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»Seit dem Anschlag ist die Gegenwart obszön und lächerlich«

Aber knicken Sie damit nicht ein wenig vor den Attentätern ein? Haben die dann nicht gewonnen?

Nein, keineswegs. »Die Leichtigkeit« ist in seiner Fokussierung auf das Schöne ja alles andere als ein unpolitisches Album. Ich glaube nur, dass ich noch viel mehr Zeit brauche, um die Ereignisse des 7. Januar zu verdauen und einen klaren Blick auf die Gegenwart und die gesellschaftspolitischen Debatten zu entwickeln. Momentan befinde ich mich in einem unsteten Zustand, bin wankelmütig und unentschlossen in meinen Ansichten und Haltungen. Letztendlich hilft mir die jetzige Phase der Besinnung, um meinen Esprit als Künstlerin wiederzufinden. Ich will nicht ausschließen, dass ich eines Tages zur politischen Karikatur zurückkehre, aber jetzt haben für mich andere, grundsätzlichere Sachen Priorität.

Luz hat vor einem Jahr erklärt, dass er die Redaktion von Charlie Hebdo verlassen und auch keine weiteren Mohammed-Karikaturen mehr zeichnen wird. Auch hier die Frage, ob die Gewalt der Attentäter damit nicht ihren Zweck erfüllt hat. Oder können Sie das verstehen?

Luz hat mein vollstes Verständnis. Wir teilen dasselbe Empfinden. Seit dem Anschlag erscheint uns die Gegenwart obszön und lächerlich. Wir möchten beide nicht mehr darüber sprechen. Unser Werdegang seit dem Anschlag ist sehr ähnlich. Er schreibt jetzt Bücher und zeichnet Comics, ich zeichne Comics und widme mich den schönen Künsten.

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In Ihrem Comic sagt ihr Alter Ego, dass wir nicht Schweigeminuten bräuchten, sondern ein Jahrhundert brüllenden Zorns. Was genau macht Sie wütend?

Ich empfinde keine Wut! Nach dem Blutbad war ich am Boden zerstört, aber für Wut war kein Platz. Ich glaube sogar, dass man den Mördern zu viel der Ehre erweisen würde, ließe man sie zu. Deren Tat war eine Geste des Hasses und der Wut. Es ist mir zu blöd, darauf mit Wut zu reagieren.

Auch jetzt, fast zwei Jahre nach dem Anschlag, kann ich keine Wut in mir finden, was übrigens auch ein Grund ist, die politische Karikatur an den Nagel zu hängen. Denn ein wichtiger Antrieb des Karikaturisten ist der eigene Groll. Eine Karikatur muss wie ein Fausthieb sein, sonst lacht der Leser nicht. Ohne Furor keine gute Zeichnung. Mir ist diese Kraft am 7. Januar 2015 abhanden gekommen. In meinem Comic gibt es zwar die beschriebene Szene, aber sie ist nur ein kleiner Ausschnitt. Mit »Die Leichtigkeit« schlage ich vor, die Energie nicht in Aggression, sondern in die Schönheit der Kunst zu investieren, weil es einem damit besser geht. Diese Erfahrung bekomme ich auch gespiegelt. Viele meiner Leser sagen mir, dass es ihnen in diesen unruhigen Zeiten genauso geht wie mir. Sie wenden sich angesichts der allgegenwärtigen Gewalt der Kultur, der Natur und anderen schönen Dingen zu, weil sie darin Beruhigung finden. Es gibt eine große Gemeinschaft, die auf der Suche nach dem Schönen ist, um dies der weltweiten Gewalt entgegenzuhalten.

Möchten sie manchmal einfach nur vergessen, was geschehen ist?

Ich habe mir diese Frage noch nie gestellt, auch wenn ich sie jetzt, da sie mir zum ersten Mal gestellt wird, ebenso naheliegend wie spannend finde.

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Dann frage ich mal anders: Fühlen Sie sich in der Pflicht, zu erinnern und zu gedenken?

Nicht im politischen oder historischen Sinn, für mich persönlich aber schon. Ich bin mir sicher, dass ich ohne das Erinnern, wie ich es in meinem Comic beschreibe, nicht zum Zeichnen zurückgefunden hätte. Zugleich hat die Erinnerung die Zeit mit meinen ermordeten Freunden etwas verlängert. Sie half mir, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren und im Chaos nach dem Anschlag unterzugehen.

Philippe Lançon, der das Vorwort für mein Album geschrieben hat, hat mir kürzlich gesagt, dass er gern vergessen würde, was er gesehen hat. Er befand sich im Moment des Anschlags im Gegensatz zu mir in der Redaktion. Das, was er gesehen hat, wird er nicht mehr los. Deshalb lehnt er im Gegensatz zu mir Marcel Prousts melancholisches Konzept der Erinnerung ab. Seit dem 7. Januar wohnen in unseren Köpfen Gespenster. Während es bei mir aber einfach nur die Gespenster unserer Freunde sind, sind es bei ihm die Geister ihrer auf brutale Weise versehrten Körper. Philippe will deshalb einfach nur vergessen, ich für meinen Teil möchte das nicht. Meine Erinnerungen werden immer ein Teil von mir sein, aber mit der Zeit wird der Schmerz, den sie verursachen, abnehmen.

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Haben Sie Trost in der Schönheit gefunden?

Ja, das habe ich, mein Comic ist der sichtbare Beweis. Als ich am 6. Januar 2016 nach Paris zurückgekehrt bin, um den ersten Jahrestag des Anschlags bewusst zu begehen, empfand ich trotz aller Trauer tief in mir auch Glück. Ich trug all die Kraft und die Schönheit in mir, die ich in Rom aufgesaugt hatte. Die Begegnungen mit der klassischen Kunst, aber auch mit vielen zeitgenössischen Künstlern in Rom hatten mir wieder Leben eingehaucht.

In der Charlie-Hebdo-Ausgabe zum Jahrestag ist ein weiteres Bild von Ihnen, auf dem die komplette Redaktion abgebildet ist, auch die ermordeten Mitglieder. Sie stehen an der Seite und lächeln. Sehen wir da Catherine Meurisse mit ihrer neu gewonnenen Leichtigkeit?

Tatsächlich kann man das so sagen. Auf dem Bild habe ich alle Redaktionsmitglieder noch einmal um einen großen Tisch herum versammelt und sage zu Charb (Stéphane Charbonnier, Herausgeber und Sprachrohr des Satiremagazins, A.d.A.): »Egal ob tot oder lebendig, wir werden weiter miteinander lachen.« Denn es ist der Humor, der uns Überlebende rettet. Wenn wir aufhören zu lachen, sind wir verloren.

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Catherine Meurisse: Die Leichtigkeit. Mit einem Vorwort von Philippe Lançon. Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Carlsen Verlag 2016. 144 Seiten. 19,99 Euro. Hier bestellen

Worum geht es in Ihrem neuen Projekt?

In der Comicstrip-Sammlung »Szenen des hormonellen Lebens« geht es, ganz allgemein gesprochen, um das Leben meiner Generation. Es ist ein burleskes und lustiges Album, in dem sich Männer, Frauen und Paare lieben, begehren und streiten. Nach »Die Leichtigkeit« musste ich etwas machen, in dem ich meine witzige Seite ausleben konnte.

Und was kommt dann?

Ich werde ein Projekt wieder aufgreifen, dass ich bereits 2014 in Angriff genommen habe und infolge der Ereignisse zur Seite legen musste. Ich will von meiner Kindheit auf dem Land in Westfrankreich erzählen. Da es eine Zeit vor und eine nach dem 7. Januar 2015 gibt, kann ich mit den Notizen, die ich mir 2014 gemacht hatte, nichts mehr anfangen. Sie passen nicht mehr, so dass ich noch einmal von vorn anfangen muss. Das wird mich in den nächsten Monaten beschäftigen. Und für die Zeit danach habe ich schon viele weitere Ideen im Kopf.

Frau Meurisse, vielen Dank für das Gespräch.

Ein größerer Auszug des Interviews ist in Cicero 12/2016 erschienen. Auf der Basis des Interviews sind außerdem ein Porträt im NEON-Magazin 12/2016 sowie ein Beitrag im Rolling Stone Magazin 1/2017 erschienen.  

4 Kommentare

  1. […] war das erste Zeugnis, in dem sich eines der überlebenden Redaktionsmitglieder dem Grauen stellte. Catherine Meurisse sollte wenig später ihr Trauma in dem Album »Die Leichtigkeit« reflektieren, Philippe Lançon schrieb sich in dem Roman »Der Fetzen« die verletzte Seele aus dem […]

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