Film

80 Mal Charlie Chaplin

Erstmals ist eine Gesamtschau der Filme des großen Charlie Chaplin im Kino zu sehen. Bis zum 7. August zeigt das Berliner Kino Babylon 80 Filme in einer Retrospektive.

»Wer ist der Mann, den beinahe jeder kennt, aber dessen Filme nur wenige gesehen haben?« Diese Frage stellen Timothy Grossman und Friedemann Beyer in ihrem Vorwort zur großen Charlie Chaplin Retrospektive, die aktuell im Berliner Kino Babylon zu sehen ist. Unter dem Motto 80 Filme in 24 Tagen zeigt das Filmhaus CHAPLIN COMPLETE.

Antworten auf ihre Frage sollen sich die Zuschauer sehend und staunend selbst bilden. Man wird sie insbesondere in den vielen Kurzfilmen und hinter die Kulissen blickenden Sonderveranstaltungen finden, die im Traditionskino stattfinden. Etwa wenn der Pianist und Chaplin-Experte Neil Brand mit dem Dirigenten und Kenner von Chaplins Kompositionen, Timothy Brock, die Mitschnitte von Seancen Chaplins mit seinen Arrangeuren, die sogenannten Chaplin Tapes präsentiert.

Man muss kein Liebhaber des britischen Komikers oder Chaplin-Experte sein, um sich in dieser Retrospektive wohl zu fühlen. Chaplin-Neulinge können mit seinen Kassenschlagern Der Große Diktator, Goldrausch oder Moderne Zeiten den wohl größten Künstler des Stummfilms ebenso kennenlernen, wie Kenner neue Seiten Chaplins entdecken können. Zu den Besonderheiten dieser Gesamtschau gehört zweifelsohne, dass insgesamt zehnmal die alten Zeiten des Stummfilms ohne Abstriche wieder aufleben dürfen und Chaplins Stummfilme mit Live-Musik aufgeführt werden.

Chaplin ist der erste Schauspieler, der ein Millionenpublikum seine Fans nennen kann. Selbst in den schlimmsten politischen Umständen ist es ihm gelungen, die Menschen zum Lachen zu bringen, ohne dabei Haltung zu verlieren oder gar ins niveaulose abzudriften.

Wie sehr ihm dabei selbst zum Lachen zumute war, darüber streiten sich die Kunsthistoriker und Psychologen. Die Psychologin Alice Miller, die Kindheitserfahrungen als elementar für erwachsenes Verhalten ansieht, mutmaßt in ihrer Untersuchung Der gemiedene Schlüssel, das Chaplins frühe und unfreiwillige Bühnenerfahrung als Pausenclown dazu geführt habe, dass er zwar im Gesicht ein Lächeln getragen habe, dieses jedoch nie mit einem Glücksgefühl, sondern vielmehr mit einer tiefen Depression verbunden gewesen sei.

In The Tramp verarbeitete Chaplin einige dieser Kindheitserfahrungen. Bis zu welchem Grad der Film eine Kindheitsbiografie ist, lässt sich schwer vermuten. Seine Tochter Geraldine Chaplin aber vermutet dies im Interview mit der Zeit:

Mit Sicherheit hat seine berühmteste Filmfigur The Tramp mit dieser Kindheit zu tun. Ein völlig mittelloser Vagabund, der dennoch Würde und Manieren hat. Für mich war diese Figur immer eine Art verklärte Kindheitserzählung meines Vaters: die Verkörperung eines Humanismus, der sich nicht kleinkriegen lässt. Ein Mann, der immer wieder aufsteht. Und der sich einen Sinn für Schönheit und Romantik bewahrt.

Chaplin hat die Verhältnisse seiner Zeit schonungslos analysiert und kritisiert. Wenn man so will, kann man Chaplin als den clownesken Aufklärer des frühen 20. Jahrhunderts bezeichnen. Auch deshalb geriet er in den Fokus der Nationalsozialisten und Faschisten in Deutschland und Europa. Sie beschimpften ihn als Juden – aus Solidarität gegenüber den verfolgten Juden Europas widerlegte er diese Falschbehauptung nie. Der große Diktator, diese clowneske Persiflage auf Adolf Hitler, hat wohl auch hier ihre Wurzeln.

Allein einzelne Szenen aus seinen Filmen sind zu Bildikonen der Filmgeschichte geworden – sei es der zwischen die Räder der Industrialisierung gekommene Charlie Chaplin (Moderne Zeiten) oder der wahnsinnige Goldgräber (Goldrausch), der Dompteur (Der Zirkus) oder der Boxer (Lichter der Großstadt). Die Quellen dieser Ikonen sind nun erstmalig im Ensemble zu sehen. Welch großes Glück!

Tickets im Babylon und an vielen Vorverkaufskassen (Babylonkasse tgl. ab 17:00 Uhr und ab 30 Minuten vor der ersten Vorstellung)

2 Kommentare

  1. […] den scharfsinnigsten Humor gebiert, spiegeln auch die Schicksale von berühmten Witzfiguren. Charlie Chaplin etwa war tief deprimiert, verbarg hinter der Fassade seines Slapsticks das Trauma seiner schwer belasteten […]

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