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Das schöne Funkeln in den Augen

Maria-Christina Piwowarski von ocelot – not just another bookstore ist positive gestimmt. Dem Kulturpessimismus im unabhängigen Buchhandel setzt sie Kundenorientierung, Empfehlungskompetenz und Kooperation statt Konkurrenzdenken entgegen. Dass die Kultbuchhandlung in Berlin-Mitte inzwischen Teil eines größeren Verbunds und damit nicht mehr wirtschaftlich unabhängig ist, verschweigt sie nicht.

Frau Piwowarski, die Buchverkäufe in den Buchhandlungen gehen allgemein zurück, Leser wandern zu Amazon und Co. Ocelot selbst ist bereits Opfer dieses Trends geworden, musste Insolvenz anmelden. Was lässt Sie dennoch hartnäckig bleiben und weiter gegen diesen Trend der Abwanderung in den Onlinehandel ankämpfen?

Oh, bitte! Warum denn dieser Kulturpessimismus? Nur wegen der Statistik? Wo doch gerade hier in Berlin innovative Neugründungen mit großem Erfolg zeigen, wie vielseitig und lebendig unsere Branche ist. ocelot musste nicht Insolvenz anmelden, weil es an lesefreudiger Kundschaft mangelte. Dass wir zwischen 2013 und 2014 wirtschaftliche Schwierigkeiten hatten, ocelot 1.0 also nicht überlebensfähig war, ist vor allem einer finanziell instabilen Ausgangslage zuzuschreiben, die nicht mit den großen Kosten mithalten konnte, die ein Laden in dieser Lage und mit dieser Ausstattung eben hat. Dennoch bin ich sehr dankbar dafür, dass ocelot, überhaupt gegründet wurde und nun mit neuen Inhabern auf sehr stabilen Füßen steht. Wobei »neu« hier relativ ist. Mittlerweile existiert der Laden ja länger in seiner jetzigen Form und Firmierung.

Hier im mittigen Berlin erlebe ich im Gegenteil zu der Fragestellung eine Entwicklung zu viel bewussterem Einkaufen, auch online. Natürlich ist die bequeme Einkaufsmöglichkeit im Internet eine Serviceleistung, die auch die Kundinnen und Kunden von Buchhandlungen schätzen und die heute berechtigter Standard ist. Ohne eShop wären eBooks zum Beispiel gar nicht sinnvoll anbietbar. Aber ich spüre durchaus den klaren Wunsch der Kundinnen und Kunden, den offline favorisierten Buchladen statt anonymer Konzerne zu unterstützen.

Wie funktioniert dieses Nebeneinander von eShop und Buchhandlung bei Ihnen genau?

Seit unserer Rettung im Frühjahr 2015 durch die B. Service GmbH aus Heidelberg, können wir über den genialokal-Onlineshop, dem wir nun angebunden sind, unkompliziert einen Onlineservice anbieten. Es gibt einen kundenfreundlichen, umfassenden Onlineshop ohne Versandkosten, der direkt mit unserer Warenwirtschaft verknüpft ist, so dass sich unsere Kundinnen und Kunden vorrätige Bücher einfach aus dem Sortiment reservieren lassen können. Wir können außerdem über frei bespielbare Tools persönliche Buchempfehlungen schreiben, das Team vorstellen, auf Veranstaltungen oder Aktionen hinweisen, haben aber ansonsten keinen größeren Aufwand damit. Wir kämpfen also nicht gegen etwas, sondern bieten etwas an und zeigen Alternativen auf. Dass ohnehin nichts mit einem Einkaufserlebnis in unserer Buchhandlung mithalten kann, wissen unsere Kundinnen und Kunden ja längst, deshalb bestellen sie oft online und holen die Bücher dann unkompliziert bei uns im Laden ab.

Wie viele Kunden begrüßen Sie im Schnitt am Tag und wie viele verlassen ocelot mit einem neuen Buch?

An einem normalen Wochentag begrüßen wir hier sicherlich 160 Kundinnen und Kunden. Über den Daumen gepeilt kaufen 130 davon ein Buch, zwanzig kommen wegen des hervorragenden Kaffees zu uns, die anderen zehn wollen bloß mal gucken.

Lassen sich Leser noch inspirieren oder wissen die meisten längst schon, was sie kaufen wollen?

Für unsere Empfehlungskompetenz und unsere Auswahl geschätzt zu werden, daran arbeiten wir seit 2012 wirklich hart und mit schönem Erfolg. Natürlich gibt es – glücklicherweise – immer Menschen, die schon genau wissen, welches Buch sie brauchen. Aber sicherlich die Hälfte unserer Kundinnen und Kunden kommt – ebenfalls glücklicherweise – gezielt mit dem Wunsch, sich literarisch beraten zu lassen oder in unseren Regalen Neues zu entdecken. Immer wieder werden wir für unsere Sortimentsauswahl gelobt. Das tut gut, denn natürlich verwenden wir darauf auch sehr viel Zeit und Energie. Es gibt nichts Schöneres, als das Funkeln in den Augen eines Menschen, der oder die gerade ein Buch gekauft hat, von dem er gar nicht wusste, wie sehr er oder sie es wollte.

Wie gelingt es in Berlin, in dem ein Event dem anderen folgt, Leser zu binden und in den Buchhandel zu bekommen? Welche Bedeutung haben dabei Lesungen oder Leseabende?

Es stimmt, dass Lesungen in Berlin eine ziemlich spezielle Herausforderung sind. Gerade weil die Vielfalt erfreulicherweise groß ist und sich so viele engagierte Menschen um literarische Bühnen kümmern. Trotzdem ist die Nachfrage und das Interesse natürlich von allen Seiten groß, was nicht unbedingt immer bedeutet, dass das Haus ausverkauft ist. Uns hat es sehr geholfen, dass wir uns klar auf zwei wirklich wohlüberlegte Veranstaltungen pro Monat fokussieren. Wir arbeiten dafür eng mit Verlagen sowie den Autorinnen und Autoren zusammen, die wir bereits schätzen oder sehr spannend finden, so dass bisher jeder Abend auch für uns ein großes Vergnügen war. Diese Authentizität kommt an.

In welchem Verhältnis stehen hier Aufwand und Nutzen?

Der Aufwand ist nicht unerheblich und gerade die Vorbereitung eines solchen Abends darf nicht unterschätzt werden. Aber der Mehrwert, gerade für den Anspruch, ein lebendiger Ort der Kultur zu sein, ist eindeutig. In diesem Jahr haben wir auch endlich den lang geplanten offenen Lesekreis umgesetzt, denn gute Literatur erfordert oft auch einen besonderen Rahmen um über seine Leseeindrücke sprechen zu können. Das wissen unsere Kundinnen und Kunden zu schätzen.

Wie gewinnen Sie junge Leser?

Vor allem, indem wir gute Kinder- und Jugendbücher präsentieren. Unsere Abteilung hierfür ist seit der Gründung stetig gewachsen. Und weil wir die Eltern wirklich verbindlich und gut beraten – das beginnt beim Pappbilderbuch, ach was, schon beim Schwangerschaftsbuch – vertrauen uns auch die wachsenden Kinder. Über einige ausgewählte Veranstaltungen und Workshops bieten wir auch den älteren Kindern die Erfahrung, dass Literatur im Wortsinn erlebt werden kann.

Welche Bedeutung haben für Sie Aktionen wie die Woche der Unabhängigen Buchhandlungen, Stadt-Land-Buch oder das Internationale Literaturfestival? Ist davon etwas bei ocelot zu spüren? Und nehmen Sie diese Events zum Anlass für eigene Aktionen?

Wir nehmen sie wohlwollend zur Kenntnis und freuen uns immer, wenn Bücher ein größeres Thema im Stadtbild werden und Aktionen für Literatur erfolgreich umgesetzt werden. Da, wo es Sinn macht, beteiligen wir uns, wie zum Beispiel beim »Women in Translation Month«, der uns aus mehreren Gründen wichtig ist oder bei »berlin liest« im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals. Andere unterstützen wir ganz aktiv und mit enorm viel Engagement: Dazu gehört seit 2013 der Indiebookday, den wir sehr groß und bewusst feiern. Im letzten Jahr gab es hier beispielsweise stündlich Lesungen. Der Tag ist unser liebster Feiertag im ganzen Jahr, weil da Büchern aus unabhängigen Verlagen die ganz große Bühne gehört.

Was wünscht Sie sich von den Verlagen und was vom Buchhandel, also den Kollegen und Konkurrenten? 

Gemeinsam mit den Bloggerinnen und Buchhändlerinnen Simone Finkenwirth und Jacqueline Masuck haben wir einen sich lose treffenden Buchhandelsstammtisch gegründet. Solche offline-Vernetzungen sind toll, auch, wenn im Alltag oft viel zu wenig Zeit dafür bleibt. Was könnten wir uns von den Kolleginnen und Kollegen anderes wünschen, als das, was ohnehin schon passiert? Dass man zusammenhält, sich und seine Sortimente zumindest etwas kennt, sich nicht als Konkurrenz betrachtet. Ich wünsche mir weiterhin ein kollegiales Miteinander, denn wir sind alle Kämpfende für die gleiche grandiose Sache, die Literatur. Ganz egal, wie unterschiedlich wir das in den einzelnen Sortimenten umsetzen. Bei den Verlagen spüre ich immer sehr, dass sie sehr wohl ansprechbar für unsere Bedürfnisse sind. Dass die Kommunikation stimmt.

Sollten unabhängiger Buchhandel und unabhängige Verlage stärker zusammenarbeiten und mehr Kooperationen suchen?

Ich sehe mit großer Freude, dass sich viele gute Synergien von allein ergeben, schon aus Sympathie und gegenseitiger Wertschätzung der grandiosen Arbeit gegenüber. Gerade mit unabhängigen Verlagen ist eine Zusammenarbeit meist ebenso unkompliziert, wie schön. Was ich mir wünschen würde, wäre eine größere Sichtbarkeit der bereits bestehenden Angebote: Den Katalog der Kurt-Wolff-Stiftung »Es geht um das Buch« wünsche ich mir in jeder Buchhandlung zur Gratis-Mitnahme, das gleiche gilt für das Heftchen »Highlights der unabhängigen Verlage«, das jedes Jahr zur Leipziger Messe erscheint. Es wäre auch toll, noch mehr Buchhandlungen könnten für die Hotlist, also den Buchpreis der Unabhängigen Verlage, trommeln.

Ein Preis des unabhängigen Buchhandels ist das »Lieblingsbuch der Unabhängigen«. Wie blicken Sie auf solche Auszeichnungen, die immer auch mit den anderen großen Literaturpreisen konkurrieren?

Ich liebe das diesjährige Siegerbuch, Mariana Lekys »Was man von hier aus sehen kann« und habe mich wirklich sehr gefreut. Es ist schön und verdient, dass sie diesen Preis nun erhalten hat. Ich verstehe allerdings den Konkurrenzgedanken der Frage nicht. Ich empfinde diese Auszeichnung, genauso wie die Hotlist einfach als sinnvolle Ergänzung.

Worin besteht Ihrer Ansicht nach die größte Herausforderung für den unabhängigen Buchhandel?

Die größte Herausforderung ist sicherlich eine wirtschaftliche. Kompetenz hat der unabhängige Buchhandel ausreichend und Engagement noch viel mehr. Trotzdem müssen Mieten und faire Löhne gezahlt werden. Der Einkauf macht doch nur dann Freude, wenn wir uns auch die Titel leisten können, die wir unseren Kundinnen und Kunden empfehlen möchten, und Veranstaltungen nicht an den Kosten scheitern. Es wird sich immer weiter schlicht um das Thema drehen, die Begeisterung für gute Literatur spürbar zu machen, neue Kundinnen und Kunden zu gewinnen und langfristig zu faszinieren. Zudem wünsche ich mir, dass die Ausbildungsklassen wieder größer werden.

Bitte setzen Sie diesen Satz fort: Eine gute Buchhändlerin/ein guter Buchhändler sollte…

Bitte keine Allgemeinplätze! Es gibt haufenweise Dinge, die mir in meiner täglichen Arbeit helfen. Eine Kollegin in einer süddeutschen Kleinstadt kann aber durchaus ganz andere Prioritäten haben, deshalb ist sie nicht weniger gut. In einen Satz passt buchhandeln ohnehin nicht, nicht für mich. Mir hilft es, meine Kundinnen und Kunden gut zu kennen, ein Gespür für ihre literarischen Bedürfnisse zu entwickeln. Es hilft mir, sehr aufmerksam die Arbeit der Verlage zu beobachten, auch international. Es hilft mir, mit vielen Kolleginnen und Kollegen auch überregional gut vernetzt zu sein. Es hilft mir, seit diesem Jahr eine Buchhändlerin ausbilden zu dürfen und dadurch viele Abläufe und Themen erneut überdenken zu können. Am meisten hilft mir allerdings, Authentizität. Im täglichen Geschäft mit der Kundschaft sowieso, aber auch im Bereich der Sozialen Medien oder bei Gesprächen mit Verlagen. Lesen hilft mir. Viel, viel lesen.

Frau Piwowarski, vielen Dank für das Gespräch.