Film

Viel Mittelmaß, wenig Brillanz

Zur Halbzeit der 68. Berliner Filmfestspiele hat man den Eindruck, Festivaldirektor Dieter Kosslick will erneut beweisen, dass es ihm partout nicht gelingen mag, einen Wettbewerb mit ausreichend großen Filmen zu bestücken. Die Höhe- und Tiefpunkte der ersten fünf Festivaltage.

Natürlich, gemosert wird viel und die Sehnsucht nach der Post-Kosslick-Ära ist, unabhängig von ihrer tatsächlichen Gestalt, nicht nur bei der anwesenden Presse groß. Aber das Ausmaß, mit dem in diesem Jahr nach den Botschaften in den Wettbewerbsbeiträgen gefragt wird, lässt tief in die Seele der Journalisten blicken. Das mag zum einen an der Sperrigkeit von so manchem Film liegen, aber auch an der Bräsigkeit, mit der diejenigen, die die Filme einem weiteren Publikum erschließen sollen, ihrer Tätigkeit nachgehen. Zudem scheint beim politischsten Filmfestival der Welt die Einsicht, dass gute Filme nicht zwangsweise eine moralische Botschaft vor sich hertragen müssen, sondern es reicht, wenn sie einfach nur gut gemacht sind oder in ihrer Erzählung überzeugen, keine Chance zu haben. Auch das ist ein Ergebnis der Ära Kosslick, während der zuletzt Filme wie Mani Haghighis cineastisches Meisterwerk A Dragon Arrives oder Peter Greenaways rasante Komödie Eisenstein in Guanajuato leer ausgingen. Selbst außergewöhnlich politische Beiträge wie Mahmoud Sabbaghs saudische Shakespeare-Inszenierung Barakah meets Barakah oder Philippe van Leeuws packendes Drama Insyriated es gar nicht erst in den Wettbewerb geschafft haben.

Damsel © Strophic Productions Limited
Damsel © Strophic Productions Limited

Stattdessen wartet das Festival mit allerhand Durchschnitt auf, der nicht einmal den nötigen Mut zum Experiment aufweist. Das gilt auch für den Jahrgang 2018. Lance Dalys irischer Rächerfilm Black 47 weist zwar unübersehbar auf die irische Hungersnot von 1847 und die britische Verantwortung dafür hin, kann aber nicht wirklich überzeugen. Der Anti-Western Damsel von David und Nathan Zeller, in dem Robert Pattinson den schwer verliebten Cowboy und Mia Wasikoska das robuste Cowgirl gibt, ging mit einigen Vorschusslorbeeren an den Start, enttäuschte dann aber mit flachen Witzen in sparsamer Dosis.

Eva © 2017 MACASSAR PRODUCTIONS - EUROPACORP - ARTE France CINEMA - NJJ ENTERTAINMENT - SCOPE PICTURES / Guy Ferrandis
Eva © 2017 MACASSAR PRODUCTIONS – EUROPACORP – ARTE France CINEMA – NJJ ENTERTAINMENT – SCOPE PICTURES / Guy Ferrandis

Ein Tiefpunkt des diesjährigen Festivals ist Benoit Jacquots Film Eva, in dem Isabelle Huppert einfallslos eine Edelprostituierte vom Land mimt, die dem von Gaspard Ulliel gespielten Hochstapler Bertrand den Kopf verdreht. Der zweite französische Beitrag, Cédric Kahns La Prière, erzählt zum x-ten Mal die Geschichte eines jungen Junkies, der seine Sucht mit der Droge Religion bekämpft.

Toppen av ingenting | The Real Estate © Flybridge
Toppen av ingenting | The Real Estate © Flybridge

Der schwedische Beitrag Toppen av Ingenting scheitert schon in der Anlage. Ursprünglich wollten die Regisseure Axel Petersén und Måns Månsson einen Dokumentarfilm über eine absurde Besonderheit des schwedischen Immobiliengesetzes drehen. Beim Dreh stellten sie fest, dass der Stoff auch für einen Spielfilm reichen könnte. Sicher tut er das auch, aber der Film verliert sich in seiner Erzählung, irgendwo zwischen den skurrilen Charakteren in dem maroden Wohnhaus, das die 68-jährige Nojet erbt, und den Fakten hinter der Erzählung.

Ang Panahon ng Halimaw | Season of the Devil | In Zeiten des Teufels © Giovanni D. Onofrio
Ang Panahon ng Halimaw | Season of the Devil | In Zeiten des Teufels © Giovanni D. Onofrio

An dem philippinischen Regisseur Lav Diaz scheiden sich die Geister. Vor zwei Jahren forderte er Freund und Feind mit einem achtstündigen Beitrag bei der Berlinale heraus, in diesem Jahr ist er mit einem vierstündigen Werk, das er selbst »Rock-Oper« nennt (ein deutlich zu hoch gegriffener Begriff) vertreten. Darin erzählt er einmal mehr in langen Einstellungen und Engelsgeduld aus dem Bürgerkrieg in seiner Heimat. Es gibt sicherlich Cineasten, die daran ihren Gefallen finden, der Autor fand Ang Panahon ng Halimaw maximal mühselig.

Transit © Schramm Film / Marco Krüger
Transit © Schramm Film / Marco Krüger

Und die deutschen Wettbewerbsbeiträge? Christian Petzolds Anna-Seghers-Verfilmung Transit spaltet die Kritiker. In der ins heute übertragenen Fluchtgeschichte, die den von Franz Rogowski verkörperten Georg von Paris nach Marseille führt und von dort in die USA bringen soll, entstehen zwischen der historischen Erzählung und dem im Frankreich der Gegenwart gedrehten Film Lücken. Petzold-Fans sehen in diesen Lücken den Raum, in die sie die politische Bedeutung der Geschichte hineininterpretieren können. Der Autor dieser Zeilen wurde mit dem Film allerdings nicht warm. Die Lücken zwischen Ton und Bild sind zu groß, um Transit glaubhaft als Fluchtgeschichte in einem von rechten Parteien regierten Europa einer nahen Zukunft zu sehen. Die Parallelen sind dennoch unabstreitbar. Vielleicht macht ihn genau das so gegenwärtig.

3 Tage in Quiberon | 3 Days in Quiberon © Rohfilm Factory / Prokino / Peter Hartwig
3 Tage in Quiberon | 3 Days in Quiberon © Rohfilm Factory / Prokino / Peter Hartwig

Der zweite deutsche Beitrag im Wettbewerb, Emily Atefs Romy-Schneider-Biopic mit Marie Bäumer in der Hauptrolle, ist weder Sensation noch Enttäuschung. 3 Tage in Quiberon erzählt die Geschichte eines Kuraufenthalts der deutschen Schauspielerin, während dem sie dem Stern in Person von Michael Jürgs (Robert Gwisdek) und Robert Lebeck (Charlie Hübner) ein Interview gibt. In Schwarz-Weiß-Bildern vor eindrucksvoller Kulisse bekommt man eine Momentaufnahme aus dem Leben der Romy Schneider – mehr aber auch nicht.

Utøya 22. juli | U – July 22 © Agnete Brun

Für die meisten Diskussionen hat Erik Poppes Spielfilm zum Massaker auf der norwegischen Insel Utøya gesorgt. Der packende Thriller zeichnet in Echtzeit die Ereignisse aus Opferperspektive nach, die Angst der Jugendlichen auf der Insel kriecht den Zuschauern förmlich in die Knochen. Dies finden einige Kritiker unzumutbar, sie werfen Poppe und seiner Crew vor, das Massaker für eigene Zwecke zu missbrauchen und außer den ohnehin schon bekannten Fakten keine neuen erhellenden Informationen zu liefern. Dass diese ethischen Bedenken nicht einmal von der norwegischen Opfer-Organisation geteilt werden, spielt keine Rolle. Viel Zustimmung findet dennoch die Ansicht, dass die Nachwuchsschauspielerin Andrea Berntzen, die die junge Kaja spielt, aus deren Perspektive die Ereignisse nacherzählt werden, umwerfend spielt. Sie darf sich berechtigte Hoffnungen auf einen Silbernen Bären machen.

Dovlatov © SAGa Films
Dovlatov © SAGa Films

Ohnehin ist die bisherige Berlinale ein Festival der starken Frauen, sowohl der Wettbewerbsbeitrag aus Paraguay Las Herederas als auch Laura Bispuris Mütterdrama Figlia Mia überzeugten mit einem starken weiblichen Cast. Von den wenigen männlichen Hauptdarstellern konnte bis Montagabend nur Milan Marić in der Rolle des russischen Schriftstellers Sergej Dowlatow überzeugen.

Malgorzata Szumowska liest das Speak Up-Manifest
Malgorzata Szumowska liest das Speak Up-Manifest

Die #metoo-Debatte schlägt sich auch auf der Berlinale nieder, Festivalchef Dieter Kosslick ist daran nicht ganz unschuldig, wie die Süddeutsche Zeitung wunderbar aufgeschrieben hat. Die Branche ist sich einig, dass die Strukturen Machtmissbrauch begünstigen. Unter dem Schlagwort Speak Up hat sich die Europäische Filmindustrie zumindest gegen sexuelle Belästigung und Missbrauch positioniert. Ein solches Verhalten werde nicht toleriert, heißt es in der Pressemitteilung, egal ob es »in Büros oder bei externen Veranstaltungen wie Märkten und Festivals« dazu komme. »Sexuelle Belästigung ist systemisch und nicht nur ein Einzelfall. Es ist unumgänglich, alltägliche Belästigung, Sexismus und unangemessene Machtdynamiken unmissverständlich zu benennen, um starke und dauerhafte Veränderungen an jedem Arbeitsplatz möglich zu machen.« Ob die Erklärung allerdings reicht, darf bezweifelt werden. Ob Quoten, Verhaltensregeln oder die Beschwerdestelle, die im März ihren Betrieb aufnehmen soll, besser helfen, darüber streitet die Branche.

Derweil geht das Festival in seine zweite Halbzeit, mit Gus van Sants Don’t worry, he wont get so far on foot, Mani Haghighis Khook, Małgorzata Szumowskas Twark und Thomas Stubers In den Gängen stehen auch noch einige Hochkaräter aus. Man darf also gespannt sein, ob sich der Wettbewerb noch aus dem Mittelmaß herausbewegt.

3 Kommentare

  1. […] Auf der Pressekonferenz zum Film führte er aus, dass die Idee zum Film am Ende der Dreharbeiten zu »Transit« aufgekommen sei. Denn dort ertrinkt am Ende Marie, gespielt von Paula Beer, während Georg, den […]

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