Comic, Interviews & Porträts

»Auch als Frau kann man einfach Spaß am Sex haben«

Hat Dich der Erfolg von »Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens« bei der Arbeit für die Fortsetzung unter Druck gesetzt?

Nein, zumal ich es absolut unnötig finde, über Druck zu jammern. Ich habe so lange gekämpft, um überhaupt gesehen zu werden. Jetzt beschwere ich mich garantiert nicht darüber, dass die Leute eine Erwartung an das haben, was ich mache.

Deine Adaption von Marcel Beyers »Flughunde« wurde hochgelobt, weil Du die sprachlichen Besonderheiten in Bilder bringen konntest. Wie sehr hast Du damals mit dem Material gerungen?

Es war für mich natürlich reizvoll, mit den Soundwords im Comic ein Werkzeug zu haben, mit dem ich Töne umsetzen kann. Ohnehin gab es viele Sachen, die ich im Comic aufgreifen konnte. Es gab die beiden Erzählebenen, grafisch konnte ich extrem viel umsetzen, musste es sogar. Schwierig war die deprimierende Atmosphäre im Bunker. Drei Jahre habe ich am Buch gearbeitet und die Hälfte davon spielt im Führerbunker. Ich habe also im Grunde selbst eineinhalb Jahre im Bunker verbracht, denn wenn man eine Geschichte schreibt oder zeichnet, ist man vollkommen drin. Sonst kann man sie nicht nachempfinden. Diese extrem düstere Atmosphäre war emotional durchaus schwierig. Aber Marcel Beyer hat das verdammt gut geschrieben, das wollte ich einfach umsetzen.

Hast Du Dich mit Beyer darüber ausgetauscht?

Er hatte meinen ersten Comic gelesen, fand ihn gut und hat gesagt, ich habe freie Hand. Wir haben uns, als ich schon daran arbeitete, in Frankreich auf einem Comicfestival getroffen. Da habe ich ihm gesagt, dass ich hoffe, dass ihm klar ist, dass ich seinen Text schlachten muss, um daraus einen Comic zu machen. Da hat er nur gesagt, dass ihm das klar sei. Marcel Beyer habe ich als frei denkenden und großzügigen Menschen erlebt, der keine Angst davor hatte, was ich aus seinem Werk mache. Ich durfte wirklich tun, was ich wollte, und er wollte am Ende auch nichts korrigieren oder eingreifen.

Was macht für Dich eine gute Zeichnung oder einen guten Comic aus?

Bei einem guten Comic muss mich die Geschichte berühren. Dasselbe gilt für die Zeichnung. Es hat nichts mit handwerklicher Qualität zu tun. Es hat etwas mit positiver Emotionalität zu tun, ob eine Zeichnung etwas in mir auslöst oder nicht.

Comics tendieren heute oft zur Textlastigkeit, gerade der Durchbruch des Comicromans hat meines Erachtens dazu beigetragen. Deine Comics überzeugen vor allem durch die wilde Grafik, lange Textpassagen sind eher selten. Worin liegt für dich die Stärke des Comics?

Die Stärke liegt im Hin- und Herschwenken zwischen Text und Bild. Ich achte deshalb sehr darauf, dass es nicht zu viel Text wird. Es gibt auch diese Regel, dass man nicht mehr als sieben Sätze auf der Seite verwenden sollte. Bei den »Flughunden« war ich wirklich an der Grenze. Es war halt der Text von Marcel Beyer, ich konnte den nicht unendlich einkürzen. Um letztendlich aber die richtige Balance und den richtigen Fluss zu finden, muss man viel ausprobieren. Wenn man den Text liest und er ist zu lang, dann liest man irgendwann nur noch den Text und achtet nicht mehr auf die Bilder. Das hat etwas mit dem Vorgang des Betrachtens zu tun. Man muss gegenüber diesem Problem aufmerksam sein. Autobiografische Comiczeichner tendieren dazu, unheimlich viel Text zu verwenden. Ich verurteile das. Meinen Studenten sage ich immer, verwendet möglichst wenig Text.

Was fällt dir beim Zeichnen besonders schwer, wo sind Deine Selbstzweifel am größten?

Ich würde es für sehr gefährlich halten, keine Selbstzweifel zu haben. Also wenn ich mal keine hab, dann fange ich an, misstrauisch zu werden. Selbstzweifel sind ein wichtiges Regulativ.

Hast du ein Traumprojekt oder eines, dass du schon lange vor dir herschiebst?

Den dritten Teil der Autobiografie schiebe ich vor mir her. Außerdem habe ich ein Faible für Frühgeschichte und Mythologie, es könnte sein, dass ich darüber mal etwas mache. Vielleicht für die nächste SPRING-Ausgabe.

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Ulli Lust: Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein. Suhrkamp Verlag 2017. 367 Seiten. 25,- Euro. Hier bestellen

SPRING ist auch ein feministisches Projekt. Würdest Du Dich als Feministin bezeichnen? Und was heißt das heute noch, Feministin sein?

Klar. Es geht immer noch um das Gleiche. Es geht um die gleiche Wertschätzung beider Geschlechter. Es ist eine Frage des Respekts. Und solange es den Gender-Pay-Gap gibt, ist alles, was im Alltag nach Gleichberechtigung ausschaut, hinter den Kulissen noch nicht soweit. Frauen müssen immer noch um Gleichberechtigung kämpfen. Es ist ein großes Missverständnis, das Feministinnen die Macht übernehmen wollen. Sie wollen einfach nur die gleichen Chancen, die gleichen Möglichkeiten und den gleichen Respekt wie Männer.

Welche Rolle spielt Österreich noch für Dich? Oder bist Du eine Berlinerin.

Inzwischen habe ich mich ganz gut integriert. Ich mag Österreich, Österreich ist wahnsinnig schön. Ich fahre gern dorther auf Urlaub, ich würde aber nicht dort wohnen wollen. Irgendwie bin ich schon eine echte Berlinerin geworden.

»Ich bin eine Anarchistin«, sagt dein Alter Ego in »Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein«. Bist du das heute immer noch, 23 Jahre später?

Ich versuche es. Im Geiste!

Was würdest du heute mit der Zeit anfangen, wenn heute der letzte Tag vom Rest deines Lebens wäre?

Ich glaube nicht, dass ich irgendetwas anders machen würde. Ich habe wirklich ein Riesenglück mit meinem Leben.

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