Comic

Angoulême ist Charlie

Das 42. Internationale Comicfestival in Angoulême ist so etwas wie das erste Familientreffen seit den Anschlägen auf »Charlie Hebdo«. Entsprechend präsent ist das Thema. Die Redaktion der Zeitschrift wurde mit einem Sonderpreis geehrt, ein Gedenkpreis für unterdrückte Zeichner wurde geschaffen. Zugleich läuft die Festivalroutine weiter. Mit dem Hauptpreis der Stadt wurde »Akira«-Zeichner Katsuhiro Otomo ausgezeichnet.

Der Große Preis bei Europas wichtigstem Comicfestival ist vergeben. Wie die Festivalleitung am Donnerstag bekanntgab, erhält der japanische Zeichner Katsuhiro Otomo in diesem Jahr den Großen Preis von Angoulême, der in jedem Jahr für ein Lebenswerk vergeben wird. Der Preisträger leitet für gewöhnlich im Folgejahr die Jury als Präsident.

Für gewöhnlich deshalb, weil der letztjährige Gewinner des Großen Preises, der amerikanische Zeichner Bill Watterson, bereits nach der Bekanntgabe seiner Ehrung erklärte, dass er selbst nicht kommen und damit auch sein Amt als Präsident der Jury nicht antreten werde. An seiner statt hatte er ein exklusives Festivalplakat geschickt. Der diesjährigen Jury sitzt der französische Zeichner und Verlagschef (Éditions Sarbacane) Gwen de Bonneval vor, der 2010 in Angoulême den Intergenerationspreis gewonnen hat.

Das wird dem Festival jetzt wahrscheinlich nicht wieder passieren, denn Otomo hat sich in einer Youtube-Botschaft bereits bei seinen Fans in Frankreich gemeldet. Er könne es kaum glauben und fühle sich sehr geehrt, zumal er in letzter Zeit gar nicht mehr gezeichnet habe, erklärt er dort. Und weiter: »Der Preis ist eine Ermunterung und ich denke, ich werde das Zeichnen jetzt wieder aufnehmen.« Otomo ist Comiczeichner, Drehbuchautor und Regisseur, seine Manga-Serie Akira (bei Carlsen) ist legendär. Für sie wurde er 2002 mit zwei Eisner-Awards ausgezeichnet.

Auch wenn Bill Watterson nicht kam, ist er in Angoulême vertreten. Eine der großen Ausstellungen des Festivals ist dem Universum seiner beiden Helden Calvin & Hobbes gewidmet. Daneben gibt es in diesem Jahr unter anderem Ausstellungen zum amerikanischen »König der Comics« Jack Kirby, zu Japans Comicstar Jiro Taniguchi, zum legendären Comicmagazin Kinky & Cosy des Belgiers Marnix Verduyn und (wie schon in Erlangen) zu Tove Janssons fantastischer Welt der Mummins. Kindgerecht sind vor allem die Schauen der Arbeiten von Anouk Ricard, dem Zeichnerduo Joris Chamblain und Aurélie Neyret sowie der Jim Curious-3D-Zeichnungen von Matthias Picard, die zum Teil als Kindercomics in Deutschland vorliegen.

Das diesjährige Festival wird vor allem aus atmosphärischen Gründen wichtig für die Zukunft der Branche sein. Denn als die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo vor wenigen Wochen angegriffen und dabei zwölf Menschen erschossen wurden, war dies auch eine Kriegserklärung an die Comic-, Cartoon- und Zeichner-Szene Frankreichs. Wie viel diese Szene mit der Comicwelt hierzulande zu tun hat, machte eine Begegnung mit Reprodukt-Verleger Michael Groenewald am Rande der Solidaritätskundgebung vor der französischen Botschaft in Berlin deutlich. Sichtlich getroffen sagte er mir da, dass ihm die Ereignisse sehr nahe gingen. »Es ist, als sei jemand aus deiner Familie gestorben.«

FauveCharlie©Lewis-Trondheim_9eArt+

Diese Familie der Neunten Kunst trifft sich nun das erste Mal seit den Angriffen. Die Ereignisse sind in der malerischen Kleinstadt im Zentrum der Cognac-Region allgegenwärtig, das Festival eröffnete unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Am Donnerstagabend wurde Charlie Hebdo ein Sonderpreis (Grand Prix Special) der Stadt verliehen. Außerdem lässt Comiclegende Lewis Trondheim das von ihm gezeichnete Maskottchen eine Solidaritätsadresse durch die Stadt tragen.

Im Herzen der Stadt hat das Festival der Satirezeitschrift eine Ausstellung gewidmet, in der die Genese von der ersten bis zur historischen Houellebecq-Nummer, die am Tag des Attentats erschienen ist, nachgezeichnet wird. Im Vordergrund stehen dabei die Zeichnungen der ermordeten Künstler Stéphane Charbonnier, Jean Cabut, Bernard Verlhac, Philipe Honoré und Georges Wolinski, die zu den Stammgästen des Festivals gehörten.

Von Künstlern und Hobbyzeichnern gab es so viele gezeichnete Solidaritätsbekundungen (siehe auch »Wir müssen unbedingt weiterlachen« und Die Karikatur lebt: Die Feder, das Schwert und der Tod), dass das Festival kurzerhand einen eigenen Online-Space für die zahlreichen Kommentare eingerichtet hat.

In Abstimmung mit der Redaktion hat man sich außerdem dafür entschieden, einen neuen Preis zu schaffen. Der »Charlie-Preis für die Meinungsfreiheit« soll ab diesem Jahr alljährlich an Künstler gehen, die in ihrer Kunst- und Meinungsfreiheit aufgrund der äußeren Umstände eingeschränkt sind. Damit will das Festival nicht nur den ermordeten Zeichnern ein Denkmal setzen, sondern auch ein deutliches Zeichen für die Freiheit der Kunst setzen.

Wie wichtig das ist, zeigen nicht Nachrichten wie die des Kölner Karnevals, der einen Charlie Hebdo-Wagen aus seinem Zug wieder herausnahm. Auch in Belgien hatte man Bedenken hinsichtlich einer allzu deutlichen Solidaritätsbekundung. Eine eigens geplante Ausstellung im Hergé-Museum mit Karikaturen von der Satirezeitschrift wurde vor wenigen Tagen aus Sicherheitsbedenken abgesagt. Auch Zeichner fühlen sich bedrängt. Die Ikone der Schwulenbewegung, Comiczeichner Ralf König, entfernte kürzlich eine Mohammed-Karikatur von seiner Facebook-Timeline. »Das mich letztlich überzeugende Argument war, dass da draußen inzwischen jede Menge vereinzelte kranke Irre rumlaufen, die sich in irgendwelchen Wüsten zu hirnlosen Zombies ausbilden lassen, zurückkehren und nun auch mal so was Tolles hinlegen wollen wie diese Mörder von Paris und anderswo, und denen es mittlerweile auch egal sein könnte, ob man konkret den Propheten gezeichnet hat oder nicht«, erklärte König gegenüber dem Tagesspiegel.

2 Kommentare

Kommentare sind geschlossen.