Film, Literatur

Kaurismäki stark, deutschsprachige Beiträge blass

Sherwan Haji, Nuppu Koivu, Janne Hyytiäinen, Sakari Kuosmanen, Ilkka Koivula in »Die andere Seite der Hoffnung« von Aki Kaurismäki | Malla Hukkanen © Sputnik Oy

Die Berlinale geht in ihr Abschlusswochenende, 18 Filme konkurrieren um die Bären, die am Samstagabend vergeben werden. Auf einen absolut herausragenden Beitrag wartete man im Wettbewerb bis zum Schluss vergeblich. Dennoch gibt es einen Geheimfavoriten. Der stärkste Film des Festivals lief in der Sektion Panorama.

War das nun ein gutes Festival oder blieb es doch eher unter den Erwartungen? Die Frage wird auch in diesem Jahr auf der Zielgeraden der Berlinale heftig diskutiert, auch weil der Wettbewerb nach der Halbzeit an Schwung verloren hat. Die deutschen Wettbewerbsbeiträge trugen dazu wesentlich bei.

Der stärkste Film des Festivals wird am Ende aber ohnehin ohne Bär nach Hause gehen, denn er lief im Panorama. Dabei handelt es sich um Philippe de Leeuws packendes Drama Insyriated, das aus der Perspektive von drei Frauen einen Tag im syrischen Bürgerkrieg nachzeichnet.


Mr. Long

»Mr. Long« von Sabu | Ⓒ 2017 LIVE MAX FILM / LDH PICTURES
»Mr. Long« von Sabu | Ⓒ 2017 LIVE MAX FILM / LDH PICTURES

Der abgebrühte taiwanesische Auftragskiller Mr. Long soll nach Japan reisen und dort einen Konkurrenten seines Auftraggebers beseitigen. Doch etwas läuft schief und Long entkommt nur schwer verletzt. Er schleppt sich in ein heruntergekommenes Viertel der anonymen Stadt, in die es ihn verschlagen hat, um sich dort zu erholen. Ein kleiner Junge versorgt ihn dabei mit Verbandsmaterial, Kleidung und Essen. Als er seinen guten Geist eines Abends nach Hause begleitet, sieht er nicht nur die heruntergekommenen Verhältnisse, aus denen der Kleine kommt, sondern auch, dass seine Mutter an der Spritze hängt. Long weiß von der tragischen Geschichte der Mutter nichts (der Zuschauer erfährt von ihr in einer Rückblende) und setzt sie auf einen harten Entzug. Er saniert außerdem eines der verfallenen Häuser, um dem Jungen eine Grundlage für ein würdiges Leben zu bieten, und sich selbst die Chance, aus dem Kreislauf der Gewalt auszusteigen.

Der japanische Filmemacher Sabu (Dead Run, Happiness) erzählt diese wechselvolle Geschichte in ganz unterschiedlichen Tempi und faszinierenden Bildern. Brutale Kampfszenen wechseln sich mit meditativen Momenten und sozialen Szenen ab. Was wie ein Hard-Boiled-Film beginnt wird zwischenzeitlich zum Sozialdrama, das sich am Ende in eine zugegebenermaßen etwas kitschige Meditation über Ausgleich und Heilung ergießt. Und weil ausdrucksstarke männliche Auftritte im Wettbewerb in diesem Jahr selten waren, ist Hauptdarsteller Chen Chang neben Julio Machado, dem Hauptdarsteller des brasilianisch-portugiesischen Geschichtsdramas Joaquim, Mircea Postelnicu aus Călin Peter Netzers Ana, mon amour (siehe unten) und Géza Morcsányi aus dem ungarischen Beitrag On Body and Soul im engeren Favoritenkreis auf den Silbernen Bären für den besten männlichen Darsteller.


Die andere Seite der Hoffnung

Sherwan Haji, Nuppu Koivu, Janne Hyytiäinen, Sakari Kuosmanen, Ilkka Koivula in »Die andere Seite der Hoffnung« von Aki Kaurismäki | Malla Hukkanen © Sputnik Oy
Sherwan Haji, Nuppu Koivu, Janne Hyytiäinen, Sakari Kuosmanen, Ilkka Koivula in »Die andere Seite der Hoffnung« von Aki Kaurismäki | Malla Hukkanen © Sputnik Oy

Der neue Film vom Großmeister des finnischen Kinos Aki Kaurismäki bringt alle Eigenschaften des perfekten Wettbewerbsfilms mit. Er ist gesellschaftspolitisch hochaktuell ohne zu moralisieren, hat ebenso ernsthafte wie skurrile Szenen, überzeugt mit einem mitreißenden Score und erzählt eine Geschichte, die mitten aus dem Leben gegriffen ist. Es ist die des jungen Syrers Khaled Ali, der es aus Aleppo bis nach Finnland geschafft hat und dort Asyl sucht. Als sein Gesuch abgelehnt wird, ist er auf die Hilfe anderer angewiesen, während er zugleich den Schlägern der finnischen Neonazis aus dem Weg gehen muss. Ausgerechnet bei dem mürrischen Wikström, einem fliegenden Herrenausstatter, der mit der Übernahme des Restaurants Zum goldenen Krug noch einmal neu anfangen will, findet er Unterstützung. Wikström und sein Restaurantequipe bilden wortwörtlich Die andere Seite der Hoffnung. 

»Die Trübsinnigen werden zuerst abgeschoben«, heißt es in dem Film, der an Roy Anderssons Venediggewinner von 2014 Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach erinnert und zurecht als Geheimfavorit unter den Anwärtern für den Goldenen Bären gilt. Trübsinn will bei diesem Film auch nicht aufkommen, damit haben seit der Premiere nur die Kaurismäki-Fans zu kämpfen. Denn der Kultregisseur kündigte an, dass sein Wettbewerbsbeitrag nun wirklich sein letzter Film sein und er sich zurückziehen werde. Seine Chancen auf den Goldenen Bären für den besten Film schwächt diese Ankündigung sicherlich nicht.


Ana, mon Amour

»Ana, mon amour« von Călin Peter Netzer | Berlinale
»Ana, mon amour« von Călin Peter Netzer | Berlinale

Als sich Ana und Toma an der Uni begegnen, ist es sofort die ganz große Liebe. Allerdings liegt auch ein Schatten über ihrer Liebe, denn Ana wird immer wieder von mysteriösen Angstschüben und Panikattacken heimgesucht. Der rumänische Regisseur Călin Peter Netzer, der 2013 für sein Familiendrama Child’s Pose den Goldenen Bären erhielt, erkundet in seinem Beziehungsdrama die seelischen Nöte seiner Protagonisten sowie deren verheerende Folgen auf ihre Liebe. Denn Ana und Toma reiben sich aneinander und an ihrer Beziehung auf, verlieren sich auf ihrem gemeinsamen Weg. Auf Anas Angstschübe folgen die Tablettensucht, dann die Hypochondrie, die Religiosität und schließlich eine Psychotherapie. Toma ist in dieser Zeit der Fels in der Brandung. Elternschaft, Karriere und persönliche Entwicklung treiben sie in neuer Form auseinander und plötzlich gerät Toma ins Hintertreffen.

Der Film rollt die Beziehung aus Tomas Perspektive auf, der im Rahmen einer Psychotherapie, die er nach dem Scheitern der Beziehung unternimmt, auf die Ereignisse zurückblickt. Dies erklärt auch, warum sich für den Zuschauer genauso plötzlich das Kräfteverhältnis zwischen den beiden umkehrt wie für Toma selbst. Es sind seine Erinnerungen, die der Film zeigt. Zu diesen gehört auch, Anas innere Entwicklung verpasst zu haben. Mircea Postelnicu und Diana Cavallioti spielen für ihre Rollen voller Hingabe auf der gesamten emotionalen Klaviatur. Netzers Drama ist von besonderer Intensität, verliert sich allerdings etwas im komplexen Rahmen.


Have A Nice Day

Liu Jian: Have A Nice Day | © absolut Medien GmbH
Liu Jian: Have A Nice Day | © absolut Medien GmbH

Animationsfilme im Wettbewerb der großen Festivals sind eine Seltenheit. Wenn sie es aber erst einmal dorthin geschafft haben, dann haben sie meist gute Chancen. 2002 teilte sich Hayao Miyazaki mit Chihiros Reise ins Zauberland den Goldenen Bären mit Paul Greengrass und seinem irischen Drama Bloody Sunday. Ari Folmans langsam geschnittene Animation zum Libanonkrieg Waltz With Bashir konkurrierte 2008 um die Goldene Palme und war 2009 für den Auslandsoscar nominiert. Rhythmisch erinnert Liu Jians animierter Wettbewerbsbeitrag an Folmans Film, denn so wie die seine Charaktere mit ganz unteschiedlichen sozialen Hintergründen allesamt in ihrem Leben feststecken, bewegen sich die Figuren auch nur im Zeitlupentempo.

Have A Nice Day ist eine mit satirischen Elementen versetzte Reflektion über den Wahn des Geldes, die in weiten Teilen in der chinesischen Unterwelt angesiedelt ist. Ausgangspunkt ist eine Tasche mit einer Million Yuan, die ein junger Mann an sich reißt und damit eine Verfolgungsjagd auslöst, in deren Verlauf die Tasche von Hand zu Hand geht. China wird dabei als ein Land porträtiert, das auf dem Weg in die Moderne seine Bevölkerung vergessen hat. »Die Welt gehört den Wahnsinnigen und den Idioten«, heißt es in diesem gelungenen Animationsfilm. Die Wahnsinnigen sind die, die nach immer mehr streben, während sich die Idioten mit dem zufrieden geben, was sie haben. Have A Nice Day handelt vor allem von den Wahnsinnigen. Dass darin auch Donald Trump zitiert wird, ist nur konsequent.


El Bar (außer Konkurrenz)

Alejandro Awada, Joaquin Climent, Mario Casas, Blanca Suarez, Terele Pavez, Carmen Machi, Jaime Ordóñez, Secun de la Rosa in »El bar« von Álex de la Iglesia | Berlinale
Alejandro Awada, Joaquin Climent, Mario Casas, Blanca Suarez, Terele Pavez, Carmen Machi, Jaime Ordóñez, Secun de la Rosa in »El bar« von Álex de la Iglesia | Berlinale

Álexis de la Iglesia ist einer der aufregendsten kolumbianischen Regisseure. Mit Filmen wie Ein perfektes Verbrechen, Mad Circus, oder Words with Gods hat er bewiesen, dass er von reinen Genrefilmen wenig hält und dennoch zu unterhalten versteht. Sein neuer Film bestätigt das einmal mehr. Es ist eine mit Trash-Elementen versetzte Mischung aus Gesellschaftssatire und Politthriller. Der Zufall führt eine Handvoll Menschen in einer Bar zusammen, in der sich Fürchterliches ereignen wird. Zu Beginn können sie davon nichts ahnen. Bis ein Gast das Lokal verlässt und direkt vor der Tür erschossen wird. Doch kaum ist die Gefahr außerhalb des Lokals erkannt, wird es auch in der Bar brenzlig. Gegenseitig verdächtigen sich die Gäste, hinter den seltsamen Ereignissen zu stecken.

Der neue Film des Kolumbianers ist neben Josef Haders Wilde Maus und Danny Boyles T2 – Trainspotting der unterhaltsamste in der gesamten Sektion. Die voller unerwarteter Wendungen ausgestattete Geschichte ist ebenso spannend wie komisch, bietet Leichtigkeit, Drama, Zynismus und blutigen Thrill. Die genaue Handlung muss an dieser Stelle im Ungefähren bleiben, denn El Bar lebt vom Überraschungsmoment. Wer zwischen den komplexen Dramen im Wettbewerb gute Unterhaltung sucht und skurrilen Polts gegenüber offen ist, der findet im neuen Film von Álexis de la Iglesia den perfekten Film.


Deutsch(sprachig)e Beiträge bleiben blass

»Helle Nächte« von Thomas Arslan | © Schramm Film / Marco Krüger
»Helle Nächte« von Thomas Arslan | © Schramm Film / Marco Krüger

Es gab bei der Berlinale auch schon Zeiten, in denen man sich auf die Wettbewerbsbeiträge aus den deutschsprachigen Ländern gefreut hat. Das war in diesem Jahr nicht der Fall. Einzig Josef Haders Gesellschaftssatire wusste zu unterhalten. Thomas Arslans in Norwegen gedrehtes Vater-Sohn-Drama mit Georg Friedrich als introvertierter Vater und Tristan Göbel als zorniger Sohn begnügt sich mit der Abbildung einer weitgehenden Sprachlosigkeit zwischen den beiden Charakteren. Der dramaturgische »Höhepunkt« von Helle Nächte ist eine viereinhalbminütige Autofahrt durch den Nebel. Das kann man mutig finden, muss man aber nicht.


Nina Hoss, Stellan Skarsgård in »Rückkehr nach Montauk« von Volker Schlöndorff | © Wild Bunch Germany 2017 / Franziska Strauss
Nina Hoss, Stellan Skarsgård in »Rückkehr nach Montauk« von Volker Schlöndorff | © Wild Bunch Germany 2017 / Franziska Strauss

Volker Schlöndorffs Beitrag Return to Montauk mit Nina Hoss und Stellan Skarsgård in den Hauptrollen ist – wenig verwunderlich – Max Frisch gewidmet. Das Drehbuch von Colm Tóibín hebt mit ein paar Abweichungen dessen Erzählung „Montauk“ in die Gegenwart. Frisch hielt diese aufgrund ihrer starken autobiografen Note immer für unverfilmbar. Schlöndorff beweist zwar das Gegenteil, besonders einfallsreich ist das Ganze aber nicht, sondern erinnert vielmehr an ein brav heruntergedrehtes Plagiat des Originals.


Joseph Beuys. Filmstill aus »Beuys« von Andres Veiel | Ute Klophaus © zeroonefilm/ bpk Ernst von Siemens Kunststiftung, Stiftung Museum Schloss Moyland
Joseph Beuys. Filmstill aus »Beuys« von Andres Veiel | Ute Klophaus © zeroonefilm/ bpk Ernst von Siemens Kunststiftung, Stiftung Museum Schloss Moyland

Andres Veiels Beuys-Dokumentation ist vor allem für Fans des charismatischen und politisch aktiven Künstlers interessant, auch weil der Filmemacher (Black Box BRD, Wer wenn nicht wir) bislang unveröffentlichtes Material in seinem Film zeigt. Durch 300 Stunden Archivmaterial hat er sich gewühlt und daraus eine Bildcollage geschnitten, die dem positiv verrückten Künstler noch einmal den roten Teppich ausrollt. Beuys lebt dabei aber besonders von der Ausstrahlung des Ausnahmekünstlers. Ohne dessen Exaltiertheit, Konsequenz und Radikalität fiele dieses Filmporträt des politischen Beuys, der beständig das Leben als wichtigstes Objekt der Kunst verstanden wissen wollte, eher trocken aus.

3 Kommentare

  1. […] der vertrauten Propagandakunst, sondern ist ein satirisches Tableau der Gesellschaft. Jene, die 2017 Liu Jians letzten Film auf der Berlinale »Have A Nice Day« gesehen haben, dürften das Gemälde aus den Kulissen seiner Gesellschaftssatire wiedererkennen. […]

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