Literatur, Roman

Dem Leben auf der Spur

Mit psychologischer Tiefe und erzählerischer Lust entblättert die Amerikanerin Meg Wolitzer in ihrem Roman »Die Interessanten« das Leben als Möglichkeit, die es zu nutzen gilt.

»Manchmal muss man sich selbst ein wenig austricksen«, heißt es in Meg Wolitzers großem Roman Die Interessanten, in dem die Schicksale der Protagonisten genug Anlass bieten, auf diese Grundregel des Lebens zurückzugreifen. Da ist Julie »Jules« Jacobson, die zwar ehrgeizig genug ist, sich aus der Sozialwohnung ihrer Mutter in bessere Verhältnisse vorzukämpfen, der der ganz große Aufstieg von der Middle- zur Upperclass aber nicht gelingen will.

Umso schlimmer, dass sie bei ihrer besten Freundin Ash Wolf, deren Eltern zur saturierten Gesellschaft New Yorks gehören, fast täglich sieht, wie sorgenfrei das Leben sein könnte. Neid und Selbsthass bleiben für Jules in dieser Freundschaft eine immer wiederkehrende existenzielle Erfahrung. Aber auch Ash wird im Laufe der Jahrzehnte, über die sich dieser Roman erstreckt, mit den Schattenseiten des Lebens konfrontiert. Ihre Ehe mit Ethan Figman ist ein Kartenhaus aus Lügen und falschen Erwartungen, »ein begehbarer Kühlschrank des Wohlstands und der Bedeutung«.

Wirklich glücklich ist auch jener Ethan Figman nicht, obwohl er sich als Produzent des weltweit erfolgreichen Trickfilmepos »Figland« der Ketten entledigt hat, die ihm mit sozialer Herkunft und nachteiligem Aussehen angelegt wurden.

Die Interessanten_Cover
Meg Wollitzer: Die Interessanten. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. Dumont Verlag 2014. 608 Seiten. 22,99 Euro. Hier bestellen

Julie, Ash und Ethan sind der Kern eines verschworenen Freundeskreises, der sich 1974 in einem Sommerferienlager namens »Spirit in the Woods« gebildet hat. Bei der feierlichen Inauguration der Clique im Kreativcamp – »lasst uns als Die Interessanten bekannt sein« – setzt der Roman ein.

Vierzig Jahre wird Wollitzers auktorialer Erzähler die Mitglieder dieses Kreises begleiten, nicht ohne dabei auch die amerikanische Gesellschaftsgeschichte vor den Augen der Leser zu entfalten. Der Ton ist dabei mitunter melancholisch, aber nie übermäßig sentimental. Der Schwerpunkt der Erzählung liegt auf dem Schicksal der beiden Protagonistinnen Jules und Ash, die ihr wechselhaftes Leben würdevoll und selbstbewusst bewältigen.

Die Interessanten ist auch als feministischer Roman zu lesen, der die Selbstermächtigung der US-amerikanischen Frauen reflektiert. Sexualität ist hier beispielsweise nicht leidige Ehepflicht, sondern Kür des eigenen Vergnügens, Familienbildung Teil der (selbst-)bewussten Lebensplanung.

Doch obwohl Jules und Ash unablässig versuchen, das Beste aus ihrem Leben zu machen, werden sie von der Wirklichkeit des Daseins, den äußeren Umständen und inneren Zuständen, immer wieder eingeholt und zurückgeworfen.

Die Präzision, psychologische Tiefe und erzählerische Lust, mit der Wollitzer diese Prozesse schildert, erinnern an die Größen des amerikanischen Romans wie Jonathan Franzen, Jeffrey Eugenides, Siri Hustvedt oder zuletzt Chad Harbach, und machen diesen Gesellschafts- und Generationsroman zu einem Ereignis.

Der Text erschien in ähnlicher Form in der September-Ausgabe des Rolling Stone.

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