Film

Sprachlos in Zwischenwelten

Angela Schalenec hat über Jahre im Forum der Berlinale ihre Filme vorgestellt. Nun ist sie mit ihrer fragmentierten Familienanordnung »Ich war zuhause, aber…« erstmals im Wettbewerb vertreten.

Nichts an diesem Film ist natürlich, dabei beginnt er mit einer Jagdszene in den Bergen. Man sieht einen Hasen den Hang hinabspringen, ein Hund scheint ihm auf den Fersen. Schnitt. Ein Esel schreitet durch eine verlassene Berghütte, neben ihm kaut der Hund an den Überresten des Hasen. Schnitt. Der Esel schaut aus dem Fenster, zu seinen Füßen schläft der Hund.

Mit diesen Traumsequenzen beginnt Schalenecs Film, der von einer Familie handelt, die sich am Rand des Abgrundes bewegt. Im Zentrum stehen die alleinerziehende Astrid und ihre beiden Kinder Phillip und Flo. Phillip taucht zu Beginn des Films wieder auf, nachdem er offenbar mehrere Tage verschwunden war. In der Schule droht ihm der Ausschluss, Astrid macht sich für ihren heranwachsenden Sohn stark. Bis plötzlich das enge Verhältnis zwischen Astrid und ihren Kindern kippt. Verstört verfolgt man, wie sie ihre Kinder grundlos zusammenstaucht und aus der Wohnung schmeißt.

Diese verwirrte Mutter wird stark von Maren Eggert gespielt. Hinter ihrer verschlossenen Miene ahnt man, wie sie permanent von ihren Gefühlen überwältigt wird. In einem zentralen Dialog mit einem jungen Regisseur, der sich mit einem Film für eine Gastprofessur in Berlin beworben hat, geht es um die Frage nach Wahrheit oder Lüge des Schauspiels. In dem Film werden Sterbenskranke mit Schauspielern konfrontiert und Astrid wirft dem Filmemacher vor, er würde der existenziellen Situation der Sterbenskranken mit diesem Schauspiel nicht gerecht werden. Sie begründet das damit, dass ihr Mann vor Jahren einer schweren Krankheit erlegen sei und es daher wisse. Ihr Gegenüber erwidert, dass das »ihre eigene Wahrheit« sei.

Angela Schalenec: Ich war zuhause, aber | © Nachmittagfilm
Angela Schalenec: Ich war zuhause, aber | © Nachmittagfilm

Diese Replik reicht über die bloße Filmhandlung hinaus. »Ich war zuhause, aber…« ist eine Selbstbefragung der Regisseurin, wie überhaupt der gesamte Film eng mit ihrem Leben und Werk verbunden ist. Das zentrale Thema ist dem eigenen Leben abgerungen. Schanelecs Lebensgefährte, der Theaterregisseur Jürgen Gosch, starb 2009 nach schwerer Krankheit. Mit ihm hat sie zwei Kinder, gemeinsam übersetzten sie jahrelang Shakespeare ins Deutsche. Das erklärt dann auch, warum im Film immer wieder Szenen von Schülern, die Hamlet inszenieren, eingebunden werden.

Der Tod von Astrids Ehemann im Film ist ganz offensichtlich das auslösende Ereignis für die innere Konfusion und Verlorenheit von Astrid und ihren Kindern. Es ist das Trauma, was deren Existenz hat implodieren lassen. In sehr lose verbundenen Fragmenten versucht Schanelec diesem in Scherben liegenden Leben ein Bild zu geben. Astrid kauft ein defektes Fahrrad und versucht es zurückzugeben, ihre Tochter nimmt Tennisstunden bei Astrids Lover, Phillip muss ins Krankenhaus. Aus diesen Puzzlestücken entsteht ein Alltag, der normal wirkt und in dem doch nichts stimmt.

Angela Schalenec: Ich war zuhause, aber | © Nachmittagfilm
Angela Schalenec: Ich war zuhause, aber | © Nachmittagfilm

Das Trauma des Verlusts greift in diesem Film auch auf die Sprache über. Es gibt keinen einzigen natürlichen Sprechakt, jeder Satz sperrt sich gegen den Sprachfluss. Das gipfelt in der Begegnung von Astrid mit einem Mann, der sich nur mit einem Verstärker äußern kann. Und wenn sich die Sätze nicht sperren, macht sich eine enervierende Sprachlosigkeit breit – und sei es in Naturbildern.

So ist die Atmosphäre dieses Films von der ersten bis zur letzten Szene unwahrscheinlich inszeniert. Der Film sperrt sich einem einfachen Zugang, alles ist gestellt und verrätselt. Entsprechend unterschiedlich waren die Reaktionen am Premierentag. Ablehnung und Zustimmung hielten sich – auch unter Kritikern – die Waage.

Sicher gibt Schalenec in der fragmentierten Form dem aus den Gleisen geratenen Leben ihrer Hauptfigur und ihre tastende Suche in der Zwischenwelt von Abschied und Neuanfang eine interessante und auch irgendwie passende Form. Ob diese allerdings im Wettbewerb richtig aufgehoben ist, muss man fragen. Dieses formalisierte Kino versteht zu irritieren, zu unterhalten versteht es nicht.

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