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»Ich habe heute all meine Freunde verloren«

Der Journalist Philippe Val hat das Satiremagazin »Charlie Hebdo« von 1992 bis 2009 geführt. Dem Radiosender France Inter gab er nach dem Angriff auf die Redaktion des Magazins, bei dem zwölf Menschen ums Leben kamen, ein bewegendes Interview. Darin erinnerte er an seine Freunde und ehemaligen Kollegen und rief die Menschen dazu auf, weiterzulachen und gemeinsam die Angst zu überwinden. Wir haben das Interview dokumentiert.

Mir geht es sehr schlecht, aber das ist normal, oder? Ich habe heute all meine Freunde verloren. Es waren so wunderbar lebensfrohe Menschen, die eine große Freude daran hatten, anderen eine Freude zu machen, zum Lachen zu bringen und ihnen ihre gutmütigen Gedanken zu geben. Es waren gute Menschen, zweifelsohne die Besten unter uns, wie alle, die andere Menschen zum Lachen bringen können, die sich für die Freiheit einsetzen und dafür, dass wir uns mit einem guten Gefühl und sicher auf der Straße bewegen können.

Heute ist ein entsetzliches Gemetzel geschehen und wir dürfen jetzt nicht das Schweigen eintreten lassen. Wir müssen uns nun gegenseitig helfen und zusammenstehen. Der Terror darf nicht die Freude am Leben, die Meinungsfreiheit und die Demokratie in Frage stellen, denn genau das steht auf dem Spiel. Es ist diese verdammte Brüderlichkeit, dank der wir miteinander auskommen. Das darf man jetzt nicht einfach den Bach runtergehen lassen. Das, was geschehen ist, war ein Kriegsakt.

Wenn etwa morgen alle Zeitungen mit Charlie Hebdo aufmachen, würde das deutlich machen, dass wir das alle nicht hinnehmen und akzeptieren. Dass wir niemals Schweigen an die Stelle des Lachens treten lassen werden, an die Stelle der Freiheit… (Stimme bricht ab)

Das waren so wunderbare Menschen. Cabu, er war ein Genie, Charb… all diese Menschen, sie sind alle tot. Auch Bernard Maris, alle. Wir dürfen das nicht einfach hinnehmen. Wir müssen jetzt solidarisch sein. Das waren keine bösartigen Menschen, sie wollten einfach nur fröhlich leben und dem Humor einen Platz in unserem Leben geben. Nur darum ging es und genau das wurde heute getötet… Das ist einfach unerträglich.

Aber es muss weitergehen. Es tut mir leid, dass ich jetzt davon sprechen muss, aber vielleicht waren die Medien in den vergangen Jahren nicht immer auf der Höhe, haben diese Radikalisierung nicht mit dem nötigen Ernst betrachtet. Für viele Muslime in unserem Land ist das eine Katastrophe. Sie sind in Gefahr. Ja, auch sie sind in Gefahr. Es wurde nicht über diese Zunahme des Fundamentalismus in Frankreich gesprochen. Wurde einfach nicht. Die Alarmglocken wurden nicht oft genug geschlagen.

Wir haben getan, was wir konnten. Wir, das waren ohnehin nicht viele. Aber heute bin ich ganz allein. All meine Freunde sind gegangen. Nicht für eine schlechte Sache, aber wie soll man damit leben?… (Val weint) Wie soll man jetzt noch einfach zu seinen Kindern gehen und ein paar Scherze machen?

Aber so ist es nun, was passiert ist, ist schrecklich. Es gibt ein Davor und es gibt ein Danach, aber unser Land wird nicht mehr das gleiche sein. Es wurde heute eine bestimmtes Verständnis von Journalismus vernichtet, es wurden all jene ausradiert, die in der Lage waren, uns über die schlimmsten Dinge immer noch lachen zu lassen. Es ist eine entsetzliche Trauer, die sich breit macht.

Aber das Schweigen darf nicht Oberhand gewinnen. Elisabeth Badinter hatte das im Karikaturenprozess [2007] schon gesagt: Wenn die Redaktion verurteilt wird, dann wird sich das Schweigen über uns alle legen. Und heute müssen wir, noch mehr als sonst jemals, aussprechen, was wir denken.

Ich habe keinen Glauben. Das ist schade, denn heute hätte ich gern einen. Denn wenn ich ein Leben nach dem Tod hätte, dann würde ich ihnen sagen, wie sehr ich sie liebe… (von Tränen geschüttelt), wie unverzichtbar sie in meinem Leben waren, wie unverzichtbar sie für alle anderen waren, wie unverzichtbar sie für all jene sind, die die Freiheit brauchen, um zu leben.

Sie haben viel gelacht, waren glückliche Menschen; wir haben so viel miteinander gelacht. Wir müssen unbedingt weiter lachen, auch wenn es heute sehr schwer ist. Aber das ist die beste Waffe, die wir haben. Das ist die Waffe der Brüderlichkeit. Wir müssen das Lachen bewahren, den Menschen die Möglichkeit lassen, die Schweinehunde lächerlich zu machen. Wir müssen uns jetzt gegenseitig Halt geben, alle gemeinsam zusammenstehen und nicht loslassen. Uns ist Schreckliches widerfahren. Mit dieser Gefahr und der Angst können wir nicht leben.

Hier können Sie das Interview im O-Ton nachhören

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