Schöne und Erhabene voller Gewalt ist?

Das hat mich vollkommen überrascht. Ich habe mir nach dem Blutbad immer wieder folgenden Satz gesagt: »Ich mache mich auf die Suche nach der Schönheit, denn sie ist das Gegenteil des Chaos.« Ich musste aber feststellen, dass das nicht stimmt, sondern die Schönheit selbst voller Chaos ist, vor allem in der bildenden Kunst. In fast allen Gemälden und Statuen in Rom habe ich in irgendeiner Form Gewalt vorgefunden. Das hat mich ziemlich kalt erwischt. Ich bin mit der festen Überzeugung nach Rom gefahren, in den Kunstwerken Frieden zu finden. Die Wirklichkeit sah anders aus. In der Mitte meines Albums gibt es eine Szene, in der ich durch den Garten der Villa Medici in Rom spaziere. Inmitten der Skulpturen hatte ich plötzlich das Gefühl, mich im Zentrum des Massakers in den Redaktionsräumen von Charlie Hebdo zu befinden. Seither erkenne ich in antiken Statuen, denen Arme oder Beine fehlten und an denen der Zahn der Zeit genagt hatte, immer meine verletzten und ermordeten Freunde aus der Redaktion. Das war einerseits sehr verstörend, andererseits hat es mir die Möglichkeit gegeben, mich langsam dem grausamen Tod meiner Freunde zu nähern. Die Gewalt, die ich in der Kunst antraf, war wie eine Mediation. Durch sie habe ich begriffen, dass Schönheit und Grausamkeit in einer Beziehung zueinander stehen.

Ihr Kollege Renald Luzier alias Luz, der den Überfall auf die Redaktion in seinem Album »Katharsis« verarbeitet hat, schreibt dort: »Wir, das Zeichnen und ich, haben uns gesagt, dass wir nie wieder dieselben sein werden.« Haben Sie die Leichtigkeit, die Sie vor dem Anschlag verspürt haben, wiedergefunden?

Nein, das nicht. Meines Erachtens gibt es ein Leben vor und eines nach dem Januar 2015. Die Zeit vor dem Anschlag ist von einer Leichtigkeit und Sorglosigkeit geprägt, die ich nie wieder so empfinden werde. Das heißt aber nicht, dass mein Leben nun traurig oder unglücklich sein wird. Es wird einfach nur anders sein. Und Luz hat Recht, das Zeichnen und ich, wir sind immer noch Freunde, aber mein Zeichnen hat sich verändert, auch wenn der Leser das nicht unbedingt im Strich oder Stil erkennt. Mit Blick auf meine kommenden Arbeiten weiß ich schon jetzt, dass meine Zeichnungen anders sein werden, als sie es bislang waren. Meine Welt hat sich verändert, das ist gewiss.

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Können Sie sagen, was genau sich verändert hat?

Ich mache das jetzt schon eine ganze Weile und weiß, dass es beim Zeichnen von Witzen um Rhythmus, das Abbilden einer Vision und das Verschieben von Bedeutungsebenen geht. Das ist viel Arbeit und ich merke, dass mir diese Arbeit nicht mehr so leicht von der Hand geht. Mir sind meine Schlagfertigkeit und Unbekümmertheit abhanden gekommen, Eigenschaften, die wir bei Charlie Hebdo gepflegt haben. Wir haben uns jede Woche gesehen, gemeinsam gelacht und dabei darüber nachgedacht, womit wir die Leser zum Lachen bringen können. Diese unbeschwerte Zeit ist für immer verloren. Ich muss nun andere Zusammenhänge finden, in denen ich wieder befreit lachen kann.

In Ihrem Album sprechen Sie niemals von einem Attentat, sondern immer von einem Massaker. Warum ist Ihnen diese Unterscheidung wichtig?

Weil der Begriff Attentat von zu vielen Menschen verwendet wurde, von Journalisten, Wissenschaftlern und Politikern. So ist er für mich zu einem politischen Begriff geworden. Er ist deshalb nicht falsch, ganz im Gegenteil. Er trifft auf das zu, was am 7. Januar geschehen ist. Aber bei diesem beispiellosen Akt der Gewalt, der sich in der Redaktion zugetragen hat, handelt es sich eben auch um ein veritables Massaker. Für mich war das der passendere Begriff für die grausame Vernichtung der Leben meiner Freunde.

Für die Gedenkausgabe ein Jahr nach dem Anschlag haben Sie eine Zeichnung angefertigt, in der sie den Medien einen Terror-Burn-Out attestieren. Wie haben Sie die Berichterstattung nach dem 7. Januar wahrgenommen?

Ich habe mich nach dem Anschlag sehr eingeigelt und wenig an mich herangelassen. Ich habe keine Zeitungen und Magazine gelesen, bin nicht ins Internet gegangen und habe kein Fernsehen geschaut. Es war eine sehr schwierige Zeit für mich, ich hätte diese ganzen Informationen gar nicht verarbeiten können. Den Zustand, in dem ich mich befunden habe, kann ich nicht anders als einen Ausnahmezustand nennen. Ich stand unter Schock, mein Gehirn war durch die traumatischen Ereignisse außer Gefecht gesetzt. Es war schon schwer, an meine ermordeten Freunde zu denken, ihren Tod zu akzeptieren und mir vorzustellen, was genau in der Redaktion passiert ist. Ich hatte genug damit zu tun, mit den Ereignissen weiterzuleben und mich dazu zu verhalten. Die Positionen und Empfindungen anderer, erst recht die der Medien, hätten mich vollkommen überfordert. Ich hatte ehrlich gesagt auch Angst vor den Reaktionen. Diese waren zwar überwiegend wohlwollend, aber es gab auch viel Wut und aggressive Kritik. Davon wollte ich direkt nach dem Anschlag weder lesen, noch hören oder etwas sehen.

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Als Pressezeichnerin haben Sie immer auch für andere Medien gezeichnet. Wie würden Sie die französische Gesellschaft knapp zwei Jahre nach dem Attentat auf Charlie Hebdo und ein Jahr nach den Anschlägen in Paris beschreiben?

Ich kann diese Frage eigentlich nicht beantworten, denn ich habe mich mehr als ein Jahr lang zurückgezogen, um mich der Schönheit der Kunst und meiner eigenen Kreativität zu widmen. Ich habe die aktuellen Ereignisse von mir fern gehalten, um über den grundsätzlichen Zustand der Welt nachzudenken. In meinem Album geht es an der Oberfläche um mich und meine Freunde, in der Tiefe aber die ganze Zeit darum, wie ich die Welt unter den Eindrücken dieser brutalen Einschnitts wahrnehme.

Die Anschläge in Paris können doch aber nicht spurlos an Ihnen vorbeigegangen sein.

Es ist und bleibt für mich schwierig, über den aktuellen Zustand in Frankreich oder der Welt nachzudenken. Das heißt nicht, dass ich zu bestimmten Fragen keine Meinung habe. Beispielsweise beschämt mich die Aussage von François Hollande, dass wir uns »im Krieg« befänden. Sie stellt mich vor ein Problem, weil der Begriff Krieg ein politischer Kampfbegriff ist und mir nicht adäquat erscheint. Die gesamte Situation ist viel zu komplex, um sie auf einen solch einfachen Satz herunter zu brechen. Aus diesem Grund habe ich auch aufgehört, als Pressezeichnerin und Karikaturistin zu arbeiten. Seit dem Anschlag bin ich nicht in der Lage, mich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen. Stattdessen bin ich geradezu besessen von der Kunst und ihren Künstlern. Deshalb zeichne ich keine politischen Karikaturen mehr, sondern widme mich ganz der Fiktion und meinen Comicalben.

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  1. […] war das erste Zeugnis, in dem sich eines der überlebenden Redaktionsmitglieder dem Grauen stellte. Catherine Meurisse sollte wenig später ihr Trauma in dem Album »Die Leichtigkeit« reflektieren, Philippe Lançon schrieb sich in dem Roman »Der Fetzen« die verletzte Seele aus dem […]

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