Klassiker, Literatur

Ein x-dimensionaler Gesang aus fernen Welten

Eva Hesse hat sich über ein halbes Jahrhundert mit Ezra Pound und seinem Werk auseinandergesetzt und legt nun erstmals eine deutsche Gesamtausgabe seiner »Cantos« vor, die der schwingenden Musikalität der Poundschen Verse gerecht wird.

»Ein ungehobelter Dickkopf, der gern auf Gefühlen anderer Menschen herumtrampelt. Trotzdem besitzt er Genie und viel guten Willen.« Diese Beschreibung des irischen Dichters William Butler Yeats galt Ezra Pound, dem größten amerikanischen Lyriker der Moderne, der an seinem Lebensabend als Geisteskranker in einer amerikanischen Irrenanstalt landete. Truman Capote, selbst ein Exzentriker der Moderne, merkte dazu beschwichtigend an, dass es nichts Besonderes sei, in einer Irrenanstalt zu enden, wenn man in Amerika lebe.

Pound ist einer der am meisten bekannten und der am wenigsten gelesenen Lyriker seiner Zeit. Seine begeisterte Hinwendung zum italienischen Faschismus in den 1930er Jahren, sein glühender Antisemitismus und sein Jähzorn haben es vielen vergällt, zu seinem Werk zu greifen oder sich mit ihm zu befassen. Stattdessen las man lieber James Joyce oder T. S. Eliot, zu deren größten Förderern Pound zählt. Eliots Langgedicht Das öde Land redigierte Pound höchstpersönlich, für James Joyce Jahrhundertroman Ulysses machte er sich auf die Suche nach Sponsoren.

Als Vorbild für Pounds nun erstmals vollständig in deutscher Fassung vorliegendes Langpoem Die Cantos, dass Marianne Moore treffenderweise als »das Epos von den intellektuellen Geschicken eines Literaten« bezeichnete, dienten antike Klassiker wie Homers Odyssee, Schätze des Mittelalters wie Dante Alighieris Göttliche Komödie und die Reflektion der antiken Klassiker in der Renaissance, wie etwa die wiederentdeckten Verse der griechischen Lyrikerin Sappho. Aber auch die Kultur der romanischen Troubadoure, der Sound ihres Erzählgesangs, hatte es ihm angetan. Zugleich tauschte er sich angeregt und energisch mit seinen dichtenden Zeitgenossen aus. Alles zusammengenommen sollte dazu beitragen, eine neue Form der Lyrik zu finden, die mit der üblichen Poesie abschloss und zu einer konkreteren, handlicheren und sinnlicheren Form finden würde. In der Verwendung chinesischer Schriftzeichen, die als Symbole für bestimmte Vorgänge und Ereignisse für sich stünden und sich jeder Interpretation entzögen, sah Pound diese Unmittelbarkeit der Sprache verwirklicht – was erklärt, warum er sie in seinem Versepos verwendete.

Die Cantos sind ein unermesslicher, x-dimensionaler Sprachirrgarten, in dem man die verrücktesten Aphorismen neben den normalsten Feststellungen, die höchsten Töne in [sic!] den tiefsten Tiefen, die größten Gemeinplätze in den kleinsten Details und die abgründigsten Haltungen neben den edelsten Positionen finden kann. »Ins Unmaß verfallen kann jeder, Übers Ziel zu schießen ist leicht, Schwer, unentwegt in der Mitte zu stehn.« Auch Ezra Pound war dazu nicht in der Lage.

9783716026540
Ezra Pound: Die Cantos. Zweisprachige Erstausgabe. Aus dem Englischen von Eva Hesse. Arche Verlag 2012. 1.500 Seiten. 98,- Euro. Hier bestellen

Die Dimensionen von Zeit und Raum sind hier völlig aufgehoben, werden zu Nicht-Kategorien in einer weltraumhaften Sprachsphäre, in der sich die menschlichen Gesänge mit den fremden Lauten von unbekannten Wesen aus fernen Galaxien vermengen. Die ästhetischen Qualitäten von Pounds Cantos führen dazu, dass sich sein Werk bis heute einer glühenden Anhängerschaft erfreut – und in Mark Z. Danielewski wahrscheinlich den einzigen Schriftsteller weltweit, der annähernd in der Lage ist, diesen überbordenden Ästhetizismus sinnbildend nachzuahmen.

Diesem Wust musikalischer, grenzüberschreitender, direktsprachiger und vielsprachlicher, assoziativer Stofflichkeit Herr zu werden, hat Eva Hesse über ein halbes Jahrhundert Auseinandersetzung mit Werk und Dichter gekostet. Ein Wahnsinn, der sie in die Lage versetzt hat, der schwingenden Musikalität der Poundschen Verse nachzuspüren und ein Gefühl für den Sound von Pounds Epos zu bekommen. Dies hat sie in die Lage versetzt, sein Werk ebenso assoziativ übersetzen zu können, wie er es selbst assoziativ geschrieben hat. Die zweisprachige Ausgabe bietet den interessierten Lesern die Möglichkeit, Pounds originale Zeilen direkt mit Hesses Übersetzung zu vergleichen.

Gemeinsam mit den beiden herausgebenden Anglisten Manfred Pfister und Heinz Ickstatt ist es ihr erstmals gelungen, eine vollständig übersetzte und kommentierte deutsche Ausgabe der Cantos vorzulegen, wofür sie völlig zu Recht mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in diesem Frühjahr belohnt wurde. Dass dieses grandiose Werk von der Stiftung Buchkunst auch noch als eines der schönsten deutschen Bücher aufgeführt wird, macht deutlich, welchen literarischen und verlegerischen Schatz man hier in den Händen hält.

Es ist nun auch einem deutschen Publikum möglich, den umstrittenen Menschen Ezra Pound neben den grandiosen Lyriker zu legen und die Frage nach der Unschuld der Kunst zu stellen. Was darf Kunst und was muss Kunst dürfen, sind noch die harmloseren Fragen, die es dann zu stellen gilt. Die viel entscheidendere ist die, ob Kunst für sich steht oder für ihren Künstler – und damit in Sippenhaft genommen werden könnte.

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