Literatur, Roman

»… und die Traurigkeit vergisst uns einen Augenblick lang«

Esther Kinskys Roman »Banatsko« ist eine Hommage an eine aus der Zeit gefallenen Region am Rande Europas. Die Melancholie des Banat wird hier in eine Literatur voller Schönheit und Poesie übersetzt.

Herta Müllers Name muss im Kontext literarischer Verarbeitungen der Region, die ohne ihr Schaffen wohl längst vergessen wäre, fallen. Daher soll er gleich zu Beginn genannt sein, um dann den Blick auf eine Autorin freizugeben, die nicht den Schatten von Herta Müller fürchten muss.

Mit ihren 1982 zuerst in Bukarest und 1984 in Deutschland erschienenen Niederungen wurde nicht nur Herta Müller schlagartig berühmt, sondern auch das Banat, ein bis dahin »weißgrauer Fleck auf der Landkarte«, wie Friedrich Christian Delius damals im Spiegel schrieb. Spricht man heute vom Banat, sind Müllers Beschreibungen dieser Region sofort präsent. Sie werfen einen langen Schatten auf die große europäische Literatur des 20. Jahrhunderts, die ebenso politisch wie literarisch war.

Esther Kinsky hat sich von diesem Schatten nicht irritieren lassen. Sie hat in der literarischen Verarbeitung ihrer Erlebnisse und Beobachtungen einen ganz eigenen, sensiblen Stil gefunden. Denn sie hat sich eingelassen auf diese Region, die Menschen und das Leben im Nichts. Nach 15 Jahren in London verließ sie Anfang 2004 London und zog nach Budapest. An einem Samstag im Sommer desselben Jahres besuchte sie Battonya, ein 7.000 Seelen zählendes Örtchen im Südosten Ungarns. Als sie ankam, war es schwül, ein Gewitter lag in der Luft. Aus einer muffigen Pension heraus ließ sie den Blick über die Landschaft schweifen, als das Gewitter losbrach. Was am nächsten Tag geschah und ihr Leben veränderte, beschreibt Kinsky in dem Essay »Lektion der Leere« folgendermaßen: »Am nächsten Tag, als die unbefestigten Straßen in Schlammwüsten verwandelt sind, finde ich ein Haus, zufällig wie einen Glücksgroschen am Straßenrand oder eine kleine schwarze Katze im Gras. Ein großes altes gelbes Haus, in dem einst eine Serbin lebte, die Tante von Vidiczki Tivadar, der mir das Haus verkaufen will. Wir sprechen Serbisch, weil ich noch kein Ungarisch kann, einigen uns auf einen Kaufpreis, trinken einen Pálinka darauf und ich nenne ihn Tódor bácsi.«

Sechs Monate später bezieht Esther Kinsky das Haus und lässt sich auf ein Leben am Rande es Vergessens ein. Wie sie über Monate und Jahre den Fragen, die sich in einem solchen Leben stellen, nachgeht, wie sie die Herausforderungen dieses scheinbar einfachen Lebens annimmt, ihre Umwelt erobert und erkundet, das Dasein in diesem »Nichtsland« immer wieder abwechselnd verzaubert bestaunt und fassungslos anzweifelt, dies kann man in diesem kleinen Bericht lesen. Er ist das Dokument der liebevollen Aneignung eines Landstrichs und seiner Menschen in der Reflexion des eigenen Tuns.

Eine erste Verarbeitung ihres Lebens im Banat legte Kinsky 2009 mit ihrem Roman Sommerfrische vor, 2011 erschien ein zweites Buch als Resultat ihrer jahrelangen Beobachtungen des Banat, der Roman Banatsko. Darin schaut sie dem Banat und seinen Menschen fernab politischer Dimensionen in die Seele. Die wechselvolle Geschichte der im Grenzgebiet von Ungarn, Rumänien und Serbien liegenden Region, »das Kriegsgestöhn der Jahrhunderte« lärmt dabei nicht an der Oberfläche des Romans, sondern dringt aus den Tiefen von Esther Kinskys Beschreibungen an unser Ohr, so wie sie auch tief im Boden dieser Region versickert ist.

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Esther Kinsky: Banatsko. Matthes & Seitz Berlin 2011. 256 Seiten. 19,90 Euro. Hier bestellen

Banatsko ist kein Roman im klassischen Sinne, sondern vielmehr eine Ansammlung von Impressionen, zusammengehalten von dem wilden Reisen der Autorin während ihrer Jahre in der Region. Ortsnamen oder die simple Betitelung »Stadt« geben den meisten Kapiteln ihren Namen. Auch wenn es an einer Roman bildenden Handlung fehlt, tauchen einige Orte und Personen immer wieder auf. Ausgangspunkt der vielen Reisen ist die eigene Nachbarschaft in Battonya. Hierher kehrt die schreibende Erzählerin immer wieder zurück und findet Ruhe, obwohl die permanente Konfrontation mit dem eigenen Fremd-Sein in diesem kargen Landstrich zugleich auch eine permanente Unruhe hervorruft. In Battonya knüpft sie schnell Kontakte zu den dort lebenden Menschen, lässt sich auf die Menschen in der Gegend ein. Die persönlichen Geschichten und Anekdoten in »Banatsko«, wie die des stets hilfsbereiten Attila, der buckligen Geschwister, des Zahnlosen oder von Zoran aus Amerika spielen alle in ihrer Nachbarschaft und bezeugen die sensible Beobachtungsgabe der Autorin. Gleiches gilt für die Naturbeschreibungen der Autorin, die ebenfalls am eindringlichsten sind, wenn sie von der eigenen Fensterbank oder den Treppenstufen vor der Tür des eigenen Hauses erfolgen. Es wird spürbar, dass Kinsky hier irgendwie heimisch geworden ist, ihren Lebensrhythmus wie alle Banater dem natürlichen Zyklus der Natur angepasst hat.

Das auf ihren Reisen Erlebte, Beobachtete oder Gehörte hat Kinsky in formvollendete poetische Sätze gegossen, die die Melancholie eines ganzen Landstrichs in große Literatur übersetzen. Es ist ein liebevoller, fast behütender Blick, mit dem Kinsky für den Leser auf diese Region und ihre Bewohner blickt. »Der Akkordeonspieler verbrachte die Tage damit, die weite Ebene mit den Blicken zu überschweifen und die Träume – nach ihrer Befreiung aus den Ritzen und Falten seines Instruments und dem Einsammeln der unweigerlich beim Musizieren entschlüpften und noch in Reichweite durch die Luft schwebenden Traumfetzchen – ungehindert ihr Spiel um sein Herz und seinen Kopf treiben zu lassen. Das, dachte der Akkordeonspieler, wie er an seinem Fenster saß und in die Stille der Ebene lauschte, das ist das wahre Leben.«

Die Erzählungen der bisher vor allem als Übersetzerin bekannten Kinsky glänzen vor allem durch ihren stimmungsvollen und atmosphärischen Ton. Der Leser fühlt sich eingehüllt vom Nebel über den schwarz-feuchten Feldern des Banat, spürt die kalte Feuchtigkeit des Herbsts in die Glieder fahren, wird davongetragen von dem melancholischen Spiel der Zigeuner und verliert sich in der meeresgleichen Weite dieser namenlosen Landschaft. Vor allem aber gelingt es Kinsky, das Miteinander in den Städtchen und Dörfern des Banat einzufangen, geprägt von einer Einfachheit des Lebens zwischen Abgehängt Sein und Zusammenhalt: »Wir leben in einer traurigen Gegend, erklärte der Wirt, hier am Rande dieser Ebene, deren Ende uns fremd ist. Doch am Abend füllt sich die Kneipe, es wird gesungen, der Musiker spielt auf dem Akkordeon. Man erzählt auch Geschichten, und die Traurigkeit vergisst uns einen Augenblick lang.«

Kinskys Literatur lebt vor allem von einer seltenen Unaufgeregtheit. Spektakuläres sucht man hier vergebens. Sinnentleertes Wortgerassel, unangebrachte Gefühlsduselei und künstliche Syntax als Selbstzweck sind ihr fremd. In klaren Sätzen präsentiert sie all das, was Leben im Banat ausmacht. Ihre Sprache, geprägt vom wohltuenden Rhythmus eines simplen Präteritums und den historisch anmutenden Klängen von Konjunktiv I und Partizip I, wirkt dabei wie aus unserer Zeit gefallen – ebenso wie das Leben in dieser unwägbaren Landschaft, wo der Winter Dächer einsinken und Mauern zusammensacken lässt und Politik weit weg zu sein scheint:

»In einer Gegend wie dieser, wo weder Hügel noch Schluchten in die Landschaft greifen, wo sich keine Wälder vor den Horizont stellen und keine Seen erstrecken, von einem Meer einmal ganz zu schweigen, wo es keine Flüsse gibt, sondern Wasseradern, die so dicht unter der Erde verlaufen, dass sie in regenreichen Zeiten einfach emporquellen und das Land mit einem ebenmäßigen Wasserspiegel überziehen, in einer solchen Gegend also, wo die Erde im Sommer unter der brennenden Sonne über den ausgetrockneten Adern birst und kleine Schlünde bildet, als schickte sich dort ein Gebirge an, da ist die Grenze etwas Merkwürdiges, weil sie so erscheinungslos ist, irgendwo liegt sie dam im Land wie eine sehr lange leblose Schlange und will das Schicksal entscheiden.«

Esther Kinskys Roman entführt den Leser in einen meditativen Raum, der den Alltag vergessen macht. Sie lässt ihn Eintauchen in die empfindsamen Beschreibungen des unspektakulär Offensichtlichen und offensichtlich Unspektakulären. In der Tradition keines Geringeren als Marcel Proust nimmt sie das Alltägliche in den Blick, aus dem dann das Besondere hervorgeht. So schafft sie das liebevolle Panorama einer Region, die am Rande Europas den utopischen Traum eines Lebens fernab der Hektik und Betriebsamkeit wach hält und deren Bewohner den bittersüßen Geschmack des Lebens nur allzu gut kennen.

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