Fotografie

Weiblich, sinnlich, selbstbewusst

Die »Fräulein«-Fotografien von Ellen von Unwerth erinnern an die Ästhetik Helmut Newtons. Allerdings nimmt seine Schülerin den starken Persönlichkeiten auf ihren Bildern die verordnete Strenge und gibt ihnen eine sinnliche Verspieltheit zurück.

Claudia Schiffer, Nadja Auermann, Heidi Klum, Carla Bruni, Naomi Campbell, Eva Mendes, Kate Moss, Drew Barrymore, Dita Von Teese, Lindsay Lohan, Vanessa Paradies, Monica Bellucci, Christina Aguilera, Gwen Stefanie, Beoncé oder Britney Spears. Sie alle standen vor der Kamera einer deutschen Ausnahmefotografin, die sie für ihre sexy Inszenierungen verehren. Vor etwa zwanzig Jahren hat das deutsche Topmodel Ellen von Unwerth den Platz vor der Kamera mit dem hinter der Kamera getauscht. Seither beeindruckt sie durch ihre eindringlichen und starken Bilder aus einem femininen Reich der Träume, in dem sich das Pendel der Fantasie zwischen Mode und Fetisch hin und her bewegt.

Ellen von Unwerth hat geschafft, wovon viele Träumen. Ihr ist der Aufstieg aus einem Kinderheim bis in die Spitze der Modewelt gelungen. Ihr adliger Name täuscht über eine Kindheitsgeschichte hinweg, die von dem frühen Verlust beider Eltern und einem Leben zwischen Waisenhäusern und Pflegeeltern geprägt war. Dennoch verbindet die Fotografin ihre Kindheit mit schönen Erinnerungen. Ihre unbeschwerteste Zeit erlebte sie nach der Schule. Mit fünf Freunden zog sie in ein altes Bauernhaus und lebte dort in einer Art »Hippie-Kommune», wie sie es selbst nennt. Per Anhalter reiste sie quer durch Europa, ohne Geld in den Taschen, aber mit der Freiheit, zu tun und zu lassen, wonach sie Lust verspürte. »Es war eine fantastische Zeit, vielleicht die beste überhaupt. Frei und ohne Sorgen.«

Diese Sorglosigkeit und Lebensfreude hat sie sich ihr Leben lang bewahrt. Diese Verspieltheit ist in jedem ihrer Bilder spürbar, die sie in einem fast 500 Seiten umfassenden Wunderwerk namens Fräulein vorlegt. Hemmungslos spielt sie darin mit einer solchen Vielzahl erotischer Fantasien, dass es schwer fällt, diejenigen zu benennen, die sie vergessen haben könnte. Zugleich vollzieht sie mit ihren Bildern eine Zeitreise, die den Betrachter mit Seide, Spitze, Lack und Leder sowie viel nackter Haut vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart geleitet. Eine Reise durch die moderne Erotik und Emanzipation der Frau. Dass dabei Bewegungen wie die Burlesque oder das Cabaret, die sich alle in der jüngsten Vergangenheit einem unerwarteten Revivrement erfreuen, nicht fehlen dürfen, versteht sich von selbst.

Es ist aber auch Unwerths Neigung zur Inszenierung und Maskerade, die diese erotisch aufgeladenen gesellschaftlichen Strömungen stark in den Vordergrund rücken. Von der Inszenierung und Bühnenshow des Theaters und der Komödie fühlt sie sich angezogen, seit sie im Münchener Zirkus Roncalli als Nummerngirl und Assistentin des Messerwerfers tätig war. Dort erlebte sie das ständige Spiel mit der Illusion als alltägliches Amüsement zwischen Artisten und Publikum. Diese Liebe zum Spektakel verlor sie auch nicht während ihrer Tätigkeit als Model, trotz der in diesem Metier herrschenden Pflicht zur Disziplin. Für die Pariser Agentur Elite war sie lange Jahre als Top-Model unterwegs. Personen wie Helmut Newton oder Guy Bourdin, die bis heute zu ihren fotografischen Vorbildern gehören, machten Fotos mit Ellen von Unwerth, die als erstes international erfolgreiches deutsches Topmodel bezeichnet werden kann.

Doch als Model fand sie keine Erfüllung. Statt vor der Kamera in eiserner Disziplin auszuharren, spürte sie eher den Drang, sich zu bewegen und zu inszenieren – zum Leidwesen der Fotografen. Endgültig vorbei war ihre Modelkarriere jedoch erst, als sie begann, selbst den renommiertesten Fotografen Ratschläge zu Belichtungszeiten und Perspektiven zu geben. Zu diesem Zeitpunkt, Ende der 1980er Jahre, hatte sie sich jedoch längst schon selbst einen Namen als Fotografin gemacht. Sie hatte bereits befreundete Models, stark geschminkt und in ungewöhnlichen Rollen inszeniert, fotografiert und so auf sich aufmerksam gemacht.

Der Durchbruch als Fotografin gelang ihr 1989 mit der Kampagne für das Modehaus Guess. Bei diesen Aufnahmen entdeckte sie ein Model, das die 1990er Jahre wie kein zweites prägen sollte, Claudia Schiffer. Unwerth fotografierte das deutsche Fräuleinwunder noch etliche Male für die renommiertesten Modemagazine weltweit. Claudia Schiffer sollte nicht das einzige Topmodel bleiben, das zuerst für Ellen von Unwerth posierte, bevor es eine Weltkarriere startete. Auch Nadja Auermann und Eva Herzigová gehören zu ihren Entdeckungen.

Unabhängig davon, ob Ellen von Unwerth bereits bekannte oder völlig unbekannte Models vor ihrer Kamera hatte, setzte sie mit ihrer Fotografie in gewisser Weise die Ästhetik und den Stil ihres großen Vorbilds und Altmeisters Helmut Newton fort. Allerdings nimmt sie bei ihrer Arbeit eine deutlich weiblichere Perspektive ein. In ihren Bildern fängt sie vorrangig charakterstarke charismatische Frauen ein. Allesamt Personen, die von ihrer Weiblichkeit und Sexualität nicht nur überzeugt, sondern sich auch nicht zu fein sind, diese zugunsten des eigenen Vergnügens anzuwenden. Während Newtons Frauen ihre Sexualität wie eine Waffe vor sich hertragen, greifen Unwerths Models zum eigenen Amüsement und Vergnügen auf ihre Sinnlichkeit zurück. Die Inszenierungen überschreiten niemals die Grenze zum billigen Spiel mit der Lust. Die Frauen auf den Bildern sind unabhängig, frech und frei, sie sprühen vor Ausstrahlung und Witz, und überwinden spielend die Grenze zwischen frivoler Neckerei und unwiderstehlicher Erotik. Für Unwerth gibt es für Persönlichkeiten wie diese nur eine treffende Bezeichnung: Fräulein. Den Fräuleins, denen Sie in den letzten 15 Jahren begegnet ist und denen sie mit ihren Bildern ein Denkmal gesetzt hat, widmet sie nun ihr sechstes Buch.

Jede der darin enthaltenen Fotografien erzählt ikonisch die Geschichte einer Phantasie. In ihren Bildern spielt Unwerth mit einem Mix aus Klischees, romantischen Idealisierungen und erotischen Überhöhungen. Das Repertoire reicht von Verführung bis zur Provokation. Zärtlichkeiten unter Frauen spielen eine ebenso große Rolle wie Annäherungen zwischen Mann und Frau. Inszenierungen unschuldiger Schulmädchen stehen neben Arrangements der lasziven femme fatale. Unwerth gelingt es, den Vamp aus der Künstlerszene ebenso in Szene zu setzen, wie die verdorbene Adelige. Die Dorfschönheit steht völlig natürlich neben der städtischen Karrierefrau. Zwischen »Heidi, Kitzbühel« und »Bitch, Paris« liegen normalerweise Welten, bei Unwerth sind es nur Nuancen.

Cover
Ellen von Unwerth: Fräulein. Englisch, Deutsch, Französisch. Taschen Verlag 2011. 482 Seiten. 49,99 Euro. Hier bestellen

Die in diesem Band versammelten Fräuleins sind allesamt stolze und selbstbewusste Frauen. Im Gegensatz zu den Frauen auf den Bildern der französischen Fotografin Bettina Rheims erscheinen Unwerths Damen völlig makellos und ohne Schwäche. Sie strahlen geradezu vor Stolz und Perfektion. Die Schule Helmut Newtons wird hier deutlich. Und als sei es ein Zufall, legt Unwerth Jahre nach der Publikation von Newtons Lebenswerk SUMO mit Fräulein ihren bisher großartigsten Bildband vor.

Unwerths Fotografien heben sich allerdings in einem entscheidenden Detail von den Aufnahmen des Altmeisters ab. Während Newtons Models meist in einer riefenstahlähnlichen Strenge verharren, ist es Ellen von Unwerth gelungen, ihren Models bei aller Erotik und Laszivität eine verspielte Leichtigkeit zu lassen. Dies sieht man ihren Bildern an, die daran erinnern, dass sich jeder auch mal gehen lassen und Spaß haben möchte. »Wenn ich losziehe, um zu fotografieren, bin ich ganz enthusiastisch, und ich bin glücklich.« Den Damen auf den Bildern scheint es genauso zu gehen.

Mit der Publikation von Fräulein setzt der TASCHEN-Verlag eine inoffizielle Serie fort, die sich stark für den Titel »Das erotischste Buch des Jahres« bewirbt. So hatte auch der Prachtfoliant Olga der französischen Fotografin Bettina Rheims diesen Titel mehr als verdient. Ellen von Unwerths Fräulein ist zweifelsohne eine weitere aussichtsreiche Veröffentlichung, die diesen Titel verdient hätte.

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