Film

Der Schrifststeller Sergej Dowlatow – Arm, begabt und am Leben

Alexej German Jr. setzt das Leben des russischen Schriftstellers Sergei Donatowitsch Dowlatow beeindruckend in Szene. Sein Hauptdarsteller Milan Maric überzeugt als lakonischer Intellektueller auf ganzer Linie.

Ein großes Buch wolle er schreiben, sagt Sergej Dowlatow am Anfang dieses Biopics in nebelverhangenen Sepiafarben. Da steht er inmitten einer Truppe von Laienschauspielern, die im Auftrag der Werft in St. Petersburg anlässlich der Feierlichkeiten der Revolution für einen Film die großen russischen Schriftsteller geben sollen. Wie Witzfiguren verkörpern sie in ihren historischen Kutten Literaturgrößen wie Tolstoi, Dostojewski, Puschkin und Gogol. Dowlatow findet diese Aufwartung nur mäßig amüsant. Weil er eine wohlwollende Ankündigung des Films für die werfteigene Fabrikzeitung schreiben, fragt er sie, was ihre Charaktere wohl zur Revolution zu sagen hätten. Die Zeilen, die seine Gegenüber dann zum Besten geben, sind natürlich von der Werftleitung ausgewählt und reichen der Staatspropaganda alle Ehre. Sie handeln irgendwie von Fortschritt und dem neuen Menschen. Angesichts der sozialen Lage natürlich eine Farce. Dowlatow ist nicht bereit, das zu verheimlichen. Entsprechend kritisch fällt sein Beitrag aus, der es natürlich nicht in die Werftzeitung schaffen wird.

Dass er überhaupt für das Arbeiterblatt schreiben muss, liegt an seiner miserablen wirtschaftlichen Situation, die selbst ein Geschenk für die zehnjährige Tochter unmöglich macht. Wie viele Intellektuelle wurde er vom russischen Schriftstellerverband nicht aufgenommen, was in der Sowjetunion dazu führte, dass seine Texte nicht gedruckt wurden – weder von den Zeitungen, noch von den Literaturmagazinen. Er war auf die Unterstützung von Freunden und Bekannten angewiesen, hielt sich mit Gelegenheitsaufträgen über Wasser. Seine Literatur kursierte wie die vieler anderer Autoren in Samisdat-Kopien im Untergrund. Wiederentdeckt wurde sie erst nach seinem Tod 1990 im amerikanischen Exil.

Dovlatov © SAGa Films
Dovlatov © SAGa Films

Der russische Regisseur Alexej German Jr., der 2008 mit Paper Soldier den Regiepreis in Venedig gewann und 2015 mit seinem Film Under Electric Clouds den Silbernen Bären für eine herausragende Künstlerische Leistung gewann, setzt für diese Hommage an einen der größten russischen Autoren des 20. Jahrhunderts erstmals seine Heimatstadt St. Petersburg in Szene. Und dies tut er in grandios vernebelten Bildern, die als große Metapher für die 1970er Jahre gelten dürfen. Dieie Tauwetter-Phase nach Stalins Tod lag zu dem Zeitpunkt schon eine Weile zurück und der Nebel des repressiven russischen Staates unter Leonid Breschnew legte sich über Land und Leute.

Der Prunk der historischen Altstadt und der Zauber der Eremitage bleiben hier außen vor. Stattdessen bewegen sich die Zuschauer mit Dowlatow vorwiegend dort, wo sich die einfachen Arbeiter befinden – das Werftgelände, der Metrotunnel und die St. Petersburger Parks. Oder die Szenerie wendet sich voll und ganz der Intellektuellenszene zu, dann wandelt man mit Dowlatow über den Schwarzmarkt oder durch die Hinterzimmer von Künstlerwohnungen, wo sich die St. Petersburger Intellektuellen trafen und austauschten. Etwa Joseph Brodsky, der wichtigsten Dichter Russlands im 20. Jahrhundert. Dowlatow pflegte mit ihm eine enge Freundschaft, bevor beide auf Druck des Breschnew-Regimes das Land verlassen mussten. »Wir sind die letzte Generation, die die russische Literatur retten kann«, sagt Brodsky im Film. Er gehört zu den »Künstler, Gaunern und Schurken«, mit denen sich Dowlatow in seiner Heimatstadt umgab. Bei diesen Menschen, für die im sowjetischen Staat kein Platz war, fand er eine Heimat. Für sie erhebt er in seinen Texten die Stimme und macht sich stark. Ihre kleinen und großen Tragödien stecken in jedem seiner Texte, mit denen er den Alltag der kleinen Leute in den Blick nahm.

Dovlatov © SAGa Films
Dovlatov © SAGa Films

Durch die ungeschönte Wiedergabe ihrer Verhältnisse stellte er die Propaganda des Sowjetstaats infrage und beraubte sich so immer wieder bewusst der Chance, publiziert zu werden. Doch Dowlatow konnte nicht anders, er war der Wahrheit verpflichtet: »Ich dachte, unsere Bücher und Filme werden nicht produziert, weil die Dinge, die wir beschreiben, nicht existieren. Ich denke, sie existieren schon. Die Macht ignoriert es nur, dass es sie gibt.«

Die Kamera folgt dem von Milan Maric eindrucksvoll und facettenreich verkörperten Schriftsteller auf Schritt und Tritt. Damit ist sie immer auch so nah an den Menschen dran, wie Dowlatow selbst es war. Kameramann Lukasz Zal fängt so auch die vielen verschmitzt lächelnden Gesichter des Autors ein, aber auch seine Müdigkeit und seinen Schmerz ob der Situation, in der er sich befindet. Es ist ein schmaler Grat zwischen Tragödie und Komödie, auf dem der Film wandert. Dass er sich weder auf die eine noch auf die andere Seite schlägt, macht seine Stärke aus und spiegelt die mal ironischen, mal melancholischen Texte Dowlatows. Er beobachte die Welt »durch das Schlüsselloch der Zeit«, und womöglich sei es seine Aufgabe, ins Leere zu schreiben, sagt der Schriftsteller im Film, nachdem erneut eines seiner Manuskripte abgelehnt wurde.

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Alexej German Jr., der auch das Drehbuch zum Film geschrieben hat, bettet die Geschichte der russischen Literatur ein in die der sowjetischen Gesellschaft und schält dabei die prekäre und immer wieder bedrohliche Existenz der Intellektuellen heraus. Er zeigt Selbstmordversuche und Festnahmen, um die physische Bedrohung sichtbar zu machen, die Autoren wie Brodsky und Dowlatow schließlich dazu gebracht haben, das Land zu verlassen. Dovlatov ist ein cineastisches Denkmal für einen zu Lebzeiten geschassten Schriftsteller, der mit diesem Film wiederentdeckt werden kann.

»Wir sind arm und manchmal begabt. Und wir sind da.« Jetzt, wo Dowlatow nicht mehr da ist, bleiben uns seine Texte. Es wird Zeit, dass diese auch in Deutschland wieder aufgelegt werden.