Zeitgeist

NETZpolitik ist vor allem netzPOLITIK

Deutschlands einflussreichster Blogger und Internetpunk Sascha Lobo las auf der re:publica 13 der anwesenden Internetgemeinde die Leviten. Er forderte die Netzaktivisten und Webfreaks auf, die Politik wieder ernster zu nehmen und sich das Internet zurückzuerobern.

Sauer sei er, sogar richtiggehend wütend, gestand Internetpapst Sascha Lobo, der noch vor dem Medienjournalisten und Profiblogger Stefan Niggemeier der wohl einflussreichste deutsche Webexperte ist. Gründe für seinen Unmut gibt es viele. Sie heißen Vorratsdatenspeicherung und Bestandsdatenauskunft, Leistungsschutzrecht und Urheberschutz, Bundestrojaner und Funkzellenabfrage, Bandbreitenblamage und Drosselkom; kurz: »Keine Netzneutralität«.

Diese Initiativen sind Tiefschläge der Merkel-Regierung in den Magen der Netzgemeinde, die Lobo als »Hobbylobby für das freie, offene und sichere Internet« bezeichnet. Noch vor wenigen Jahren hatte er sich von dieser Gemeinde, die derzeit ihr alljährliches Klassentreffen namens re:publica in Berlin zelebriert, distanziert. Inzwischen sieht er sich mehr an ihrer Seite, aber die Distanz zwischen dem Papst und seiner Gemeinde ist auch am Montagabend spürbar.

Diese Hobbylobby hat er in seinem nachdenklichen einstündigen Überraschungsvortrag mit »Wut und Pathos« wachgerüttelt. Wut und Pathos sind auch die Eigenschaften, die Lobo von den Netzaktivisten einfordert. Denn in ihrer selbstverliebten Pose der unangefochtenen Experten habe die Netzgemeinde versäumt, politisch aktiv zu bleiben. »Wenn wir nicht hundertprozentig alles so bekommen, wie wir wollen, flippen wir aus.« Politisch betrachtet sei das ziemlich dumm, gab er zu bedenken.

Politisch? Aber natürlich. Denn schließlich sei NETZpolitik vor allem netzPOLITIK, so Lobo. Und da diese Politik in den vergangenen Jahren von einer gewissen Angela Merkel bestimmt worden sei und er – trotz aller Sympathien für Rot-Grün – Bedenken habe, dass vielleicht doch »jemand anders als Peer Steinbrück Bundeskanzlerin werden« könnte, müsse die Netzgemeinde zur Durchsetzung ihrer Anliegen eine recht entscheidende Frage über jedes Thema stellen, die da lautet: »Was würde Merkel überzeugen?« Das wäre zumindest eine Möglichkeit, den Dilemmata der Netzgemeinde und seiner Wut beizukommen.

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Aber da es vermutlich nur wenige Argumente gibt, die sowohl die Netzgemeinde als auch Merkel überzeugen würden, zeigt Lobo eine zweite Lösungsmöglichkeit auf. Laut und unmissverständlich ruft er in die Weiten der größten Veranstaltungshalle die Netzaktivisten auf, sich das Netz zurückzuerobern aus den Klauen der Konzerne, Internetgiganten und Regierungsorganisationen. »Reclaim Social Media« nennt er diese Kampagne.

Dazu gehört auch ein eigenes Internetlogo, das die Botschaft des World Wide Web unabhängig von Konzernen und Programmgiganten transportiert. Sein Vorschlag ist simpel: Klammer auf – Raute – Kammer zu, visualisiert also (#). Die Klammern deuten den Globus an, die Raute das Netz, das über ihm liegt. Ja, so irrsinnig einfach kann Internetkreativität aussehen. Und zugleich so lachhaft. Lobos Symbolentwurf wird zum Running Gag auf der diesjährigen re:publica.

Der zweite Teil der Lobo-Kampagne besteht in der Stärkung des Blogs gegenüber der zersplitterten Welt der Social Media. Schluss mit der Clusterhaften Verteilung der Netzaktivitäten, fordert Lobo. Auf den Blogs könnten diese wider zusammengeführt und vor allem gespeichert werden, so dass die gestreuten und verfassten Informationen selbst bei einem Ende von Facebook, Twitter und Youtube in den Blogs erhalten bleiben.

Darin bestünde auch eine mögliche Strategie gegen die Eingriffe der Social-Media-Konzerne in die Profile ihrer User im Namen autoritärer Staaten. Denn wenn die dortigen Profile gesperrt werden, dann werden die User eben auf den eigenen Blog gelenkt. Die Macht der Konzerne würde schwinden.

Die Hobbylobby muss raus aus der Bedienmentalität, sich selbst ernster nehmen und selbst wieder zu Machern werden. Der eigene Blog wird dann zum politischen Mittel gegen diejenigen, die netzPOLITIKER zu NETZpolitikern abstempeln wollen.

Das Netz und damit auch das eigene Leben zurückholen, dies ist die zentrale Botschaft, die Lobo in diesem Jahr der Netzgemeinde entgegenbringt. Statt der selbstgefälligen Pflege des Insiderhabitus forderte er passend zum Motto der Internetkonferenz (»In/Side/Out«) Aktivitäten, die über den eigenen Laptoprand hinausgehen, die in die Gesellschaft hineinwirken.

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