Geschichte, Literatur, Sachbuch

Briefe zwischen Lamento und Weltdeutung

»Deutschland ist tot. Für uns ist es tot. … Es ist ein Traum gewesen. Sehen Sie es endlich, bitte!«, beschwört Joseph Roth 1933 seinen Freund und Unterstützer Stefan Zweig in einem Brief. Der Briefwechsel der beiden Autoren zeigt, wie sich die Folgen der Machtergreifung der Nationalsozialisten zunehmend zwischen beider Leben stellen.

Es gibt nur wenige Schriftsteller, deren Werk derart mit der europäischen Kultur- und Menschheitsgeschichte verwoben ist, wie das des österreichischen Humanisten Stefan Zweig. Kaum ein Werk macht dies deutlicher, als sein am Lebensende entstandener, autobiografischer Rückblick Die Welt von gestern. Darin stellte er sein Werden und Wachsen ganz unbescheiden in den Weltzusammenhang, indem er seine Wiener Kindheit als eine Zeit der Kaffeehauskultur und des Zeitungsstudiums beschrieb. Er beschreibt seine Adoleszenz als sein persönliches Studium der internationalen Weltdeutung, ebenso im politisch-historischen Kontext wie in Bezug auf die literarischen, künstlerischen und musischen Verarbeitungen der Wirklichkeit. Dieses Studium ist der Ausgangspunkt seines eigenen literarischen Schaffens, in dem er stets den Versuch unternahm, die Welt und ihre Wirklichkeit fern aller überirdischen Bezüge zu lesen und zu verstehen.

Stefan Zweig stammt aus einer nichtreligiösen jüdischen Kaufmannsfamilie. Seine ersten literarischen Entdeckungen machte er bei der Lektüre der großen französischen Lyriker Baudelaire und Verlaines. Rainer Maria Rilke und Romain Rolland prägten die Jugend und die ersten Berufsjahre des Österreichers. Prägend waren aber auch seine Erfahrungen im Kriegsdienst, die ihn dazu brachten, sich im »Kampf gegen den Verrat der Vernunft an die aktuelle Massenleidenschaft« zu engagieren. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ging Zweig nach Österreich und engagierte sich gegen die nationalen, rückwärtsgewandten Tendenzen in der Gesellschaft, die noch den Geist der Österreich-Ungarischen Monarchie atmete. Bis 1933 lebte er mit der Schriftstellerin Friederike von Winternitz in Salzburg und war als Autor und Journalist tätig. In dieser Zeit entstanden auch die noch heute gelesenen Sternstunden der Menschheit, 14 historische Blitzlichter, die auf Ereignisse eingehen, die den Weltlauf beeinflusst haben, darunter Ciceros Bemühungen um die Wiederherstellung der Demokratie nach der Ermordung Cäsars, die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen, die Komposition der Marseillaise als Schlachtlied der Revolution, Robert Scotts gescheiterte Südpol-Expedition, die Rückkehr Lenins nach Russland oder Woodrow Wilsons Scheitern bei den Friedensverhandlungen von Versailles.

Stefan Zweigs schriftstellerische Hinterlassenschaft ist derart lebendig und zugleich hochliterarisch, dass sie uns in einer längst vergessenen Sprache, die unseren Ohren schmeichelt, Welten vor Augen führt, die wir selbst nicht kennen. Beim Lesen findet man sich inmitten dieser Welten wieder, wird Teil von ihnen und kann gerade deshalb in ihnen versinken.

In seinen Salzburger Jahren begann der Briefwechsel mit dem jüdischstämmigen, dem Katholizismus zugeneigten Schriftsteller Joseph Roth, der nun in einer rekonstruierten, jedoch immer noch nicht vollständigen Fassung vorliegt. Unter dem Titel Jede Freundschaft mit mir ist verderblich liegen nun 184 Briefe und Postkarten von Roth an Zweig sowie 45 briefliche Sendungen von Zweig an Roth vor. Aufgrund des Übergewichts der Rothschen Schriftstücke in dieser Ausgabe – Joseph Roth besaß im Gegensatz zu Stefan Zweig fast nie eine feste Wohnung, so dass viele Schriftstücke aus seinem Besitz verloren gegangen sind – kann die Korrespondenz beider nur begrenzt als Briefwechsel bezeichnet werden. Zwar versucht ein wissenschaftlicher Kommentar die Lücken zu schließen, doch der briefliche Wechsel wird nicht kompletter durch das Hinzufügen der Sachdaten. So eignet sich dieser band durchaus hervorragend für wissenschaftliche Zwecke, für ein Dokument des brieflichen Austauschs mit literarischem Anspruch reicht dies jedoch nicht aus.

Cover
Joseph Roth & Stefan Zweig. »Jede Freundschaft mit mir ist verderblich«. Briefwechsel 1927-1938. Herausgegeben von Madeleine Rietra und Rainer-Joachim Siegel. Mit einem Nachwort von Heinz Lunzer. Wallstein-Verlag 2011. 624 Seiten. 39,90 Euro. Hier bestellen

Im Mittelpunkt stehen die zunehmenden Schwierigkeiten, in die jüdischstämmige Autoren infolge der ganz Europa ergreifenden Nationalisierung und des weit verbreiteten Antisemitismus geraten konnten. Zum Leidwesen der Edition stehen dabei vorrangig die Schwierigkeiten Joseph Roths im Vordergrund, der, obwohl mit für damalige Verhältnisse respektablen finanziellen Mitteln ausgestattet, aufgrund seines Lebenswandels und Alkoholismus permanent über finanzielle Schwierigkeiten klagt und Zweig immer wieder theatralisch um finanzielle Zuwendungen bittet. »Ich bitte Sie, ich bitte Sie, retten Sie mich, ich gehe bestimmt unter, ich kann nicht mehr mit Haut und Haaren und allen Rechten verkauft sein, ich kann nicht mehr Nacht für Nacht mit wahnsinniger Angst vor dem Morgen, vor dem Wirt, vor der Post aufwachen, glauben Sie doch nicht, wenn Sie mir begegnen, dass ich so lebe, wie ich mich zeige, es ist schrecklich, schrecklich, mein Leben.«

Über weite Teile des Briefwechsels zieht sich dieses Lamentieren über unglückliche Vertragsverhandlungen, skrupellose Verleger, knausrige Literaturagenten und die Ungerechtigkeit einer Welt gegenüber einem Autor, dessen Bedeutung verkannt wird, hin. Wenngleich sich die Verhältnisse für jüdischstämmige Autoren drastisch verschlechterten, sowohl in als auch außerhalb Deutschlands, scheinen bei Roth immer wieder die Maßstäbe und Bezüge zur Realität verloren gegangen. Das Beklagen seiner Situation erscheint im Vergleich zur Situation vieler anderer wie ein Jammern auf hohem Niveau. Dies in dieser Dichte zu lesen ist ebenso mühsam wie ermüdend.

Es lohnt sich dennoch, durchzuhalten, denn wie die beiden Autoren in ihren Briefen blitzlichtartig das Heraufziehen des europäischen Nationalismus beschreiben, ist bemerkenswert. So schreibt Roth 1930 an Zweig: »Sie haben Recht, Europa begeht Selbstmord, und die langsame und grausame Art dieses Selbstmordes kommt daher, dass es eine Leiche ist, die Selbstmord begeht.« Kurz nach Hitlers Ernennung zum Reichkanzler schrieb Roth an seinen Dichterfreund: »Inzwischen wird es ihnen klar sein, dass wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten – unsere literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet – führt das Ganze zum neuen Krieg. … Es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen.« 1937 schreibt Zweig aus dem Londoner Exil an Roth »Der Verwesungsgeruch Europas steckt uns allen in der Nase.« Er meinte damit vor allem den Verwesungsgeruch Österreich-Ungarns. Aus heutiger Sicht lesen sich diese Zeilen, als würde er den schwärenden Geruch der Krematorien schon vorausahnen.

Diese Zeilen machen deutlich, warum es sich noch heute, siebzig Jahre nach seinem Tod, lohnt, den Europäer Stefan Zweig zu lesen. Man sollte aber vor allem auch auf Werke wie Sternstunden der Menschheit, Die Schachnovelle oder auf Die Welt von gestern zurückgreifen, aus denen Stefan Zweigs offene Weltsicht und feines Gespür für eine europäische Geisteslage spricht, und nicht nur auf diesen Briefwechsel vertrauen, der bei den persönlichen Einblicken verharrt und sich nicht auf das Niveau eines Überblicks hinaufschwingen kann.

Diese Korrespondenz ist zweifellos das Dokument der persönlichen Tragödie Joseph Roths und als solches durchaus bewegend, aber als historischer Beleg der historischen Ereignisse – der europäischen Tragödie im Hintergrund – gereicht dieser lückenhafte Briefwechsel leider nicht. Der politische Austausch zweier Intellektueller über die Lage Europas, für das man diese Korrespondenz fälschlicherweise auch halten könnte, kommt leider zu kurz.

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